17.42

Abgeordneter Dr. Peter Kolba (PILZ): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle­gen! Liebe StaatsbürgerInnen vor den Fernsehschirmen, so Sie uns noch zusehen! Die Regierung hat uns heute, knapp vor Weihnachten, ihr Regierungsprogramm quasi auf den Gabentisch gelegt, und wir werden heute in dieser Sitzung diese Geschenke Pa­ckerl für Packerl aufmachen, hineinschauen und sehen, wer sich darüber freuen darf oder wer davor Angst haben muss. Sicherlich freuen können sich die Spender und Spenderinnen der Liste Kurz, denn die Geschenke für die Kapitalgesellschaften, für Superreiche, für Immobilienhaie und auch die Schonung der Steuerflüchtlinge sind Teil dieses Programms.

Im Programm zum Kapitel Wohnen zum Beispiel geht die Regierung davon aus, dass die wünschenswerteste Wohnform Eigentum sei. Im Wahlkampf war das ein bisschen flotter formuliert: Wer sich seine Miete nicht leisten kann, der soll sich halt eine Woh­nung kaufen – nicht Zelt, sondern Wohnung. Junge Menschen, die Mobilität brauchen, um ihre Ausbildung im Inland und im Ausland zu absolvieren, die Mobilität brauchen, um im Inland oder im Ausland zu arbeiten, und die wenig Geld haben, die vielleicht ne­ben dem Studium arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren, bekommen jetzt die Stu­diengebühren aufs Auge gedrückt und denen sagt man in höchst zynischer Weise, sie sollen sich besser Wohnraum in Form von Immobilien anschaffen.

Ich glaube, das ist nichts anderes als ein Zutreibeprogramm für die Immobilienhaie, die in den letzten Jahren Wohnungen und Grundstücke gekauft haben, Wohnungen sa­niert haben und diese jetzt an den Mann bringen wollen, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem Eigentumswohnungen so teuer sind wie nie. (Beifall bei der Liste Pilz.)

Die FPÖ hat im Austausch gegen die Kompetenz des Themas Sicherheit die Interes­sen der kleinen Männer und Frauen, die sie in ihren Wahlprogrammen so gerne vertre­ten hat, zur Gänze aufgegeben. Sie sagt Ja zu einer Klientelpolitik der ÖVP und wird dafür mit dem Innenministerium und dem Verteidigungsministerium belohnt. Und damit hat die FPÖ die Aufsicht über die bewaffneten Institutionen Polizei und Militär in die­sem Land und über alle drei Geheimdienste dieser Republik. Diese Machtfülle gerade für eine Partei, die immer wieder dadurch auffällt, dass sie sich nicht gegen rechts­rechte Ideologien und Gruppen ausreichend abgrenzt, erfüllt mich mit großer Sorge, und Herr Kurz wird die Verantwortung dafür zu übernehmen haben, wenn da Schaden für die Republik entsteht. (Beifall bei der Liste Pilz. – Abg. Rosenkranz: Also mir ist ein ordentlicher Geheimdienst auf ordentlicher Basis lieber als Ihr linkslinker Cluster!) – Sie können noch so schreien, ich werde weiter meine Rede halten.

Von den vorgeschlagenen Maßnahmen werden, wenn wir in das Becken hineinschau­en, die Ärmsten in Österreich nichts haben. Das untere Drittel der Einkommensbezie­herInnen bekommt nichts. Der großartig angekündigte Familienbonus wird für jene Fa­milien, die gar nicht ausreichend Steuern zahlen, um einen Absetzbetrag in Anspruch zu nehmen, nichts bringen. 40 Prozent der Kinder in Österreich werden davon schlicht und einfach nichts haben. Die alleinerziehenden Frauen, die StudentInnen, die Ärms­ten und Schwächsten unserer Gesellschaft werden von Ihnen unter einen Generalver­dacht gestellt, und es wird genau und detailliert beschrieben, was man diesen Men­schen wegnehmen will. Diese Detailliertheit finden Sie bei der Bekämpfung von Steuer­flucht nicht.

Asylwerber schließlich werden von Ihnen wie Schwerverbrecher behandelt, ihnen soll das Bargeld abgenommen und sollen die Handys gefilzt werden. Und der letzte Vor­schlag von dieser Woche war, dass man sie auch noch in Massenquartiere übersiedelt, damit die Integration ja nicht zustande kommt. Es ist eine wahre Schande, wie ein reiches Land wie Österreich mit Menschen auf der Flucht umgeht. (Beifall bei der Liste Pilz.)

Dabei sind die Giftzähne dieses Programms heute noch gar nicht auf dem Gabentisch. Im Programm lesen wir bei allen heiklen Punkten immer wieder von Evaluierung, Eva­luierung, Evaluierung. Das, was Sie wollen, ist Zeit gewinnen, Zeit gewinnen, Zeit ge­winnen, damit Sie die Landtagswahlen noch in einem Wohlfühlmodus hinter sich brin­gen können (Abg. Rosenkranz: Da haben Sie schon gekniffen!), und danach werden die österreichischen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen erst erkennen können, wel­che Giftzähne in Ihrem Programm noch verborgen sind. (Abg. Neubauer: Sie treten ja nicht einmal an bei den Wahlen!)

