20.19

Abgeordneter Kai Jan Krainer (SPÖ): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist nicht die erste Regierungserklärung, die ich hier miterlebe, es sind ein paar Sachen aber anders als üblich. Üblicherweise hat es eine Regierungserklä­rung gegeben, in der der jeweilige Bundeskanzler das Regierungsprogramm erläutert und vorgestellt hat. (Rufe bei ÖVP und FPÖ: Etwas lauter!) Das lag dann auch wie die Rede auf allen Plätzen.

Ich habe es mir selbst ausgedruckt, und ich habe mir überlegt, wieso das nicht vorge­legt wird und wieso das nicht präsentiert wird. Ganz ehrlich gesagt, ich bin im Laufe der Debatte draufgekommen, wieso nicht: Es gilt nämlich nicht mehr, Teile davon gelten 48 Stunden später einfach nicht mehr.

Wir haben mitbekommen, dass eine Art Rauchersteuer vorgesehen war, die nun an­geblich wieder weg ist. Dann haben wir im Regierungsprogramm gelesen, dass diese Kürzung der Mindestsicherung weit unter das Existenzminimum nur für Asylwerber gel­ten soll.

Heute – wenn man genau zugehört hat, hat man das vernommen – hat der Klubob­mann der ÖVP jedoch gesagt: Das ist für die, die die letzten fünf Jahre nicht in Öster­reich waren. – Davon sind aber auch Österreicher betroffen. Wir kennen das ja aus Niederösterreich, wo es eine Reihe von Fällen gibt, bei denen Österreicher nun quasi unter die Asylregelung gefallen sind und mit nicht-existenzsichernden 500 Euro abge­speist werden (Zwischenruf bei der ÖVP), von denen man nicht leben kann. Daher wundert es mich nicht, dass das nicht ausgeteilt wird, denn es gilt in weiten Bereichen anscheinend nicht mehr.

Wenn man sich den Bereich der Budget- und der Finanzpolitik anschaut, dann fällt schon eines auf: Sie machen dort weiter, wo Sie in Wirklichkeit bei Schwarz-Blau I auf­gehört haben, denn Sie machen Klientelpolitik. Es gibt kleine Gruppen – das sind bei Ihnen halt die starken Lobbys oder die Großspender –, die Zuckerl bekommen, die Steu­ergeschenke bekommen. Das sind Hoteliers, das sind Vermieter, also Miethausbesit­zer, das sind Großgrundbesitzer und dergleichen. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.)

Am Beispiel der Hoteliers kann man es ja schön sehen – ja, da gibt es einen Vorschlag der ÖVP. Die Mehrwertsteuer für Hotels ist von 10 auf 13 Prozent erhöht worden, die gilt jetzt. Nun hätte man beobachten können, dass es ein großes Problem für Hoteliers gibt. Das ist jedoch nicht das, was wir beobachten. Das, was wir beobachten, ist näm­lich, dass wir einen Rekordsommer hatten. Wir hatten die meisten Ankünfte im Touris­mus in der Geschichte Österreichs. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Es war die beste Sommerauslastung. Es waren die höchsten Nächtigungszahlen seit 25 Jahren. Es gibt keinen einzigen Monat im Jahr 2017, in dem es nicht in Wien ein Rekordtourismusergebnis gegeben hat. Allein letztes Wochenende gab es kein freies Bett mehr in Wien. (Neuerliche Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 10 auf 13 Prozent war also kein existenzbedro­hendes Problem für den Tourismus. Da gibt es ganz andere Gruppen und Branchen, die wirklich unter Druck sind – ich rede nicht von Arbeitnehmern, sondern von Selb­ständigen. Aber für die machen Sie in diesem Programm gar nichts, weil sie anschei­nend nicht genug spenden oder halt auch keine vernünftige Lobby bei Ihnen haben. Leider sehen wir da Klientelpolitik, so wie wir sie kennen. (Zwischenruf des Abg. Neu­bauer, der ein Poster mit dem Foto des Abgeordneten Kern in die Höhe hält, auf dem steht: Für ihn erkämpft: 6 129,- EUR mehr Lohn!)

Und wer bezahlt diese Geschenke? – Die bezahlen Arbeitslose, Arme, Notstandshilfe­bezieher, Mindestsicherungsbezieher und die breite Masse, indem sie schlechtere Ge­sundheitsleistungen bekommt. Anders können Sie die Änderungen bei der AUVA nicht erklären. Sie können mir nicht erklären, dass 500 Millionen Euro bei der Unfallversiche­rung irgendwie in der Bürokratie versickern. Nein, Sie müssen bei den Leistungen spa­ren, das bedeutet schlechtere Leistungen für die breite Masse.

Es gibt eine Reihe von ganz, ganz wichtigen Herausforderungen, vor denen wir alle stehen. Das ist zum Beispiel der Klimawandel. Es findet sich in der Budget- und in der Steuerpolitik kein einziger Hinweis darauf, dass es im Steuersystem irgendeine Ökolo­gisierung geben soll – nicht einmal eine Fußnote gibt es dazu. Dabei brauchen wir das. Wir brauchen natürlich auch die Instrumente der Steuerpolitik, um beim Klimawandel einen Beitrag zu leisten, damit wir nicht noch mehr Flüchtlinge auf der Welt haben, denn wir werden dann nicht von ein paar Millionen, sondern von Hunderten Millionen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen, weil sie dort nicht mehr werden leben können. Und das wird nicht in 100 oder in 200 Jahren so sein, sondern in wenigen Jahrzehnten. Und dazu gibt es in diesem Regierungsprogramm nichts!

