Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 119. Sitzung / 77

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Herr Abgeordneter Dr. Khol! Ich sage noch einmal, das ist der Sachverhalt, der mir vorliegt und der mir auch mitgeteilt wurde. Wir können ja morgen früh in der Präsidiale darüber reden.

Aber jetzt erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Brauneder das Wort. (Abg. Dr. Khol: Morgen in der Präsidiale! - Weitere Zwischenrufe. - Präsident Dr. Neisser gibt das Glockenzeichen.)

23.05

Abgeordneter MMag. Dr. Willi Brauneder (Freiheitliche): Hohes Haus! Ich darf an den Tagesordnungspunkt erinnern, zu dem ich sprechen soll, möchte aber darauf verweisen, daß ich aufgerufen wurde, um jetzt anstelle des Herrn Abgeordneten Stadler zu sprechen. (Unruhe im Saal. - Präsident Dr. Neisser gibt das Glockenzeichen.)

Herr Präsident! Hohes Haus! Zur Verhandlung steht das Bundesverfassungsgesetz über den Abschluß des Vertrages von Amsterdam. Ich möchte dazu eine doppelte Kritik anbringen: Die eine Kritik richtet sich gegen die Legistik dieser Regierungsvorlage, die zweite betrifft die Verfassungssituation insgesamt.

Wie wir aus dieser Regierungsvorlage ersehen, liegt hiermit - wie Sie schon des öfteren gehört haben - ein "Ermächtigungsgesetz" vor. Erstens will ich diesen Ausdruck aus verschiedenen Gründen entschieden zurückweisen. Ich werde darauf noch eingehen, möchte aber zunächst die primäre Frage stellen: Was liegt mit einem Bundesverfassungsgesetz über den Abschluß des Vertrages von Amsterdam eigentlich vor? Wie wäre die Verfassungslage, wie wäre die Situation, wenn es dieses Bundesverfassungsgesetz nicht gäbe?

Gäbe es dieses Bundesverfassungsgesetz nicht, so müßte dieser Vertrag hier im Hohen Haus ratifiziert werden, und zwar nach den Art. 50 und 44 des Bundes-Verfassungsgesetzes sowie möglicherweise auch im Hinblick auf Art. 9 Abs. 2. Insbesondere zum Tragen käme vom Art. 50 der Abs. 3, wonach in diesem Staatsvertrag entsprechende Bestimmungen zwingend als verfassungsändernd zu kennzeichnen sind. Dies ist hier offenkundig das Problem: Man will die ausdrückliche Bezeichnung "verfassungsändernd" für einzelne Teile vermeiden und umgehen, weil es - ich räume das durchaus ein - eine legistische Problematik darstellt, in einem derartigen Vertrag solche Bestimmungen ausfindig zu machen.

Das heißt, daß dieses in Rede stehende Bundesverfassungsgesetz sich als eine Lex specialis zu den eben erwähnten Bestimmungen darstellt, und zwar handelt es sich um eine Lex specialis mit einem sehr engen Geltungsbereich, sowohl in sachlicher Hinsicht - sie stellt nämlich nur auf diesen Vertrag von Amsterdam ab - als auch in zeitlicher Hinsicht, weil mit der Ratifizierung aufgrund dieses Bundesverfassungsgesetzes eben dieses Bundesverfassungsgesetz wieder außer Kraft tritt.

Wie Sie wissen, ist diese Legistik hiermit zum zweiten Mal gewählt worden. Zum ersten Mal wurde sie herangezogen, als es darum ging, den EU-Beitrittsvertrag zu unterzeichnen. Uns liegt damit ein Gesetz vor, das man in gewisser Weise als Maßnahmengesetz kennzeichnen kann. Daß dies im Bereich des Verfassungsrechts geschieht, ist besonders unschön. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine zweite Kritik betrifft - in Zusammenhang mit der ersten stehend - die Verfassungssituation insgesamt. Daß wir zum zweiten Mal zu einer derartigen verfassungsrechtlichen Legistik greifen, muß einen bestimmten Grund haben. Der Grund ist darin zu sehen, daß wir in unserer Bundesverfassung auf lange Sicht offenkundig keine Vorsorge getroffen haben, derartiges, von der EU kommendes Primärrecht in unser Verfassungsrecht oder in die einfache Rechtsordnung in Österreich einzugliedern.

In dieser Situation erweist sich ein Blick rechtsvergleichender Natur als hilfreich. Wie sieht dies beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland aus? - Diesen Vergleich ziehe ich insbesondere deswegen, weil ein Teil unserer EU-Verfassungsbestimmungen den dortigen Bestimmungen wortwörtlich nachempfunden ist.


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