10.37

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren auf der Galerie und vor den Fernsehgeräten! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, Sie haben es gesagt, der Titel der Aktuellen Europastunde lautet: „Ein Europa für die Menschen und nicht für die Konzerne, Herr Bundeskanzler!“ – Dass Sie (in Richtung ÖVP) das gut finden – er ignoriert Sie ja genauso wie uns, geschätzte Damen und Herren von den Regie­rungsparteien –, dass Sie als Abgeordnete das gut finden und verteidigen, diesen Zugang verstehe ich überhaupt nicht. (Beifall bei SPÖ, NEOS und Liste Pilz.)

Noch dazu hatte der Herr Bundeskanzler Zeit, um in der Früh beim Ministerrat (Abg. Winzig: Der Flieger ist um 10 Uhr gegangen!) Ceta durchzupeitschen. Für das, was Sie hier mit Ceta vorhaben, geschätzte Damen und Herren, gibt es zwei Wörter: Verrat und Ignoranz (Heiterkeit bei ÖVP und FPÖ), und zwar ein doppelter Verrat, geschätzte Damen und Herren: Verrat an den Wählerinnen und Wählern dieser Koalition (Beifall bei SPÖ und Liste Pilz), Verrat an den Wählerinnen und Wählern vor allem der FPÖ (Zwischenrufe der Abgeordneten Schimanek und Stefan – Abg. Kassegger: Wer hat’s unterschrieben?) und Verrat am demokratischen Rechtsstaat, geschätzte Damen und Herren Abgeordnete; und Ignoranz gegenüber einem Verfahren, das derzeit am Europäischen Gerichtshof läuft und das man eigentlich abwarten müsste, Ignoranz gegenüber einem Verfahren, das beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe läuft, und Ignoranz – und das ist mir das Wichtigste – gegenüber der Tatsache, dass der Kern dieses Abkommens (Abg. Rosenkranz: Was ist mit Kern? – Zwischenrufe der Abgeordneten Hauser und Rädler – anhaltende Zwischenrufe bei der FPÖ – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen), nämlich die Investor-state dispute settlement clauses, die ISDS, die Geheimtribunale, gerade verhandelt wird. Und es war immer der Zugang der SPÖ, solange das nicht weg ist, hätten wir nie zugestimmt, geschätzte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić. – Abg. Rosenkranz: Seit wann wird Maschek live eingespielt?)

Der Bundeskanzler, Ihr (in Richtung ÖVP) Bundeskanzler, ist mit dem Motto Zeit für Neues angetreten. Das, was Sie jetzt tun, ist nicht nur retro, geschätzte Damen und Herren, das ist Zeit für Uraltes (Abg. Gudenus: Die Retropartei SPÖ!), das sich über­holt hat. So schaut’s aus! Stützen Sie nicht ein altes System (Ruf bei der FPÖ: Die Sozialdemokratie hat sich überholt!), das Rechtsmissbrauch, das das Aushöhlen des demokratischen Prinzips, das Aushöhlen des Rechtsstaates fördert!

Wieso sehe ich das so? (Zwischenruf des Abg. Neubauer. – Abg. Rosenkranz: ... die Brille nicht geputzt haben!) Was war, geschätzte Damen und Herren, der ursprüngliche Sinn dieser ISDS? Jetzt hören Sie einmal zu, dann lernen Sie noch etwas! (Abg. Schimanek: Nein! Nein! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Das war ein Institut, das Investoren begünstigt hat, die in rechtsunsicheren Ländern investiert haben. Davon haben beide profitiert: die Investoren, weil sie besser geschützt waren, und die Länder, die Investitionen bekommen haben. (Abg. Rosenkranz: Also Sie halten mir keine Völkerrechtsvorlesung, Sie nicht! Dafür sind Sie zu schwach ...!) – Herr Rosenkranz, reden Sie nicht dauernd drein, Sie kommen ja auch noch irgendwann einmal dran! (Beifall bei der SPÖ.)

Dieses System hat sich aber zu etwas entwickelt, geschätzte Damen und Herren, das massiv abzulehnen ist. Was ist daraus geworden? – Hoch bezahlte Anwälte ent­scheiden in Geheimtribunalen über Klagen von Konzernen. (Abg. Rosenkranz: Nein! – Abg. Winzig: ... hat sich das geändert!) Und was ist herausgekommen? – Philip Morris klagt beispielsweise gegen Nichtraucherschutz in Australien. Ja, das ist für euch lustig, gegen Nichtraucherschutz klagen, aber für Demokraten nicht, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.) ‎Julius Meinl, die Meinl Bank klagt Österreich, weil Herr Meinl strafverfolgt wird. Was heißt denn das überhaupt? (Abg. Winzig: Wie ist es ausgegangen?) – Sie haben zwar verloren, aber 100 000 Euro an Prozesskosten jeden Monat hat die Republik gezahlt, Frau Kollegin; das ist ja auch nicht nichts, oder? (Abg. Winzig: Schauen Sie sich einmal die Anfrage an! – Zwischenruf des Abg. Haubner.) Das sind die Klauseln.