Wir werden heute in einer Reihe von Entschließungsanträgen die Nagelprobe machen, was aus Ihren Wahlprogrammen geworden ist und inwieweit Sie bereit sind, dringende Maßnahmen für österreichische Geschädigte des VW-Skandals doch noch umzuset­zen. Diese Maßnahmen, nämlich Sammelklagen in Österreich, gibt es als Regierungs­vorlage in den Schubladen des Justizministeriums seit 2007. Ich darf den Herrn Justiz­minister ersuchen, dass er sich im Ministerium auf die Suche macht, in welchen Schub­laden sie versteckt sind, aber es geht nicht an, dass Konzerne in Europa straflos arglis­tigen Betrug an den Konsumenten und den Behörden ausüben können. Es ist ein Staatsversagen in ganz Europa und eben auch in Österreich, dass dieser Konzern da­mit durchkommt. In den USA hat VW an Schadenersatz und Strafen über 20 Milliarden Euro bezahlt. In Europa gibt es ein intransparentes Softwareupdate und keinen Cent für die Geschädigten. Das kann nur deshalb so durchgehen, weil wir auf Betreiben der Wirtschaftslobby weder eine europäische noch eine österreichische Sammelklage ha­ben.

In Österreich wurde das von der ÖVP zwei Mal – jetzt nicht mehr – ins Regierungspro­gramm mitaufgenommen und nichts ist passiert, man hat eine Umsetzung immer un­terbunden. Jetzt wird für die Geschädigten dieses Skandals mit Ende dieses Jahres infolge von Verjährung die Möglichkeit ablaufen, die Händler zu klagen. Und im Sep­tember des nächsten Jahres wird die Möglichkeit enden, gegen den VW-Konzern in Deutschland Schadenersatzansprüche geltend zu machen.

Ich stelle daher folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Peter Kolba, Kolleginnen und Kollegen betreffend „ein Bundes­gesetz zur Änderung der Zivilprozessordnung zur Einführung einer Verbandsmuster­feststellungsklage mit Verjährungshemmung und eines Verbandsvergleiches auf der Ba­sis eines Opt-Out-Systems“

Der Nationalrat möge beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, effiziente zivilverfahrensrechtliche Instrumente zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen bei Massenschäden in Anlehnung an die rechtlichen Lösungen in den Niederlanden“ – das kann man sich anschauen, wenn man das Konzept gefunden hat – „zu erarbeiten und bis Frühjahr 2018 dem Parlament als Regierungsvorlage vorzulegen.“

*****

Diesem Antrag bitte ich Sie im Interesse von 340 000 durch den VW-Skandal ge­schädigten Österreichern und Österreicherinnen zuzustimmen. – Danke. (Beifall bei der Liste Pilz.)

17.51

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Peter Kolba, Freundinnen und Freunde betreffend ein Bundes­gesetz zur Änderung der Zivilprozessordnung zur Einführung einer Verbandsmuster­feststellungsklage mit Verjährungshemmung und eines Verbandsvergleiches auf der Ba­sis eines Opt-Out-Systems.

Eingebracht im Zuge der Debatte über den Tagesordnungspunkt 2 „Erklärung der Bun­desregierung“.

Der VW-Dieselskandal ist ein klassischer grenzüberschreitender (weltweiter) Massen­schadensfall. Während der VW-Konzern in den USA über 20 Milliarden Euro an Scha­denersatz und Strafen bezahlen musste, begnügt sich das zuständige deutsche Bun­deskraftfahramt damit, dass im Rahmen eines Rückrufes der Fahrzeuge nur ein Up­date der Betrugssoftware vorgenommen wird. Der VW-Konzern verweigert in Europa Zahlungen von Schadenersatz an seine getäuschten Kunden.

Hintergrund dafür ist der Umstand, dass es in Europa keine europaweite Sammelklage gibt und seit der Empfehlung der EU-Kommission vom 11. Juni 2013 Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadenersatzverfahren in den Mitglied­staaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten (2013/396/EU) die nationalen Rechtsordnungen nur unzureichende und sehr verschiedene Klagensysteme anbieten.

In Österreich gibt es nur die – seitens des VKI, RA Dr. Alexander Klauser und der FORIS AG – Anfang der Jahrtausendwende entwickelte „Sammelklage nach österrei­chischem Recht“ (OGH 12.7.2005, 4 Ob 116/05w). Dabei treten Geschädigte dem Ver­band ihre Ansprüche zum Inkasso ab und der Verband bringt gegen den Beklagten in Form einer Klagshäufung (§ 227 ZPO) nur eine Klage ein. Diese über die Jahre „taugli­che Krücke“ bei Massenschäden hat aber einige Nachteile. So verliert der Verband durch die Abtretung der Ansprüche der Geschädigten den „Verbrauchergerichtsstand“, d.h. das Recht den Schädiger mit Sitz im Ausland dennoch im Inland zu klagen.

