Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 154. Sitzung / 58

ethnische Minderheit oder Gruppe zugeordnet werden könne. – Ich halte das für einen Denkfehler! Eine Sprache und deren Wichtigkeit können doch nicht davon abhängen, ob es eine Volksgruppe gibt, die sie spricht – wenn es eine Sprache gibt, die über solche Grenzen weit hinaus wirkt (Beifall beim Liberalen Forum), die nicht festhält an Merkmalen wie Rasse, Geschlecht oder Abstammung, sondern ein Kommunikationsmittel ist, das entwickelt wurde, um Menschen, die gehörlos sind, zueinanderzubringen. Ich meine, es wird andere rechtliche Möglichkeiten geben müssen, solch eine Sprache anzuerkennen als ausschließlich den sozusagen historisch gebundenen Weg einer ethnischen Minderheit, die man dann künstlich definieren müßte und die sich, wie ich meine, nicht definieren lassen würde. Nach welchen ethnischen Kategorien sollte man Gehörlose einordnen?

Ich meine daher, daß das Argument des Unterrichtsministeriums vielleicht gut gemeint war, daß es aber einen falschen Weg weist. Wir müssen über diese Grenze hinaus solche Sprachen anerkennen. Und deshalb ist auch der von Frau Kollegin Rauch-Kallat vorgetragene Abänderungsantrag wichtiger, als es den Anschein hat. Der Antrag betrifft sprachliche Verbesserungen in der Zivilprozeßordnung. Daß die Worte "Taube, Stumme oder Taubstumme" nunmehr durch "Gehörlose oder Stumme" ersetzt werden, ist ein enormer Fortschritt auf sprachlicher Ebene. Und: Sprache schafft Bewußtsein. Das bedeutet in diesem Fall, daß die in den alten Formulierungen der Zivilprozeßordnung vorhandenen Worte "Taube, Stumme oder Taubstumme" jetzt aus dem Gesetz verschwinden werden.

Ich erinnere mich daran, wie oft ich es erlebt habe, daß sich meine gehörlosen Freunde gekränkt haben, wenn sie als "Taubstumme" bezeichnet wurden; persönlich gekränkt, weil sie sprechen, weil sie sich verständigen konnten, weil sie eben nicht stumm waren. Denn: "Stumm" nur mit Lautsprache in Verbindung zu bringen, ist die Arroganz der Hörenden! (Beifall beim Liberalen Forum sowie bei der SPÖ und den Grünen.)

Es ist daher auch die Fünfparteieneinigung zum Entschließungsantrag, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, bis zur Jahresmitte weiterentwickelte Berichte vorzulegen, wertvoll, wenn auch für einen Oppositionellen nicht sehr beruhigend. Wir wissen: Die Mitte des nächsten Jahres wird unter ganz anderen Vorzeichen stehen, als einen Bericht über gehörlose Menschen hier in diesem Hause vorzutragen. Wir werden uns dann in mehrfacher Hinsicht in Wahlauseinandersetzungen befinden, und die Regierungsparteien werden das in dieser Phase dann – so leid es mir tut – nicht mehr sehr ernst nehmen, weil das Thema zuwenig erfolgversprechend ist, um Stimmen zu fangen. (Abg. Tichy-Schreder: Also bitte schön! – Abg. Dr. Rasinger: Herr Kier!) – Ich sage das mit dieser Deutlichkeit, weil ich der Meinung bin, daß es so kommen wird. Sollten Sie mich eines Besseren belehren, indem wir im Juni 1999 hier über einen konsistenten Bericht zur Verbesserung der Lage Gehörloser debattieren können (Abg. Dr. Rasinger: Das war aber jetzt unfair!), werde ich mich bei Ihnen entschuldigen. Bis dahin befürchte ich jedoch, daß meine Voraussage zutreffen wird. (Beifall beim Liberalen Forum sowie bei den Grünen.)

Die Petition hat mehr enthalten, als wir heute hier beschließen werden. Die Frage der Früherziehung, die Frage der Schule, die Frage der Berufsausbildung, das sind – in dieser Reihenfolge – Schlüsselfragen. Wenn ein heranwachsender junger Mensch nicht schon in der Phase seiner frühen Kindheit Sprache bekommt, um zu kommunizieren, kann er nicht gut lernen. Wenn er in der Schule nicht integriert ausgebildet wird und Sprache haben darf, kann er sich nicht entfalten. Wenn er keine Berufsausbildung bekommen kann, kann er sich später nicht durchsetzen. Die Aufgabe der Gesellschaft ist es, Chancengleichheit herzustellen auch für gehörlose Menschen.

Das Problem dieser Menschen ist nicht sichtbar; sie tragen es nicht außen. Diese Menschen sind dann, wenn wir sie nicht fördern, in diesem Sinn unter Umständen wirklich stumm, weil wir sie stumm machen. Daher ist der Anspruch der Früherziehung, der Schule und der Berufsausbildung von entscheidendster Bedeutung.

Ob das nun im einzelnen Ländersache oder Bundessache sein mag: Es muß unser aller Sache sein! Wenn es mehrheitsfähig ist in diesem Land, dann werden auch die Landtage entsprechende Beschlüsse fassen. Wenn sich der Nationalrat in dieser Frage eindeutig positioniert,


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