16.57

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (PILZ): Herr Präsident! Erlauben Sie mir, be­vor ich zum Thema komme, ein paar Anmerkungen zu meinem Vorredner, Herrn Kol­legen Brückl, zu machen.

Herr Kollege, Sie wollen mit einer Senkung der Abgabenquote auf 40 oder sogar unter 40 Prozent, haben Sie gesagt, das Land wieder nach vorne bringen. Sie wollen die Leistungsträger dadurch entlasten. Ja, einen Vorgeschmack dessen, was Sie wollen, haben wir schon gekriegt: Das eine war die Entlastung über den Familienbonus, der verteilungspolitisch so wirkt, dass in der Tat die Leistungsträger mit niedrigem Einkom­men – und ich gehe hoffentlich mit Ihnen konform, dass das auch Leistungsträger sind; das beginnt bei den Pflegeberufen; ich nehme an, Sie meinen die auch (Abg. Brückl: Steuerzahler! Steuern kann nur zahlen, wer ...!) – von dieser Entlastung nicht profitie­ren.

Dasselbe, Herr Kollege, gilt bei einer zweiten Maßnahme, die Sie ins Auge gefasst ha­ben, um die Abgabenquote zu senken: Das ist die Entlastung über die Arbeitslosen­versicherungsbeiträge. Auch dazu kann ich Ihnen Folgendes sagen (Abg. Brückl spricht mit Abg. Rosenkranz) – hören Sie mir vielleicht zu, Sie können von mir etwas lernen! –: Auch da ist es so, dass das untere Einkommensdrittel nicht entlastet wird, und das betrifft natürlich auch jede Menge Leistungsträgerinnen und Leistungsträger.

Jetzt schauen wir noch ein bissl weiter! Von all dem, was im Wahlkampf in Ihren Pro­grammen gestanden ist – sowohl von der FPÖ als auch von der ÖVP, das war ja ziem­lich deckungsgleich –, habe ich vor allem eines mitgenommen: Es soll durch die Ent­lastung von nicht entnommenen Gewinnen massive Entlastungen im Bereich der Kör­perschaftsteuer geben, und da geht es vor allem darum – und das, glaube ich, verste­hen Sie unter Leistungsträgern –, jene zu entlasten, die üppig im Wahlkampf gespen­det haben. (Beifall bei der Liste Pilz.)

Ich meine zum Beispiel Herrn Stefan Pierer, der einige Hunderttausend Euro gespen­det hat, und der wird jetzt durch Ihre Steuerentlastung reichlich belohnt werden. Die Menschen im unteren Einkommensdrittel werden aber jene sein, die die Senkung der Steuer zu bezahlen haben werden, und zwar in Form von Kürzungen, vorwiegend im sozialen Bereich. (Abg. Brückl: Wir entlasten jene, die Steuer zahlen!)

Sie können mir glauben, ich werde Ihnen bei Ihrer Politik sehr, sehr genau auf die Finger schauen. Sie müssen erst beweisen – und ich bin a priori gar nicht schlechten Willens –, dass Sie wirklich alle LeistungsträgerInnen dieses Landes entlasten wollen. Das sind aber die niedrigen Einkommensempfänger im Besonderen, aber auch - - (Abg. Wöginger: Das schauen wir uns an!) Na ja, „das schauen wir uns an!“. – Bei Ihren jetzigen Maßnahmen tun Sie das eben genau nicht, Herr Kollege Wöginger. Sie tun das im Bereich des Familienbonus genau nicht! (Abg. Wöginger: Na, was denn?!)  Stimmt ja nicht! (Abg. Wöginger: Bis 1 900!) Jene, die keine Lohn- und Einkommen­steuer zahlen, profitieren nicht! (Abg. Rosenkranz: Bis 1 900!) Und was die Arbeitslo­senversicherung betrifft, so zahlen jene mit einem Gehalt bis 1 350 Euro keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (Zwischenruf des Abg. Wöginger), die können daher auch definitionsgemäß gar nicht davon profitieren. So schaut es aus! (Beifall bei der Liste Pilz.)

Jetzt komme ich zum eigentlichen Thema, zur kalten Progression. Gibt es im Bereich der kalten Progression Handlungsbedarf: ja oder nein? (Abg. Strolz: Ja!) Ja! Herr Kol­lege Strolz sagt: „Ja!“ – Ich stimme dem zu. Ich werde dann aber gleich sagen, dass es auch ein Aber dazu gibt.

Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht gebe ich Ihnen recht, da geht es darum, die Einkom­men möglichst stabil zu halten – aber alle Einkommen, nicht nur die Einkommen von Menschen, die Lohn- und Einkommensteuer zahlen. Bei der kalten Progression geht es wiederum nur um jene Menschen, die Lohn- und Einkommensteuer zahlen. (Präsi­dentin Bures übernimmt den Vorsitz.)

