12.20

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Wir haben es schon gehört, wir haben heute die sehr verantwortungsvolle Aufgabe, als Nationalrat jemanden vor­zuschlagen, der in Zukunft am Verfassungsgerichtshof sein Amt ausüben wird. Und um dieser verantwortungsvollen Aufgabe nachzukommen, haben wir mit sehr, sehr vielen Kandidatinnen und Kandidaten ein Hearing durchgeführt, es waren knapp 40 Per­sonen. Am Schluss waren es ein bisschen weniger, einer, der regelmäßig in der „Krone“ eine Kolumne schreibt, hat seine Bewerbung zum Beispiel zurückgezogen, und auch andere sind nicht zum Hearing gekommen. Wir haben unsere Aufgabe in diesen Hearings, die bei so vielen Kandidaten einigermaßen herausfordernd waren, dennoch, glaube ich, sehr verantwortungsvoll, sehr gut wahrgenommen.

Die Bundesverfassung ist sehr dünn, wenn es darum geht, was an und für sich not­wendig ist, um Mitglied des Verfassungsgerichtshofes zu sein. Es geht darum, dass man ein Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen hat und dass man eine zehnjährige Berufserfahrung einbringen soll. Was aus meiner Sicht wichtig ist, ist einerseits natürlich die fachliche Qualifikation, also dass man grundsätzlich ein Jusstudium haben sollte – aber das ist klar von der Verfassung vorgegeben –, ande­rerseits die Frage, was denn der Verfassungsgerichtshof braucht, ob es dafür beson­dere fachliche Qualifikationen braucht, aber aufgrund der aktuellen Zusammensetzung der Richter und Richterinnen vor Ort auch die Frage der Diversität, sei es, was das Alter und das Geschlecht betrifft, und eben die entsprechenden fachlichen Fragen.

Wir sehen, dass am Verfassungsgerichtshof immer weniger Zivilrechtler sind. Das ist eine Sache, die wichtig ist und die man ansprechen müsste. Wir sehen, dass immer weniger Frauen am Verfassungsgerichtshof sind. Wir sehen, dass es wenige junge Richterinnen oder Richter am Verfassungsgerichtshof gibt, und wir sehen auch, dass es keine Verzahnung mehr mit dem Obersten Gerichtshof gibt, was früher eigentlich normal war. Zivilrechtliche Expertise ist deshalb so wichtig, da durch die Geset­zes­beschwerde, die wir ja hier im Nationalrat beschlossen haben, auch immer mehr zivil­rechtliche Normen vor den VfGH gebracht werden und man daher in diesem Bereich besonders gute Kenntnisse haben sollte.

Wir hatten dieses Hearing und das Ergebnis war, dass wir meiner Meinung nach sehr, sehr viele großartige Kandidatinnen und Kandidaten hatten. Wir haben Koryphäen des Zivilrechts wie Professor Bydlinski da gehabt, der jedenfalls im Zivilrecht wirklich einer der Besten seines Faches ist. Wir haben sehr junge Professoren da gehabt, Profes­sor Perner und Professor Spitzer, auch ausgewiesene Zivilrechtsexperten, die vielleicht die Altersdurchmischung ein bisschen anders gestalten könnten. Wir hatten die Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer, Frau Dr. Prunbauer-Glaser, auch eine ausgezeichnete Zivilrechtlerin, Frau Mag. Baumann, Herrn Dr. Pürgy, wir hatten vom Obersten Gerichtshof Herrn Hofrat Dr. Gottfried  Musger, und wir hatten auch Kan­didaten, die eher der Freiheitlichen Partei nahestehen und bei denen ich gefunden haben, dass sie es im Hearing gut gemacht haben: Herr Dr. Rami wird im Bundesrat vorgeschlagen werden, Herr Rechtsanwalt Dr. Rohregger hat auch beim Hearing seine Argumente sehr gut vorgebracht.

Wir haben einen Kandidaten, der heute vorgeschlagen werden wird, der im Vorfeld schon eine gewisse Kritik abbekommen hat, unter anderem wegen seiner Mitglied­schaft bei einer Burschenschaft. Ich habe mich dazu nicht geäußert, das ist nach meiner Wahrnehmung seine Sache. Nach seinem Hearing ist aber ein wissen­schaft­licher Aufsatz von ihm an die Öffentlichkeit gekommen, in dem er – ich zitiere es noch einmal wörtlich, weil es so wichtig in der Debatte ist – schreibt: „Der EGMR kann [...] getrost als mitverantwortlich für die multikriminelle Gesellschaft bezeichnet werden [...].“

