Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 111. Sitzung / Seite 189

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Herr Minister Haupt! So einfach ist es nicht, dass mit der Tabaksteuer, Ihren Ambulanzgebühren und anderen Maßnahmen, die Sie genannt haben – Verwaltungsreform bei den Kassen; EDV; Einsparungen bei Medikamentenkosten, die Minister Bartenstein natürlich besonders interessieren werden –, diese zu erwartenden Kosten hereingespielt werden können. Wer sagt Ihnen das? – Ich kenne keine Berechnung darüber, dass man damit auskommen wird.

Das heißt, die Gretchenfrage, der sich die Regierung stellen muss, ist: Bekennt sie sich weiterhin zum offenen, fairen und chancengerechten Zugang aller Österreicherinnen und Österreicher zu den Leistungen der Medizin? Oder vertraut sie auf eine Bürgergesellschaft, in welcher die dickere Brieftasche, die besseren Ellenbogen, die besseren Beziehungen zu Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Primarien den Ausschlag darüber geben werden, wie gesund oder wie krank jemand ist? – Ich hoffe, nein! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Wenn wir uns das anschauen, sehen wir, dass die Politik der Bundesregierung letztlich etwas gebracht hat, was man in zwei Gruppen einteilen kann. Einerseits werden Patienten belastet, um etwas von diesem – unter Gänsefüßchen – "Defizit" abzubauen. Das sind die Ambulanzgebühren, Rezeptgebühren, Einsparungen bei Heilbehelfen und außerplanmäßigen Kassenleistungen, die durchaus die Regierung insofern angeregt hat, als sie den Kassen letztlich das Messer ansetzte, indem sie sagte: Entweder kürzt ihr gewisse Leistungen, die noch freiwillig sind, oder wir nennen euch eben "Misswirtschafter" und "schlechte Manager"! – Da fängt die Debatte an, und sie führt kerzengerade in das, was Sie diskutieren: in diesen Solidaritätsfonds.

Da ich aus meinem Herzen keine Mördergrube mache, bin ich hier geteilter und sehr differenzierter Meinung. Wenn jetzt einzelne Bundesländer und vor allem ihre Landeshauptleute, die sich bislang für ihre Kassen – sage ich einmal – herzlich wenig interessiert, um nicht zu sagen: wenig darum geschert haben, plötzlich darauf pochen, alle Patrioten der Bundesländer aufzurufen, den Marsch gegen Wien und gegen den Hauptverband zu blasen, und sie dafür loben, wie tüchtig sie gewirtschaftet haben – was einigen Kassenfunktionären dieser Region auch gefällt –, muss man den Leuten schon auch Folgendes erklären:

Eigentlich entstehen die Defizite der Kassen prinzipiell einnahmenseitig. Die Kassen erfüllen nicht einmal das, was die Regierung ihnen aufgetragen hat, nämlich den Fortschritt nach dem Stand der wissenschaftlichen Forschung allen zukommen zu lassen. Es gibt keine Psychotherapie auf Krankenschein. Im Bereich der Neuro-Rehabilitation liegen teilweise 16-, 17-jährige Unfallopfer, auch junge Mädchen, Mopedfahrerinnen und Mopedfahrer nach Schädelhirntraumen in Altersheimen in Sechs- bis Achtbettzimmern neben 80-Jährigen, weil die Ausstattung mit Reha-Betten in Österreich leider zu spärlich ist.

Es fehlt die Dezentralisierung der Psychiatrie. Es fehlt eine gute Akutgeriatrie. Es fehlen Übergangspflegestationen für chronisch Kranke. Es fehlt an Geld in der Palliativmedizin. All das sollte den Leuten zugute kommen, und die Kassen können es vorläufig nicht bezahlen.

Einnahmenseitig entsteht das Defizit deswegen, weil die Leistungen zwar mit dem Wohlstand des Staates gestiegen sind, aber ihre Einnahmen sich aus den Löhnen und Gehältern ihrer Klientel lukrieren. Wenn ein Bundesland ein niedriges Lohnniveau hat, spürt das die Kasse, wenn es ein gutes Lohnniveau hat, spürt das die Kasse nicht oder nur positiv. Wenn Sie mir jetzt sagen, es sind die Kassenfunktionäre, die darüber zu entscheiden haben, wie das Lohnniveau des Bundeslandes ist, dann habe ich heute wirklich etwas Neues erfahren. (Beifall bei den Grünen.)

Dann hängt es auch davon ab, wie viele Mitversicherte ein Bundesland hat, für die die Kasse sozusagen zahlen muss, wie viele Mehrkinderfamilien es gibt, wie viele Pensionisten, die einen geringen Deckungsgrad haben – das ist aber auch gut so, Pensionisten gehören natürlich entlastet –, wie viele Arbeitslose, Zivildiener, Studierende und so weiter und so fort. Das alles schlägt sich im Kassendefizit nieder. Das hängt nicht davon ab, ob man gut managt oder nicht.

Ich frage Sie wirklich: Können Sie dafür sorgen, dass die Kassen auch in Zukunft ihren Auftrag erfüllen können? Aber nicht, indem Sie uns dauernd weismachen wollen, das ginge allein


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