Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 141. Sitzung / 89

Grenzen nicht ernst nehme. Die Slowakei ist seither dazu verhalten, sich im Wartezimmer für den Beitritt aufhalten zu müssen. (Der Redner wendet sich dem auf der Regierungsbank sitzenden Vizekanzler Dr. Schüssel zu.) Ah, du bist gekommen. Danke. Ich habe das übersehen. Ich freue mich, daß du da bist. Ich wollte schon die Frage aufwerfen, was man macht, wenn der Minister nicht kommt. (Vizekanzler Dr. Schüssel: Ich bin Punkt drei hier gewesen!) Wunderbar. Ich bitte, das nicht als Respektlosigkeit aufzufassen: Ich habe dich übersehen. (Abg. Schwarzenberger: Eine Minute vor 15 Uhr!)

Ich freue mich, daß der Herr Bundesminister da ist. Ich wollte ihn direkt ansprechen. Es ist mir dieses Anliegen, das kein parteipolitisches Anliegen ist – davon bin ich überzeugt; ich werde auch keines daraus machen –, besonders wichtig.

Allerdings, so pingelig wie die Europäische Union der Slowakei gegenüber gewesen ist, so großzügig scheint sie, ohne daß man sie darauf hinweist, bei der Tschechischen Republik und bei Slowenien zu sein. In der Tschechischen Republik gibt es nach wie vor, wie wir alle wissen, die sogenannten Beneš-Dekrete. Es sind Nachkriegssatzungen, die noch immer in Kraft sind und auch von tschechischen Gerichten nach wie vor – ich erinnere an die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in Brünn in der Causa Dreithaler – zur Anwendung gebracht werden.

Damit Sie sich etwas darunter vorstellen können, darf ich einiges aus diesen Dekreten vorlesen:

Dekret vom 19. Mai 1945: "Das im Gebiete der Tschechoslowakischen Republik befindliche Vermögen der staatlich unzuverlässigen Personen wird gemäß den weiteren Bestimmungen dieses Dekretes unter nationale Verwaltung gestellt." Und damit man gleich weiß, was gemeint ist: "Als staatlich unzuverlässige Personen sind anzusehen: Personen deutscher oder madjarischer Nationalität."

Dekret vom 21. Juni 1945 – alles nach Kriegsende –: "Mit augenblicklicher Wirksamkeit und entschädigungslos wird für die Zwecke der Bodenreform das landwirtschaftliche Vermögen enteignet, das im Eigentum steht: aller Personen deutscher und madjarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit."

Dekret vom 2. August 1945: "Die tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder madjarischer Nationalität verlieren die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft mit dem Tage, an dem dieses Dekret in Kraft tritt."

Dekret vom 25. Oktober 1945: "Konfisziert wird ohne Entschädigung das unbewegliche und bewegliche Vermögen, namentlich auch die Vermögensrechte wie Forderungen, Wertpapiere, Einlagen, immaterielle Rechte physischer Personen deutscher oder madjarischer Nationalität."

Und besonders einprägsam das Gesetz vom 8. Mai 1946 – genau ein Jahr nach Kriegsende –, das normiert: "Eine Handlung, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde", also bis ein halbes Jahr nach Kriegsende, "und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziel hatte" – man hat die gar nicht treffen müssen, es hat schon das Ziel genügt –, "ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre." – Wir wissen, was dem an grauenhaften Verbrechen, die man alle nachträglich straflos gestellt hat, vorausgegangen ist, meine Damen und Herren.

Diese Beneš-Dekrete sind gültiges Rechtsgut in der Tschechischen Republik. Sie werden von Gerichten zur Anwendung gebracht. Spitzenrepräsentanten des tschechischen Staates bekennen sich zu diesen Regelungen und betonen, daß es nicht in Frage komme, sie aus der Welt zu schaffen. Das muß man sich vor Augen halten, wenn man sich die von mir anfangs zitierten Vorgaben für Beitrittskandidaten zur EU ansieht.

Es gibt aber innerhalb der Grenzen der Tschechischen Republik auch eine Minderheit von Altösterreichern deutscher Zunge. Pessimisten schätzen ihre Zahl auf 60 000 Köpfe, Optimisten


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