Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 100. Sitzung / Seite 109

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erkennen. Ich bin allerdings voller Hoffnung, dass das demnächst der Fall sein wird. Bisher wurden diese Opfer nur mit Schmach und Schande bedacht.

Wenn wir uns die Schritte vergegenwärtigen, die in den letzten Jahren gesetzt worden sind, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen vor allem daran erinnern, dass es eine Vier-Parteien-Entschließung aus dem Jahre 1999 gibt. Damals waren die Liberalen noch Mitglied des Nationalrats, und diese Entschließung haben damals vier Parteien, also alle außer den Freiheitlichen, beschlossen. Sie hatte vor allem zum Ziel, die Aufarbeitung der Akten der NS-Militärjustiz und die Aufhebung dieser NS-Unrechtsurteile in Österreich durchzusetzen, ähnlich wie das bereits in der Bundesrepublik Deutschland geschehen war.

Minister Michalek, damals Justizminister, hat diesen Stein mit einer Anfragebeantwortung ins Rollen gebracht, in der er klipp und klar erklärte, dass das in unserem heutigen Sinn keine Verbrechen oder Vergehen sein könnten, weil diese Menschen aus einer fremden Armee desertiert seien und weil dieses Verhalten deshalb aus heutiger Sicht keine strafrechtliche Relevanz in irgendeiner Form haben könne. Ihr Verhalten war nicht gegen Österreich gerichtet, sondern ausschließlich gegen das Terrorregime der Nazis.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dieser eindeutigen Stellungnahme der Bundesregierung habe ich dieses Kapitel eigentlich als abgeschlossen betrachtet. Man kann sich aber nicht genug wundern: Es ist Ihre Anfragebeantwortung, Herr Bundesminister, die vor einem Monat bei uns eingelangt ist und in der Sie uns schlicht und einfach mitteilen, dass die Voraussetzung für die Anrechnung einer Ersatzzeit für die Pensionsanrechnung die ist, dass die Freiheitsbeschränkung, in diesem Fall Gefängnisstrafe, nicht auf Grund einer Tat erfolgt sei – und da zitiere ich Sie jetzt wörtlich –, "die nach den österreichischen Gesetzen im Zeitpunkt der Begehung strafbar war oder strafbar gewesen wäre ..."

Wenn Desertionen nicht darunter zu subsumieren sind, bedeutet das, dass Sie, Herr Bundesminister, der Auffassung sind, dass Desertion aus der deutschen Wehrmacht heute noch immer ein strafbares Verhalten ist, weil Sie sich in der Tradition von 1938 sehen! Und das, Herr Bundesminister, hat mich völlig entsetzt. Das steht nämlich auch in völligem Widerspruch zu dem, was Herr Bundesminister Böhmdorfer auf eine Anfrage von mir, die in eine andere Richtung gegangen ist, im Anschluss an die Anfragebeantwortung von Dr. Michalek aus dem Jahr 1999 geantwortet hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister! Gerade im Kontext der Diskussionen, die es jetzt gibt, vor allem auch des Beginns einer kritischen Aufarbeitung des Schicksals von Wehrmachtsangehörigen, die heute noch leben – ich betone: aller Wehrmachtsangehörigen –, die es den Menschen, die damals diesem Regime gedient haben und dienen mussten  – auch das ist ganz wesentlich festzustellen –, auch ermöglicht, sich daran zu beteiligen, egal, ob sie nun desertiert sind oder nicht, erscheint es mir völlig unglaublich, dass man gegenüber den Deserteuren, aber eben nicht nur den Deserteuren gegenüber, eine dermaßen – und ich drücke mich da jetzt wirklich vorsichtig aus – unsensible Haltung einnimmt, ja sie uns allen vors Gesicht knallt.

Herr Bundesminister! Die heutige Diskussion soll Ihnen Gelegenheit geben, hier klare Worte zu sprechen. Es handelt sich nicht um eine Diskussion gegen Sie oder gegen die Geschichte der letzten Jahrzehnte, sondern es soll eine Möglichkeit eröffnet werden, in gewisser Hinsicht einen Neubeginn und Neustart zu machen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Feiglinge, Verräter, Vaterlandsverräter waren diese Menschen in den Augen vieler und in den Augen der politisch Verantwortlichen in Österreich lange genug. Wir wollen einen kleinen, bescheidenen Beitrag dazu leisten, dass diese rund 70 Personen, überlebende Deserteure, die heute noch leben und die im Rahmen dieses Forschungsprojekts bislang in Österreich überhaupt eruiert werden konnten, am Ende ihres Lebens wenigstens noch so etwas wie Anerkennung erfahren, Anerkennung in Form einer Entschuldigung für die Schmach (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen), die sie nicht so sehr durch die Verurteilung durch die NS-Militärjustiz erfahren haben, sondern durch Österreich, durch seine Einwohner und Einwohnerinnen und durch die


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