Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 180. Sitzung / 182

Meine Fraktion betrachtet diese Vorlage als einen Schlag ins Wasser, weil sie darauf abzielt, etwas, was bereits seit Jahrzehnten geltendes Recht ist, noch einmal vom Gesetzgeber her zu wiederholen. Es handelt sich um das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz aus 1945 und um ein weiteres Gesetz aus dem Jahr 1968, mit dem alle in diesem Sinne Verurteilten – auch Deserteure – rehabilitiert worden sind, wobei dies für Verurteilte aller Gerichte gilt. Die einzige Bezeichnung, die es diesbezüglich in diesem Aufhebungsgesetz gibt, ist "Urteilsgericht". Es gibt also keine Begrenzung auf Gerichte irgendwelcher besonderer Provenienz.

Das heißt, wenn wir uns heute mit diesem Problemkreis befassen, dann bemühen wir uns, geltendes Recht noch einmal zu betonen. Ich glaube, daß dazu aber kein Anlaß besteht.

Wenn wir uns vor Augen halten, was die Verurteilung von Deserteuren bedeutet hat und welche Männer es gewesen sind, die diese Urteile gefällt haben, so muß man sich in Erinnerung rufen, daß Kriegsrichter die Urteile gefällt haben, daß die Kriegsrichter bei der Kriegsmarine "Marinerichter" geheißen haben und daß ein prominenter Marinerichter der spätere sozialistische Justizminister Tschadek, der zweite Justizminister der Zweiten Republik, gewesen ist. Es ist also nicht so, daß da nur die Freislers unterwegs gewesen wären, sondern es ist immerhin ein Kriegsrichter, nämlich konkret ein Marinerichter des Zweiten Weltkrieges – eben Tschadek –, der sozialdemokratische, damals sozialistische Justizminister der Republik – an zweiter Stelle nach Gerö – geworden.

Es ist auch nicht so, daß man mit dem Gesetz von Amts wegen die Dinge aufgreifen soll. Im übrigen: Auch das Einstellungs- und Aufhebungsgesetz aus 1945 sieht sowohl von Amts wegen als auch auf Antrag Betroffener die Aufhebung und die Einstellung solcher Verfahren vor. Es ist damals nämlich nicht so gewesen, daß man davon ausgehen konnte, daß man den Hinterbliebenen oder gar den Betroffenen immer eine Freude bereiten würde, wenn man von Amts wegen darstellen würde, daß zum Beispiel der Großvater nicht gefallen ist, sondern daß er als Deserteur sein Leben lassen mußte.

Die Desertion ist in keinem Land der Welt ein angesehenes Delikt, und ich könnte mir vorstellen, daß im dörflichen, aber auch im kleinstädtischen Bereich, wo einer den anderen kennt, die Betroffenen, die Hinterbliebenen gar keinen Wert darauf legen, daß die eigenen Familienangehörigen, geschweige denn die Nachbarn, spät, aber doch, Jahrzehnte nach dem Geschehen mitbekommen, daß irgendein armer Teufel nicht gefallen, sondern als Deserteur hingerichtet worden ist. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Man darf nicht aus den Augen verlieren, daß zwar sehr viele Deserteure aus sehr honorigen Gründen der Wehrmacht den Rücken gekehrt haben, daß es sich dabei durchaus um Aktionen im Rahmen der Bekämpfung des nationalsozialistischen Terrorregimes gehandelt hat, daß aber die allermeisten – und das kann ich, der ich als Halbwüchsiger diese Zeit miterlebt habe, noch aus eigener Wahrnehmung bestätigen – wie bei allen Armeen der Welt zu Deserteuren geworden sind, als der Krieg endgültig verloren war, als abzusehen war, daß er nur mehr Tage dauern würde, und sie sich als Soldaten gedacht haben: Jetzt habe ich jahrelang mein Leben zu Markte getragen, jetzt möchte ich nicht in den letzten paar Stunden noch fallen! und bei dieser Gelegenheit erwischt und hingerichtet worden sind.

Das heißt, neben Aktionen zur Bekämpfung des Nationalsozialismus hat es sehr wohl – und das betraf sicher die Mehrzahl der Fälle – auch Desertionen gegeben, deren Motiv darin bestand, daß die Betroffenen ganz einfach ihre Gesundheit und ihr Leben retten wollten, wofür ich durchaus Verständnis aufbringe.

Man darf aber nicht vergessen, daß es auch – und nicht wenige – Deserteure gegeben hat, die mit ihren Aktionen an die Stelle der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die kommunistische Gewaltherrschaft setzen wollten (Ruf bei der SPÖ: Das ist ja unglaublich! Unglaublich ist das!) – es ist glaublich, weil wahr –, und daher verdient die Vorgangsweise in diesem Zusammenhang schon eine differenzierte Betrachtung. Es kann nicht alles über einen Leisten geschlagen werden.


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