Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 129. Sitzung / 90

Dort möchte man eine berufliche Selbstbestimmung verwirklichen, aber die Parteien und Regierenden möchten dies im Hinblick auf das Kräfteverhältnis eher verhindern. Sie als Vertreter des "kleinen" Mannes, der gegen die Regierungsallmacht und die Macht der großen Koalition auftritt, stellen es so dar, als würde das berufsständische Interesse von Arbeitnehmern, Wirtschaftstreibenden und Bauern geradezu durch die autonome, gesetzlich autorisierte Berufsvertretung untergraben werden. Ich glaube, das geht schon fast ins Komische hinein.

Kein Bereich des politischen Lebens in Österreich ist in den letzten Jahren so intensiv diskutiert, demokratisch hinterfragt und überprüft worden. Meine Damen und Herren! Die Mitgliederbefragungen sind in fast allen wichtigen Kammerbereichen abgeschlossen. Die Rechnungshofprüfung ist nicht nur gesetzlich vorgegeben, sondern bereits umgesetzt. Die Niederösterreichische Landwirtschaftskammer wird seit fünf Wochen von neun Rechnungshofbeamten geprüft, und zum ersten Mal auch die Landwirtschaftskammer.

Die Unvereinbarkeit von Mandat und Kammerfunktion, die Herr Kollege Nußbaumer soeben hinterfragt hat, wird aus Ihrer Sicht schön langsam zur Persiflage. Herr Kollege Nußbaumer! Ich nenne Ihnen dazu zwei Beispiele. Mich als Mitglied des Parlaments und bäuerlichen Interessenvertreter beschäftigt seit Jahren - auch in meiner Selbstdefinition - die Frage, ob das vereinbar ist oder nicht. Aber anstatt daß Sie uns vorzeigen, wie konsequent Sie die Meinung vertreten, nachdem Sie jahrelang und jahrzehntelang diese Unvereinbarkeit als Parteilinie ausgegeben haben, haben Sie mit dem jetzt aus dem Nationalrat ausgeschiedenen Kollegen Reichhold genau das Gegenteil bestätigt. Reichhold hat sehr wohl als Abgeordneter des Nationalrates für das Präsidium der Kärntner Landwirtschaftskammer kandidiert und nichts daran gefunden, sich zum Vizepräsidenten wählen zu lassen. Erst mit seinem Eintritt in die Landesregierung hat er die Vizepräsidentschaft zurückgelegt. (Beifall bei der ÖVP.)

Zweites Beispiel: Der Fraktionsführer Ihrer Partei in der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer, die mir sehr viel bedeutet, hat überhaupt nichts daran gefunden, jahrelang Bundesrat und Fraktionsführer der Freiheitlichen zu sein und der Vollversammlung der Landwirtschaftskammer anzugehören. Er hat nicht einmal eine Minute darüber nachgedacht, als er vom Bundesrat in den Niederösterreichischen Landtag gewechselt ist, die Kammerfunktion aufzugeben oder das Mandat nicht anzutreten. (Zwischenruf der Abg. Dr. Partik-Pablé.) Wo setzen Sie Ihre politischen Vorhaben um?

Wie oberflächlich, ja geradezu penetrant oberflächlich hier diskutiert wird, hat wieder einmal Kollege Kier bewiesen. (Abg. Dr. Partik-Pablé: Sie sollten nicht immer vorhalten!) Meine Damen und Herren! Kollege Kier hat, weil er sich mit der Argumentation der Wirtschaftskammer schwergetan hat, hier wörtlich - das ist wahrscheinlich im Protokoll nachlesbar - davon gesprochen, daß es unerträglich sei, wie die Landwirtschaftskammer die Bauern abzocke. Ich habe noch einmal versucht, mit ihm sachlich darüber zu diskutieren, und habe Kollegen Kier unter vier Augen gefragt - ich kann jetzt nicht mehr mit ihm diskutieren, weil es ihn nicht mehr interessiert -, wie hoch er den Durchschnittsbeitrag eines österreichischen Bauernhofes für die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer einschätzt. Als ich ihn aufforderte, mir eine Zahl zu nennen, hat er gemeint: 10 000 S. Als ich ihm erklärt habe, daß es durchschnittlich 200 S seien, hat er gesagt: Sie haben mich auch mißverstanden! Ich möchte, daß der Staat mehr Beiträge für die Kammerarbeit leistet. Das heißt also, die Liberalen wollen hinsichtlich der autonomen Kammergebarung - bei 15 Prozent Eigenmittelaufbringung für unsere Arbeit, weil wir auch hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen haben - eine stärkere Verschiebung zu Lasten des Staates.

Meine Damen und Herren! Ich frage mich, ob Sie noch irgendeinen politisch liberal Interessierten finden, der eine derartige Denkungsart ernsthaft nachvollziehen könnte. Ich kann es nicht. Über 90 Prozent aller Befragten haben in klaren demokratischen Abstimmungen ihr Bekenntnis zu dieser Form des Kammerwesens und zur Sozialpartnerschaft abgegeben. Mindestens die Hälfte Ihrer Wähler, Herr Kollege Nußbaumer, muß für die Pflichtmitgliedschaft gestimmt haben, denn in einigen Handelskammern hat die Freiheitliche Partei als wahlwerbende Gruppierung doppelt so viele Stimmen bekommen, wie es Nein-Stimmen zur Pflichtmitgliedschaft gegeben hat.


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