Diese Tribunale ermöglichen es weltweit agierenden Konzernen (Ruf bei der ÖVP: Das haben Sie in Brüssel ...!), demokratische Gesetzgebung vorzubeeinflussen, diesen Konzernen wird es ermöglicht, bestehende Gesetze (Abg. Winzig: Ist ja gar nicht wahr!) vor Privattribunalen anzufechten, und das ist nicht nur demokratisch bedenklich, das ist auch ungerecht (Zwischenruf des Abg. Rädler), denn der Bürger, die Bürgerin bei uns in Österreich hat diese Möglichkeit nicht.

Was soll ein pflegebedürftiger Pensionist tun, wenn er keine Pflegerin mehr findet, weil durch die Indexierung der Familienbeihilfe weniger Pflegerinnen zu uns kommen? – Er kann nirgends hingehen! Was soll eine junge Familie tun, die nicht jedes Mal, wenn sie ins Gasthaus geht, durch Rauchschwaden gehen will? – Sie kann nichts tun! Was kann der 55-Jährige tun, der durch den Wegfall der Aktion 20 000 keine Arbeit mehr hat und der nicht 12 Stunden täglich, 60 Stunden in der Woche arbeiten will? – Er kann zum Salzamt gehen, geschätzte Damen und Herren, und sonst nirgends hin! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Zadić. – Zwischenruf des Abg. Neubauer. – Abg. Stefan: Zur Wahl gehen! Er kann wählen! ... Rechtsstaat! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Und darum ist das ungerecht! (Abg. Neubauer: 400 000 Arbeitslose ... hinterlassen! Eine Schande!)

Dass der alte Mann, der Pflege braucht, dass die junge Familie, dass der ältere Arbeitslose der ÖVP egal sind, das wissen wir, geschätzte Damen und Herren (Abg. Stefan: Dass man nicht mehr wählen darf, habe ich nicht gewusst!), aber was ist mit der FPÖ los? Was ist mit der FPÖ los? (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Da, schauen Sie einmal (eine Tafel in die Höhe haltend, auf der Heinz-Christian Strache zu sehen ist und die den im Folgenden zitierten Text enthält): „Weil es um Österreich geht: Verbindliche Volksabstimmung“ – ich meine: „Verbindliche Volksabstimmung“; eine Volksabstimmung ist verbindlich, aber das ist Ihre Sache (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie Beifall bei Abgeordneten der Liste Pilz) – „zu Ceta und TTIP“.

FPÖ, was ist mit euch?! Sagt mir, was ist mit euch?! Herr Strache, Herr Rosenkranz, Herr Gudenus! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz. – Zwi­schenrufe bei ÖVP und FPÖ.) Jetzt schauen Sie in den Computer und Ihnen fällt nichts mehr ein, aber schon gar nichts! (Zwischenrufe der Abgeordneten Nehammer und Stefan.) Ich frage Sie von der FPÖ jetzt: Können Sie Ihren Wählern noch mit gutem Gewissen – ich rede jetzt mit der FPÖ – ins Gesicht schauen (Abg. Gudenus: Lach­nummer der Nation!), können Sie demjenigen, der in der Früh aufsteht und hart arbeiten muss, ins Gesicht schauen? (Abg. Rädler: ... Alkohol im Spiel!) Können Sie sich selber in der Früh noch in den Spiegel schauen? – Nein, das können Sie nicht guten Gewissens, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und bei Abge­ordneten der Liste Pilz. – Abg. Haider: Haben sie dir heute die großen Tabletten gegeben? – Weitere Zwischenrufe bei FPÖ und ÖVP. – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen.)

Indem - - (Abg. Rädler: Strolz-Kopie! – Abg. Nehammer: Das kann der Strolz besser!) – Ich habe jetzt mit der FPÖ geredet, Herr Kollege! (Abg. Höbart: Das ist eine Show heute!)

Indem Sie diesem Beschluss - - (Ruf: Mach schnell, damit deine Tabletten noch wir­ken ...!)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Herr Abgeordnete ist am Wort. – Bitte. (Ruf: Bäume umarmen muss er noch lernen! – Zwischenruf der Abg. Schimanek. – Ruf: Der Abgeordnete ist am Urschrei! – Ruf bei der ÖVP: ... Kern schon alles gesagt!)

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (fortsetzend): Indem Sie diesem Beschluss der Bundesregierung folgen wie die Lämmer auf der Schlachtbank (Ruf: Na, Moment jetzt!), werden Sie, geschätzte Damen und Herren, zum Verräter, zur Verräterin (Abg. Rosenkranz: Sogar das wird gegendert!) an Ihren Wählern, Ihren Wählerinnen und an unserer Demokratie! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Liste Pilz.)

10.44

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist der Herr Bundesminister für Europäische Union, Kunst, Kultur und Medien. – Bitte.