Die Erfahrung des VKI zeigt, dass beklagte Schädiger das Interesse haben, Klagen so lange zu verschleppen, bis nicht geklagte Ansprüche sicher verjährt sind; erst dann sind sie zu Vergleichen bereit (siehe Sammelklagen und Mediation in Sachen Falschbera­tungen durch den Finanzdienstleister AWD – 2013). Das führt zu einer unnötigen Be­lastung der Gerichte und zu der jahrelangen Verzögerung von Lösungen auf dem Ver­gleichsweg.

In den Niederlanden gibt es ein sehr taugliches System einer Verbandsmuster-Fest­stellungsklage mit Verjährungshemmung für Ansprüche sämtlicher Geschädigter in Kom­bination mit der Möglichkeit einen Verbandsvergleich im Opt-Out-System abzuschlie­ßen (WCAM-Verfahren). Dabei klagt ein Verbraucherverband bzw eine gemeinnützige Ad-hoc-Stiftung den Schädiger auf Feststellung gemeinsamer Tat- und Rechtsfragen. Die Gruppe der Geschädigten (zB alle VW-Käufer seit dem Jahr XX) muss klar abge­grenzt werden. Die Ankündigung der Klage (bei nachfolgender Klage) unterbricht für sämtliche Geschädigte die Verjährung ihrer Ansprüche. Daher bringt es dem Schädiger nichts, Verfahren zu verzögern. Dadurch wird ein Anreiz zu Vergleichsverhandlungen gesetzt. Die Vergleichsverhandlungen finden zwischen dem Verband bzw der Stiftung und dem Schädiger statt und erfassen nun ebenfalls Schadenersatz an alle Geschä­digten, die sich nicht – in Kenntnis des Vergleiches – aus der Gruppe abmelden (opt-out). Dieser Vergleich muss vom Gericht geprüft und genehmigt und die Abwicklung überwacht werden.

Diese gesetzliche Regelung in den Niederlanden wurde sogar von der Wirtschaftsseite betrieben, weil eine rasche Lösung in vielen Fällen auch für das beklagte Unternehmen von Vorteil ist. Man kann Beschädigungen der Marke durch jahrelange Berichterstat­tung in den Medien vermeiden und sich hohe Rückstellungen in den Bilanzen ersparen.

In den Niederlanden hat vor wenigen Tagen die Stichting VW Car Claim den VW-Kon­zern mit einer Verbandsmusterfeststellungsklage in Anspruch genommen. Die Verjäh­rung der Ansprüche der niederländischen VW-Geschädigten ist damit in allen Fällen gehemmt. Sie werden alle, sollte es zu einem Vergleich kommen, zu berücksichtigen sein.

In Österreich wurden rund 340.000 VW-Käufer geschädigt. 28.000 haben sich beim VKI gemeldet, um Schadenersatz auch durchzusetzen. Der VKI kann es sich aber nicht leisten, sich derart viele Ansprüche abtreten zu lassen und dann – mangels Verbrau­chergerichtsstand – in Deutschland einzuklagen.

In Österreich läuft die Frist, binnen welcher VW-Händler auf den Einwand der Verjäh­rung verzichten, am 31.12.2017 ab. Weiters läuft die Verjährungsfrist von 3 Jahren für Schadenersatz gegen den VW-Konzern im Herbst 2018 ab. Ohne geeignete effiziente Klagsinstrumente werden die Ansprüche der meisten Geschädigten durch Verjährung untergehen.

Wenn viele Geschädigte Ihre Schäden wegen des Kostenrisikos und mangels einer Rechtsschutzversicherung untergehen lassen, kann der Schädiger den durch seine Un­rechtshandlung erzielten Gewinn behalten. Das hat zwei negative Anreize zur Folge: Der Schädiger sieht sich bestärkt, dass Unrecht sich lohnt und seine Mitbewerber wer­den ebenfalls zu solchen Methoden greifen. Im Interesse des Funktionierens des Mark­tes ist es daher gesellschaftlich notwendig, dass ein Unrechtsgewinn so gut es geht abgeschöpft wird.

In Deutschland will die CDU eine – dem niederländischen Modell ähnliche – Muster­feststellungsklage einführen; uU kommt diese noch rechtzeitig für Klagen gegen VW. Es gilt zu vermeiden, dass nur österreichische Geschädigte ohne Ersatzzahlungen über­bleiben. Daher ist rasches legistisches Handeln erforderlich.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat möge beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, effiziente zivilverfahrensrechtliche Instrumente zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen bei Massenschäden in Anlehnung an die rechtlichen Lösungen in den Niederlanden zu erarbeiten und bis Frühjahr 2018 dem Parlament als Regierungsvorlage vorzulegen.“

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Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Der soeben eingebrachte Entschließungsantrag ist genügend unterstützt und steht daher mit in Verhandlung.

Zu Wort ist nun Herr Abgeordneter Haubner gemeldet. – Bitte.