Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 136. Sitzung / 46

An dieser Klage scheint mir einiges faul zu sein. Erstens stützt sie sich auf die alte Wegekostenrichtlinie, die der Europäische Gerichtshof bereits vor drei Jahren für nichtig erklärt hat und die nur noch aus formellen Gründen in Kraft ist. Die alte Wegekostenrichtlinie der EU ist natürlich auch inhaltlich überholt, und zwar durch einen Akt der Europäischen Kommission selbst, nämlich durch das Grünbuch für faire und effiziente Preise im Verkehr, dem zufolge auch externe Kosten des Verkehrs einzuberechnen wären. (Abg. Mag. Schweitzer: Es hört Ihnen kaum jemand zu!)

Eine wesentliche Voraussetzung für die Lösung des Alpentransitproblems ist natürlich das Landverkehrsabkommen mit der Schweiz, das erst vor einigen Wochen am Widerspruch Deutschlands gescheitert ist. Insofern ist die Klage tatsächlich paradox und kaum zu verstehen. Dieses Schweizer Landverkehrsabkommen ist aber die Voraussetzung dafür, daß etwa ein Drittel des Transitverkehrs, der die Alpen überschreitet, wieder dorthin zurückverlagert wird, wohin er gehört: auf den verkehrsgeographisch günstigsten und kürzesten Weg. Einerseits in dieser Hinsicht die Lösungsvoraussetzungen zu verhindern, auf der anderen Seite aber eine Klage einzubringen, das scheint mir paradox zu sein.

Herr Bundesminister! Die ersten fünf Fragen, die ich an Sie gerichtet habe, haben den Inhalt, die österreichischen Reaktionen auf diese Vorgangsweise, die ich in gewisser Hinsicht nur als totale Paradoxie bezeichnen kann, zu klären. Eines muß uns ebenfalls klar sein: Eine - wie offenbar durch die Klage verlangte - Senkung der Brenner-Maut würde selbstverständlich den Straßengütertransportanteil gegenüber der Eisenbahn noch weiter ansteigen lassen. Ein solcher Vorgang wäre aber gegen den Buchstaben des Transitverkehrsabkommens, das Österreich mit der EU geschlossen hat und das Inhalt und Gegenstand des Primärrechts der Europäischen Union ist. Darin heißt es, daß koordinierte Maßnahmen zugunsten des Eisenbahnverkehrs, zugunsten der Bevölkerung und zugunsten der Umwelt zu setzen sind. Man darf doch nicht durch eine konterkarierende Maßnahme diese Zielsetzungen des EU-Primärrechts in Frage stellen.

Herr Bundesminister! Die Frage 6 geht auf die Überlegungen zur alten Wegekostenrichtlinie ein, in der die Infrastrukturkosten als wesentlicher Bestandteil von Bemautungen hervorgehoben worden sind. Da sieht man auch recht gut, was Infrastrukturkosten und Umweltkosten eigentlich sind. Herr Bundesminister! Ich bin vollauf davon überzeugt: Wenn wir etwa die dringend notwendigen Lärmschutzmaßnahmen im Interesse der Anrainerbevölkerung in Tirol im Rahmen eines Bauprojekts ausarbeiten würden, dann wäre die derzeitige Maut ohne Probleme auch infrastrukturell zu rechtfertigen. (Beifall bei der ÖVP.)

Herr Bundesminister! Die Fragen 9 bis 12 beziehen sich auf das sogenannte "Maut-stretching". Das ist ein neueingeführter Terminus, es geht dabei um eine Erweiterung der Mautberechnung auf den gesamten Tiroler Transitkorridor. Ich ersuche Sie hier um eine klare Positionierung. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Tiroler Wirtschaft mit einer derartigen Sondermaut belastet wird. Das würde wahrscheinlich auch Probleme mit dem Artikel 4 der Bundesverfassung - der Einheitlichkeit des Wirtschafts- und Währungsgebietes Österreich - nach sich ziehen.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Verkehrspolitik den LKW-Verkehr wieder auf das niederrangige Straßensystem abdrängen wollte. Auch das wäre völlig unverständlich und letztlich ebenfalls dem europäischen Geist widersprechend. Denn in Zeiten eines Binnenmarktes wieder neue Mautstellen an allen Auffahrten zur Autobahn auf der Inntalstrecke zu errichten, wäre wahrlich paradox.

Worauf wir bestehen können, ist ein virtuelles "Maut-stretching" mit Inkasso am Schönberg. Das können wir uns vorstellen, aber keine Belastung der Tiroler Wirtschaft und Bevölkerung durch den Umwegverkehr.

Darüber hinaus geht es auch um eine Vergleichsrechnung. Man sollte einmal tatsächlich die Zahlen darüber auf den Tisch legen, wie hoch die alpenquerenden Transitkosten auf anderen Strecken, also in der Schweiz und in Frankreich, tatsächlich sind. Wir Tiroler, wir Österreicher sind sicherlich nicht - so wie das aus deutschen Medien zu entnehmen ist - die Wegelagerer der EU! Wir wollen aber auch nicht - und das sollen diese Länder zur Kenntnis nehmen - der


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