Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 142. Sitzung / 15

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte, das war schon die Frage, Herr Abgeordneter Smolle! – Bitte um Ihre Antwort, Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die Antwort aus österreichischer Sicht ist natürlich ein absolutes Ja, Herr Abgeordneter Smolle. Sie wissen aber, daß ich als Vorsitzender, als Ratspräsident natürlich die EU-Länder koordinieren muß. Es genügt nicht, daß ich meine persönliche Meinung sage. Ich hielte es für zweckmäßig, wenn es ein solches europäisches Statut gäbe. Wir haben auch in den Amsterdamer Vertrag zum ersten Mal Elemente eines solchen Ziels hineingebracht.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Kammerlander.

Abgeordnete Mag. Doris Kammerlander (Grüne): Bezug nehmend auf die menschenrechtswidrigen Gesetze, die in dieser Anfrage angesprochen werden, frage ich Sie, Herr Außenminister, wie Sie den Umstand begründen, daß Österreich mehr als 50 Jahre gebraucht hat, um Schritte zu unternehmen, um arisiertes Vermögen an seine ehemaligen Besitzer beziehungsweise deren Nachkommen zu übermitteln.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Vizekanzler, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Abgeordnete! Da muß man aber jetzt der Wahrheit schon die Ehre geben: Österreich hat nicht 50 Jahre gebraucht, um etwas zu tun, sondern es hat eigentlich sofort in den Nachkriegsjahren sieben Restitutionsgesetze gegeben, die immerhin – ich habe die genaue Zahl jetzt nicht im Kopf – zu 50 000, 60 000 konkreten Restitutionsverfahren geführt haben. Davon wurde ein großer Teil positiv im Sinne der Rückgabe oder einer Entschädigung abgeschlossen.

Zum Kern der Frage, die Sie ansprechen – und damit haben Sie vollkommen recht, und das habe ich gestern auch gesagt –: Auch wir haben in Schritten unsere Aufarbeitung der Geschichte vollzogen. Wir haben auch nicht alles gleich am Anfang perfekt geschafft. Und es ist ja auch mein Argument, daß man berücksichtigen muß, daß es relativ junge Länder gibt – Slowenien und Tschechien sind solche Länder –, Länder, die jetzt erst sechs, sieben Jahre die junge Erfahrung von Demokratie und Eigenständigkeit haben, aber auch diesen Ländern bleibt die Konfrontation mit den Schatten ihrer Geschichte nicht erspart.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Danke, Herr Vizekanzler.

Zusatzfrage: Kollege Dietachmayr.

Abgeordneter Helmut Dietachmayr (SPÖ): Herr Vizekanzler! Eine differenzierte Behandlung des Vertriebenen-Problems, speziell jenes der Sudetendeutschen, scheitert vielfach an der Unwissenheit über die vor und nach 1945 gültigen Grenzen. Weder im heutigen Tschechien noch in Österreich, auch nicht in Deutschland, wurde die Jugend entsprechend informiert, geschweige denn mit der Vertreibung der Sudetendeutschen konfrontiert.

Sehen Sie eine Möglichkeit, diesem Defizit im Geschichtsunterricht auch in unseren Schulen entgegenzuwirken?

Präsident Dr. Heinz Fischer: Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: In unseren Schulen auf jeden Fall. Ich glaube, das ist ein absolutes Ziel einer vernünftigen Bildungspolitik. Wir wollen auch – und das haben Bundeskanzler Klima und ich auch gemeinsam vereinbart – den Heimatvertriebenen, den sudetendeutschen Verbänden bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte helfen. Wir werden für die kommenden Jahre 10 Millionen Schilling für ein solches Projekt zur Erarbeitung eines fairen und objektiven Geschichtsbildes zur Verfügung stellen.


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