10.58

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Geschätzte Damen und Herren auf der Galerie, vorm Fernseher und wo auch immer! Ja, sich auf die Ratspräsidentschaft zu freuen, das wäre schön. Ich habe mich eigentlich auf diese Ratspräsidentschaft schon lange ge­freut, aber ich bin jetzt etwas unsicher geworden. Eine Ratspräsidentschaft bietet Chancen und Risiken für ein Land, Chancen und Risiken auch für die Europäische Union. Man kann etwas weiterbringen, man kann das tun, was Kollege Karas ange­sprochen hat, aber man kann es auch schlecht machen.

In den letzten Wochen habe ich das Gefühl, die Tendenz, das schlecht zu machen, ist bei dieser Bundesregierung eher vorhanden als umgekehrt. (Widerspruch bei der ÖVP.) – Warum sage ich das? Ich erkläre es Ihnen, wenn Sie es nicht glauben. Es werden in dieser Union derzeit drei große Auseinandersetzungen geführt. Die erste Auseinandersetzung ist, dass sich eine Gruppe von Ländern herauskristallisiert hat, die so etwas wie eine doppelte Mitgliedschaft für sich entdeckt hat. Wie schaut diese dop­pelte Mitgliedschaft aus? – Die schaut so aus, dass sie Vollmitglied sind, wenn es et­was zu holen gibt; wenn es aber darum geht, Solidarität zu üben, dann hört sich diese Mitgliedschaft schnell auf, geschätzte Damen und Herren!

Witzigerweise beziehungsweise interessanterweise deckt sich diese zweite Gruppe mit einer Gruppe, die eine andere Auseinandersetzung führt, nämlich die Auseinander­setzung, ein Europa zu schaffen, in dem es keine sozialen Regeln mehr gibt, in dem es kein Arbeitsrecht mehr gibt, in dem es keine Kontrollen mehr gibt. Das sieht man ins­besondere bei der Transportwirtschaft, wo sich einige Staaten zu der sogenannten Road Alliance zusammenfinden mussten, um Sozialdumping zu unterbinden. (Präsi­dentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Wissen Sie, geschätzte Damen und Herren, wer in beiden Fällen der Anführer dieser Länder ist? – Das ist der Herr Orbán, jener Herr Orbán, dem Sie, die Bundesregierung, huldigen, geschätzte Damen und Herren. Da haben Sie sich den falschen Freund aus­gesucht! (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

Die zweite große Auseinandersetzung, die in dieser Europäischen Union geführt wird, ist die um die wichtigsten Grundwerte, würde ich sagen, nämlich um Demokratie, um Menschenrechte, um Rechtsstaatlichkeit. Und da gibt es wieder zwei Gruppen. Da gibt es die Gruppe von Ländern, bei denen ich immer dachte, dass Österreich vorne dazu­gehört, die Gruppe von Ländern, die für diese Prinzipien einstehen, die dafür kämpfen, dass in Europa Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheitlichkeit herrschen.

Und da gibt es wieder eine andere Gruppe von Ländern, geschätzte Damen und Her­ren, deren Anführer vor einiger Zeit gesagt hat – wörtlich –, wir müssen verstehen, wie China und Russland funktionieren. Was hat er damit gemeint? – Er hat damit gemeint, dass diese Systeme uns zum Vorbild gereichen sollen, geschätzte Damen und Herren. Er hat gemeint, dass das das ist, was die Europäische Union in Zukunft auch machen sollte. Er hat gemeint, dass die Politik, seine eigenen Bürger zu überwachen, dafür zu sorgen, dass es keine Freiheit gibt, vielleicht Vorbild für uns sein soll.

Geschätzte Damen und Herren und geschätzte Kolleginnen und Kollegen von der Freiheitlichen Partei! Wenn Herr Strache sagt: Wenn ich die absolute Mehrheit hätte, dann wäre Orbán mein Vorbild!, dann muss ich sagen, geschätzte Damen und Herren: Das ist für unser Land und für die Europäische Union mehr eine Drohung und kein Bo­nus. (Beifall bei SPÖ, NEOS und Liste Pilz.)

Sowohl Herr Bundesminister Blümel als auch Europaabgeordneter Karas haben es an­gesprochen: Die Ratspräsidentschaft auszuüben heißt auch, für die Weiterentwicklung der Europäischen Union zu sorgen. Über diesen vierten Vorschlag von Juncker kann man diskutieren. Man kann darüber diskutieren, wie man ihn genau ausfüllen kann, und man kann darüber diskutieren, welche Aufgaben auf nationalstaatlicher Ebene und welche Aufgaben auf europäischer Ebene zu erfüllen sind; über all das kann man reden. Aber wie ist das vereinbar – das frage ich Sie, Herr Bundesminister! – mit dem Umstand, dass Ihr Koalitionspartner im Europäischen Parlament mit einer Partei bezie­hungsweise einer Gruppe, die die Europäische Union zerstören möchte, eine Fraktion bildet, nämlich mit den Le Pens und Wilders dieser Welt?! Erklären Sie mir, wie das vereinbar ist, Herr Blümel! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Strolz.)

Ich habe Angst. Ich sage Ihnen offen: Ich habe Angst! Im „Handelsblatt“ steht heute – das ist nicht unbedingt eine sozialistische Hetzschrift –, dass die europakritischen Ge­meinsamkeiten von Kurz und Orbán betont wurden. Somit sendet diese Bundesregie­rung eindeutig ein Zeichen aus, in welche Richtung es ihrer Meinung nach für Öster­reich geht, geschätzte Damen und Herren – nämlich in Richtung Visegrád. (Zwischen­ruf bei der ÖVP.) Und das ist nicht die Richtung, die ich für unser Land möchte, und das ist nicht die Richtung, die ich für Europa möchte, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei SPÖ und NEOS.)

11.03

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Klubobmann Mag. Johann Gudenus. – Bitte.