Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 154. Sitzung / 177

ernten, und wer Verbrechen sät, muß die Antwort erdulden. (Abg. Dr. Kurzmann: Sie verwechseln Opfer und Täter! Das ist unerhört!) Sie haben mir noch gar nicht zugehört!

Die Okkupation des Protektorats Böhmen und Mähren war ein Verbrechen gegen das Völkerrecht. Die Verbrechen von Lidice, um nur ein Beispiel herauszugreifen, waren Verbrechen gegen die Menschenrechte, und auch das faschistische System von Tiso in der Slowakei hat das Unrecht dieser Zeit verlängert. Die Rache des Jahres 1945, ohne sie beschönigen zu wollen, ist auf den Fuß gefolgt. Fast eine Viertelmillion Menschen ist zu Tode gekommen, manche auf die grausamste Art und Weise. Über drei Millionen Menschen wurden vertrieben. Das sind selbstverständlich Verbrechen gegen die Menschenrechte, ohne Zweifel wurde an den vertriebenen Menschen Unrecht begangen. Daher freue ich mich, immer wieder zu hören, daß es vermehrt tschechische Menschen gibt, die betroffen sind von den Verbrechen, die im Namen ihres Volkes geschehen sind.

Diese Vertreibung brachte aber auch eine nachhaltige Schwächung der Tschechoslowakei mit sich. Man hat dreieinhalb Millionen Menschen verloren, die in den Wiederaufbauzeiten nach dem Krieg gefehlt haben. Wir haben hingegen eine Stärkung durch diese Menschen erfahren, die zu uns gekommen sind und in Österreich integriert wurden. Wir Österreicher konnten also hautnah erleben, welches unsägliche Leid in unseren Namen als Teil des "großdeutschen Reichs", der wir damals waren, anderen Völkern zugefügt wurde und wie dieses dann, als späte Rache, zurückgekommen ist. Wir Österreicher haben allerdings überhaupt kein Recht, meine Damen und Herren – das möchte ich vor allem Ihnen von der freiheitlichen Fraktion sagen! –, den mahnenden Finger zu erheben. Es ist absolut unzulässig, Vergleiche anzustellen! (Beifall beim Liberalen Forum.)

Es ist absolut unzulässig, zu sagen: Es gibt solche und solche Opfer. Mehr als zu Tode quälen kann man einen Menschen nicht. (Zwischenruf des Abg. Jung.) Es geht aber um folgendes: Wir haben für die Verbrechen einzustehen, die wir in unserem Land angerichtet haben, und die tschechische Bevölkerung wird für die Verbrechen einzustehen haben, die sie in ihrem Land angestellt hat. Und ich freue mich – das betone ich noch einmal! –, daß mit Ausnahme weniger Nationalisten in Tschechien immer mehr Menschen – an der Spitze Präsident Havel – letzten Endes lernen, auch mit ihrer Vergangenheit umzugehen. (Zwischenruf des Abg. Dr. Graf.)

Die Betroffenheit und die Bitte um Vergebung muß auch uns, die Generation der Nachgeborenen, weiter begleiten. Ich halte die Äußerungen des Dichters Martin Walser im Rahmen der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in Deutschland für interessant. Er hat eine harte und notwendige Auseinandersetzung ausgelöst. Er meinte, es müsse Schluß sein mit der ewigen Vergangenheitsbewältigung. Er sprach sogar von der "Instrumentalisierung Auschwitz".

Ich möchte Herrn Walser widersprechen: Ich freue mich, daß in Deutschland eine solche öffentliche Debatte möglich war und daß sie in aller Klarheit und Härte geführt wurde. Auch in Österreich müssen wir dazu Position beziehen. Ich befürchte jedoch, daß wir in Österreich für eine solch hochstehende Debatte noch nicht soweit sind. Wir müssen sie aber führen, auch wenn sie kontroversiell und schmerzhaft ist, wie es die Deutschen heute schon tun!

Meine Damen und Herren! Das Leid der Vertriebenen kann uns nur persönlich berühren und das Glücksgefühl in uns wachhalten, daß so etwas unserer Generation bisher erspart blieb und hoffentlich immer erspart bleiben wird. Die Höhe der Verluste, die dreieinhalb Millionen Sudetendeutsche erlitten haben, sind finanziell nicht abgleichbar. Die Klärung der Frage, ob es jetzt 1 Milliarde oder 1,5 Milliarden Schilling sind, hilft sicherlich einzelnen da und dort; das Leid insgesamt ist jedoch nicht abgleichbar, und die Verbrechen, die diese Menschen erleiden mußten, können durch Ersatzleistungen nicht ungeschehen gemacht werden. Vielmehr sollten wir auch darüber nachdenken, wie wir mit dem Schatten unserer Vergangenheit immer noch umgehen. Es gibt den schönen Satz: Sollten wir nicht aufhören, die Splitter im Auge unseres Nächsten zu suchen, solange wir die naheliegenden Balken nicht sehen?


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