Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 154. Sitzung / 89

dert haben und der Zugang der Söhne-, Töchter- und Enkelgeneration zu dieser vergangenen Zeit ein anderer geworden ist, und ich meine, daß hier Handlungsbedarf besteht. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten des Liberalen Forums.)

Dieses Defizit wurde von der Historikerkommission in ihrer ersten Sitzung aufgezeigt. Es ist seitdem virulent, und wir wären hier im Hohen Haus gut beraten, wenn wir dieses Ergebnis der ersten Sitzung der Historikerkommission zum Anlaß nähmen, darüber ernsthaft nachzudenken und uns mit dieser Materie zu befassen.

Ich denke, wir täten diesem Land etwas Gutes, wir täten uns etwas Gutes und wir täten den Opfern und der Zukunft etwas Gutes, wenn wir uns darüber einigen könnten, ein solches Gesetz in nächster Zeit auf die Beine zu stellen. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der SPÖ.)

14.43

Präsident MMag. Dr. Willi Brauneder: Weiters zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Kurzmann. 4 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Abgeordneter.

14.43

Abgeordneter Dr. Gerhard Kurzmann (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Freiheitliche Partei – wir haben das schon im Verfassungsausschuß klargemacht – unterstützt diesen Entschließungsantrag, für den Herr Abgeordneter Smolle, der nach mir sprechen wird, im Verfassungsausschuß eine gewisse Urheberschaft in Anspruch genommen hat. Ich gehe davon aus, daß das Parlament diesem Entschließungsantrag mit breiter Mehrheit zustimmen wird, ja ich denke, daß es bei der Beschlußfassung Einhelligkeit geben wird.

Ich möchte als Historiker, der viele Jahre selbst in einem öffentlichen Archiv gearbeitet hat, zu diesem Entschließungsantrag einige grundsätzliche Anmerkungen machen. Man könnte, wenn man diesen Entschließungsantrag wörtlich nimmt, den Eindruck gewinnen, der Nationalrat sehe die Arbeit der Historikerkommission durch eine mögliche oder bevorstehende Vernichtung von Akten gefährdet und wolle das jetzt durch eine Resolution, durch einen Entschließungsantrag unter allen Umständen verhindern.

Meine Damen und Herren! Ein solcher Denkansatz unterstellt den Historikern und den Archivaren im öffentlichen Dienst zumindest, daß sie nicht sehr sorgfältig mit dem historischen Material, das ihnen anvertraut ist, umgingen. Wenn man das nicht so vorsichtig formuliert, wie ich es jetzt getan habe, könnte man auch sagen: Man bringt einer ganzen Berufsgruppe ein gewisses Maß an Mißtrauen entgegen. Ich kenne von vielen Historikertagen, aber auch von den Tagungen der österreichischen Archivare her das hohe Berufsethos dieser Leute. Das sind wirklich keine Aktenvernichter vom Schlage der Staatssicherheit in der ehemaligen DDR, sondern das sind im Gegenteil Wissenschafter, die sich – um Leopold von Ranke zu zitieren – bemühen, zu erforschen, wie es eigentlich in der Vergangenheit gewesen ist. Mir ist kein einziger Fall bekannt, daß ein österreichischer Archivar Aktenbestände bewußt manipuliert oder vernichtet hätte.

Meine Damen und Herren! In einem Archiv ist es auch nicht so einfach, bestimmte Aktenbestände einfach verschwinden zu lassen. Denn es gibt genaue Verzeichnisse über diese Aktenbestände, und es gibt in jedem Archiv auch eine Archivordnung, die peinlich genau folgende Punkte regelt: Was muß für ewige Zeiten – wie es so schön heißt – aufbewahrt werden? Welche Quellen sind dauernd wichtig?

Weiters gibt es selbstverständlich auch Archivmaterial, von dem man sagt: Welche Akten können nach 20 oder auch schon nach zehn Jahren skartiert werden? – Nur Aktenbestände, die Massenquellen sind, die also historisch zweitrangig sind und keine große Bedeutung haben, müssen aus Platzgründen in jedem Archiv dieser Welt von Zeit zu Zeit ausgeschieden und vernichtet werden.


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