Die Abschaffung der kalten Progression hat aber auch einen verteilungspolitischen Effekt, das soll man nicht außer Acht lassen. Worin besteht dieser verteilungspolitische Effekt? – Er besteht darin, dass, wenn die Abschaffung der kalten Progression über die durchschnittliche Inflationsrate läuft – wie in Ihrem Vorschlag vorgesehen –, dies dazu führt, dass die oberen Einkommen überkompensiert werden und die niedrigen Einkom­men, die untere Einkommenshälfte, unterkompensiert wird. Warum ist das so? – Ich erkläre es Ihnen gleich, Herr Kollege Strolz: Die durchschnittliche Inflationsrate ist für die unteren Einkommen eine andere als für die oberen Einkommen. Für die unteren Einkommen ist der Warenkorb ein ganz anderer als für die oberen Einkommen. Wofür verwenden die Menschen mit den unteren Einkommen ihre Einkommen vorzugswei­se? – Um Lebensmittel zu kaufen, um Mieten zu bezahlen, und vielleicht fahren sie auch gelegentlich mit dem Auto und müssen tanken. Genau in diesen drei Bereichen haben wir die Preistreiber bei der Inflation in den letzten Jahren gehabt. (Abg. Strolz – den Kopf schüttelnd und mit der Hand eine Wellenbewegung machend –: Unterschied­lich über die Jahre!)  Sie schütteln den Kopf. Da gibt es aber eine Studie vom Institut für Ungleichheitsforschung an der Wirtschaftsuniversität Wien, die weist das, was ich Ihnen hier erzähle, genau nach. Das können Sie nachlesen. Ich kann Ihnen diese Stu­die gerne zur Verfügung stellen. (Abg. Strolz – wieder mit der Hand eine Wellenbewe­gung machend –: Zum Beispiel die Telefonkosten!)

Wenn Sie das also so machen, dann begünstigen Sie die Bezieher von oberen Ein­kommen, weil deren Warenkorb ein ganz anderer ist. Die geben beispielsweise relativ wenig Geld für Grundnahrungsmittel, Mieten und dergleichen mehr aus. Sie wohnen ja vielfach in Eigentumswohnungen und nicht in Mietwohnungen und geben mehr Geld für Freizeit, Kultur und anderes aus. Daher finde ich die Entlastung oder die Abschaf­fung der kalten Progression über die durchschnittliche Inflationsrate verteilungspolitisch mehr als problematisch. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Strolz.)

Warum ist das verteilungspolitisch problematisch? – Weil wir in den letzten 15 Jahren gesehen haben, dass zwischen den unteren und den oberen Einkommen eine Einkom­mensschere aufgegangen ist, und eine weitere Öffnung dieser Einkommensschere halte ich aus verteilungspolitischer Perspektive für völlig inakzeptabel. Daher kann ich Ihrem Antrag nicht zustimmen (Abg. Strolz: Der Antrag ...!), denn wenn man das macht, müsste man es differenzierter machen.

Im Übrigen würde ich eine Maßnahme bevorzugen, die mehr darauf schaut, im Zuge einer Steuerreform die niedrigen Einkommen stärker zu entlasten, schwächer werdend bis hin zu den oberen Einkommen. Das kann man machen. Wie? – Sie haben es ja schon in der letzten Legislaturperiode einmal andiskutiert: über einen sogenannten integrierten Tarif. Das ist das Einkommensteuermodell der Zukunft! Das hat Zukunft, nicht die Abgeltung der kalten Progression als einzelne Maßnahme! Wir brauchen ein Einkommensteuermodell mit Zukunft, in das auch verteilungspolitische Überlegungen miteinfließen.

Wenn wir schon darüber diskutieren, ob wir die kalte Progression abschaffen, dann müssen wir aber auch darüber diskutieren, ob wir nicht auch auf der Ausgabenseite Inflationsanpassungen bei den Transfers machen. Wenn schon, denn schon! Warum soll man dann nicht auch alle Leistungen auf der Ausgabenseite an die Inflationsrate anpassen? Denn: Da verlieren die Menschen ja auch von Jahr zu Jahr. Wen trifft das stärker? – Das trifft natürlich immer Menschen mit niedrigen Einkommen relativ stärker als Menschen mit hohen Einkommen.

Ja, für diese differenzierte Vorgangsweise stehe ich. Für ein Modell der Abschaffung der kalten Progression über die durchschnittliche Inflationsrate bin ich, ehrlich gesagt, nicht zu haben. Was mir an Ihrem Vorschlag schon fehlt, Herr Kollege Strolz – Sie haben ja von Nachhaltigkeit gesprochen –, ist Folgendes: Sie müssen mir auch erklä­ren, wie Sie die Abschaffung der kalten Progression finanzieren wollen. – Vielen Dank. (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ.)

17.05

Präsidentin Doris Bures: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Doris Margreiter. – Bitte.