Das zweite große Megathema, das es gibt und das weltweit diskutiert wird – zum Bei­spiel von der OECD oder vom IWF –, ist das große Problem der steigenden Ungleich­heit bei der Verteilung von Vermögen, und zwar nicht nur deswegen, weil es ein morali­sches Problem ist, sondern auch deshalb, weil es immer mehr zu einem ökonomischen Problem wird. Man weiß nämlich, dass steigende Ungleichheit beim Vermögen – wenn eine immer kleinere Gruppe über das Vermögen verfügt – weniger Wachstum, weniger Arbeitsplätze und weniger Innovation in der Wirtschaft bedeutet. Und dazu finden wir in diesem Regierungsprogramm kein Wort!

Das dritte große Thema, das es gibt, ist nicht so sehr die Höhe der Steuer – über die kann man diskutieren –, sondern die Frage, wer welchen Anteil zahlt. Ein Riesenpro­blem, das wir haben, ist: Die Einkommen sind verteilt zwischen Arbeit und Kapital und Vermögen. Auf Arbeit kommen circa 60 Prozent des Einkommens und circa 40 Prozent sind für Kapital- und Vermögenseinkommensbezieher.

Wenn wir uns aber anschauen, wer welchen Teil der Steuer zahlt, dann wissen wir, dass Arbeit und Konsum 85 Prozent der Steuern bezahlen – sie bekommen zwar nur 60 Prozent vom Kuchen, zahlen aber 85 Prozent der Rechnung –, wohingegen Ver­mögens- und Kapitaleinkommen nur 15 Prozent der Rechnung bezahlen, während sie 40 Prozent vom Kuchen bekommen.

In den letzten zehn Jahren hat es eine Reihe von Schritten gegeben, bei denen Schritt für Schritt diese Quote verbessert wurde. Die war am Anfang, vor zehn Jahren, noch bei 88 zu 12 und ist mittlerweile nur noch bei 85 zu 15. Und anstatt weitere Schritte in diese Richtung zu machen, um dieses Verhältnis in eine vernünftige Form zu bringen, gehen Sie Schritte zurück. Das, was im Regierungsprogramm angekündigt ist, sind ein Paar Brosamen.

Eine absolut richtige Sache ist, wie wir mittlere Einkommen entlasten können. Wir re­den nicht von kleinen Einkommen. Ich weiß, aus der Sicht eines Nationalratsabgeord­neten sind 1 500 Euro, 2 000 Euro wenig, geringe Einkommen, aber das sind mittlere Einkommen. Bei kleinen Einkommen reden wir von 1 000 Euro, 1 100 Euro, 1 200 Eu­ro, 1 300 Euro, und die Bezieher dieser Einkommen haben von Ihrem Programm nichts!

Die, die etwas davon haben, sind die mittleren Einkommen von 1 500, 1 600, 1 700 Eu­ro – das sind mittlere Einkommen. Mag sein, dass das für viele hier gering ist – ja, aus der Sicht eines Nationalratsabgeordneten ist das gering, aber in der Realität sind das die mittleren Einkommen, und zwar in jener Realität, in der die Partei hier vis-à-vis angeblich sagt, dass sie das Sprachrohr für diese ist. Die Bezieher kleiner Einkommen aber haben nichts davon! Und was haben jene der mittleren Einkommen davon: 5 oder 6 Euro im Monat?

Wenn ich dann bedenke, dass Sie im Programm Ankündigungen für KöSt-Senkungen haben, für Senkungen von vermögensbezogenen Steuern, dann wird das nur dazu füh­ren, dass dieses Ungleichgewicht – nämlich das dritte Thema – eine Entwicklung in die falsche Richtung verursacht. Und das macht mir Sorgen. (Beifall bei der SPÖ.)

Da muss man sagen: Das ganze Programm sehe ich wirklich so, dass Klientelinteres­sen bedient werden, dass es zu einer Ausgrenzung von Armen, von Schwachen, von Asylanten, von Arbeitslosen kommen wird – ein Weg zurück, eine gestrige Politik. (Zwi­schenruf bei der FPÖ.)

Eine letzte Anmerkung muss ich noch machen: Wenn Sie davon reden, dass wir Men­schen nicht entlasten können, wenn sie keine Steuern zahlen – Sie meinen damit eine Steuer, nämlich die Lohn- und Einkommensteuer –, dann sollten Sie wissen, dass die Lohn- und Einkommensteuer in etwa 20 Prozent der Steuereinnahmen des Staates aus­machen, und 80 Prozent sind andere Steuern, vor allem Sozialabgaben und Konsum­steuern.

Bereits sechsjährige Kinder, die sich mit 1 Euro Taschengeld ein Eis kaufen, zahlen Steuern. Sagen Sie also nicht, dass jemand, der 1 300 Euro verdient, keine Steuern zahlt, denn die zahlen genauso viele Steuern und Abgaben im Verhältnis zu ihrem Ein­kommen wie Millionäre – wahrscheinlich sogar mehr. Im Verhältnis zahlt jeder – unab­hängig davon, wie viel er verdient – insgesamt circa 40 Prozent Steuern und Abgaben. Der eine zahlt halt viel Lohnsteuer, der andere Konsumsteuern und Sozialabgaben.

Wenn wir die Steuern für die Bezieher kleiner Einkommen senken wollen, dann geht das, denn die zahlen heute bereits Steuern, und sie zahlen nicht weniger als Sie und ich. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

20.28

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster gelangt Herr Abgeordneter Dr. Reinhard Eu­gen Bösch zu Wort. – Bitte.