Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 120. Sitzung / Seite 78

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Beispiel eins: Sie sagen, in Wien gebe es durchschnittlich zwei Lehrpersonen pro Klasse. – Ich mache einmal den Schwenk nach Vorarlberg, unser beider politisches Heimatland. Ich lese Ihnen etwas vor, was mir eine Bekannte gemailt hat, die am Poly in Feldkirch tätig ist:

Wir haben an unserer Schule heuer 35 Jugendliche mehr, aber zwei Lehrpersonen weniger. (Abg. Broukal: „Papperlapapp!“) Zwischendurch war einmal ein Kärntner da – also ein Lehrer aus Kärnten –, der plötzlich keine Anstellung in seinem Heimatland bekommen hatte, obwohl er ein Haus gebaut und zwei Kinder hat. Nach zwei Tagen konnte er doch zurück nach Kärnten – das gönne ich ihm! – und wir standen wieder lehrerlos da.

Wir unterrichten mit offenen Türen zwei Klassen gleichzeitig oder supplieren haufen­weise, dabei haben wir die Gruppen eh schon auf Höchstzahlen aufgestockt.

Ich habe jetzt wieder genug gejammert, es ist aber wie ein Schockzustand: Du ruderst wie ein Hamster.

Das ist die Ist-Zustandsbeschreibung einer Lehrerin aus einer Schule, an der – das bitte ich Sie, auch noch zu bedenken – ein Viertel der Schülerinnen und Schüler im zehnten Schuljahr ist, weil sie keinen Ausbildungsplatz bekommen, keine Lehrstelle, keinen Arbeitsplatz, also auch künftig keine weitere Ausbildung bekommen werden.

Beispiel zwei: Sie sagen immer wieder – ich zitiere Ihre heutige Aussage –, Zugangs­beschränkungen an den Unis gebe es nicht. – Einer Maturantin aus Bludenz ist es genauso ergangen wie dem Maturanten, den Kollege Broukal vorhin erwähnt hat: Auch sie wollte Medizin studieren, hat lauter Sehr gut im Zeugnis und bekommt keinen Studienplatz in Innsbruck, weil sie um einen Tag zu spät dran war – es war auch der 11. Juli.

So schaut die Realität aus, und, Frau Ministerin, da haben Sie geschlafen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Das können Sie jetzt nicht wegschieben: Sie haben lange genug gewusst, was die Rahmenbedingungen innerhalb der EU sind und wie Zugangsbeschränkungen sein dürfen und wie nicht. Das haben Sie schlichtweg verschlafen! (Abg. Broukal: Genau! „Papperlapapp!“)

Beispiel drei: Sie sprechen von 16 Prozent mehr Budget an den Universitäten. – Ein­mal angenommen, diese Maturantin hätte Medizin studieren können, so, wie sie es gerne wollte, sie wäre von Lektorinnen und Lektoren unterrichtet worden, die in der Stunde 15 € verdienen. 15 €! (Abg. Broukal: Brutto!) Und wissen Sie, was Sie dann noch zusätzlich unter Berufung auf die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen tun? – Sie stellen diese Lektorinnen und Lektoren dienstfrei, wenn Ferien sind – im Sommer und während der Semesterferien. Die sind dann weder krankenversichert noch pensions­versichert. Die können dann schauen, wie sie sich das finanzieren mit 15 € Stunden­lohn, Frau Ministerin. So schaut die Realität aus! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Broukal: „Papperlapapp!“)

Beispiel vier: Aus der Schule kämen keine Analphabetinnen und Analphabeten. – Frau Ministerin! Expertinnen und Experten schätzen: Es sind 300 000 Menschen in Österreich, die nicht lesen und schreiben können. Ein großer Teil ... (Zwischen­bemerkung von Bundesministerin Gehrer.) – Oja, Frau Ministerin! Ein großer Teil von ihnen war in der Schule! Sie haben es wieder verlernt.

Stehen Sie also nicht immer da und tun Sie nicht so, als gäbe es die Probleme nicht in Österreich, und werfen Sie uns nicht Jammerei vor! Wir haben Probleme, wir müssen sie sehen! Sie brauchen endlich ein Problembewusstsein in der Bildungspolitik, sonst


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