Herr Kollege Stefan und Herr Kollege Gerstl! Herr Kollege Stefan, Sie haben gesagt, er hat einen einzigen Makel, er ist von der FPÖ vorgeschlagen. Das ist nicht der Makel, den ich ihm vorwerfe. Mir geht es darum – und vielleicht auch zum Thema politisch-taktisch, ich mache hier kein politisch-taktisches Manöver –, dass wir die besten, ge­eig­netsten Kandidaten für den Verfassungsgerichtshof haben. Herr Kollege Gerstl hat gemeint, man wird ja noch seine Meinung sagen und sich wissenschaftlich auseinan­dersetzen können. Ich gebe Ihnen vollkommen recht. Ich habe meine Dissertation im Übrigen zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Zusammenhang mit Meinungsfreiheit geschrieben und habe dort auch Urteile des EGMR kritisiert. Die Frage ist, wie man es kritisiert und ob man im wissenschaftlichen Diskurs – der sicherlich der Großteil dieses Aufsatzes von Professor Hauer ist – kritisiert oder einem anderen Höchstgericht wortwörtlich vorwirft, dass es „mitverant­wortlich für die multikriminelle Gesellschaft“ ist.

Und das ist das, was ich kritisiere, dass jemand, der Mitglied eines Höchstgerichts werden will, einem anderen Höchstgericht, dem Wahrer der Grund- und Menschen­rechte in Europa sagt: Sie sind mitverantwortlich für die multikriminelle Gesellschaft. – Das ist das, was nicht geht. (Beifall bei NEOS, SPÖ und Liste Pilz.)

Folgendes halte ich für besonders schwierig, Herr Kollege Stefan: Sie haben ange­sprochen, dass die FPÖ damals dieses Hearing gefordert hat. Da kann man im Nach­hinein sagen, ich danke Ihnen dafür, mir wäre es noch lieber gewesen, das Hearing wäre medienöffentlich gewesen. Deshalb verstehe ich aber noch weniger, wieso Sie sich im Vorfeld größtenteils schon haben ausrichten lassen, wen Sie wählen sollen. Ich weiß schon – Sie kennen Professor Hauer wahrscheinlich, und ich habe auch ein paar von den Kandidaten gekannt –, man hat im Vorfeld schon eine gewisse Meinung, aber wenn man das Hearing wirklich ernst nimmt, dann schaut man sich an, wie die Leute im Hearing sind. Da gibt es einfach Kandidaten, die besser waren, und es gibt Kan­didaten, die waren nicht so gut. Daher verstehe ich nicht, wie man sich im Vorfeld als Abgeordneter dieses Hauses von der Bundesregierung de facto schon ausrichten lässt, wen man nachher wählen soll.

Das ist dann nämlich ein Problem, dass wir dieses Hearing nicht ernst nehmen und dass wir uns hier als Abgeordnete im Hohen Haus nicht ernst nehmen. Das kann ich nicht nachvollziehen, insbesondere, da Sie damals dieses Hearing offensichtlich durchgesetzt haben.

Es ist so, dass sich anhand des Hearings meiner Meinung nach – man kann unter­schiedlicher Meinung sein, das ist gar keine Frage – eine Person herauskristallisiert hat, die die bestgeeignete oder zumindest eine von zwei bestgeeigneten ist. Das ist aus unserer Sicht Herr Hofrat Dr. Gottfried Musger vom Obersten Gerichtshof, den wir hier heute auch vorgeschlagen haben. Es ist zusätzlich – vorgeschlagen durch die SPÖ – Frau Dr. Prunbauer-Glaser, die aus unserer Sicht auch ausgezeichnet wäre. Das wären die zwei besten Kandidaten für dieses Amt. Sie haben zwei Sachen gemeinsam, sie haben einerseits gemeinsam, dass sie hervorragend geeignet wären, und sie haben vor allem gemeinsam, dass sie einem anderen Höchstgericht nicht ausrichten, dass dieses Höchstgericht mitverantwortlich für die multikriminelle Gesell­schaft ist.

Und noch einmal: Das ist keine wissenschaftliche Aussage, dass jemand mitver­ant­wortlich für die multikriminelle Gesellschaft ist, das ist eine polemische Aussage, die an und für sich im wissenschaftlichen Diskurs nichts zu suchen hätte. Sagen darf es natürlich jeder, das ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Die Frage, die wir aber heute als Abgeordnete dieses Hauses beantworten müssen – und das sind insbe­son­dere die Abgeordneten der ÖVP –, ist, ob Sie lieber jemanden im Verfassungsgerichts­hof sitzen haben, der dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem Wahrer der Freiheitsrechte, der Grundrechte, der Rechtsstaatlichkeit in Europa ausrichtet, dass er schuld und mitverantwortlich an der multikriminellen Gesellschaft ist, oder ob Sie lieber jemanden im Verfassungsgerichtshof sitzen haben, der solche Ansichten nicht hat.

Ich bin der Meinung, es ist besser, wir haben Leute dort, die nicht dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorwerfen, dass er mitverantwortlich an der multi­kriminellen Gesellschaft ist. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

12.27

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Alfred Noll. – Bitte.