10.44

Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien im Bundeskanzleramt Mag. Ger­not Blümel, MBA: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Liebe Zu­seherinnen und Zuseher auf der Galerie und zu Hause! Ich glaube, das Thema dieser Aktuellen Europastunde ist zumindest ein Anlass, über eine mögliche Zukunft der Europäischen Union nachzudenken und zu diskutieren, und so sollte man es auch verstehen.

Für meine Generation ist das gemeinsame europäische Projekt, die Europäische Union, genauso wie auch für fast alle auf der Galerie, eine Normalität. Wir kennen es kaum anders. Als ich mit der Matura fertig war, ist kurz danach der Euro eingeführt worden, ich bin per Interrail durch ein grenzenloses Europa gefahren, ich habe am Erasmus-Programm teilnehmen dürfen, und für mich ist die Europäischen Union, ist Europa so viel Heimat wie ein Bundesland in Österreich. Ich war wahrscheinlich öfter in Brüssel als in Vorarlberg – nichts gegen Vorarlberg –, auch schon vor meiner Zeit als Bundesminister.

Es ist eine Selbstverständlichkeit für uns alle geworden, und diese Selbstver­ständ­lichkeit ist auf schockierende Art und Weise an dem Tag aufgelöst worden, als sich Großbritannien dafür entschieden hat, die Europäische Union zu verlassen – was unmöglich erschienen ist, weil wir alle gesagt haben, dieses Friedensprojekt, das Wohlstand gebracht hat, an dem wir alle so hängen, ist so gut. Auf einmal hat sich ein Land dafür entschieden, die Europäische Union zu verlassen. Das war ein Schock für mich persönlich, für viele, und sogar jene, die diesem gemeinsamen Europa skeptisch gegenübergestanden sind, haben gesagt: Puh, das wollten wir eigentlich nicht!

Der Brexit hat eindrucksvoll gezeigt, was passiert, wenn Populismus Realität wird, meine sehr geehrten Damen und Herren, und was Populismus ist, das hat uns Herr Leichtfried jetzt gerade eindrucksvoll vor Augen geführt – und daraus sollten wir lernen, in diese Richtung sollten wir nicht gehen! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Die Aktuelle Europastunde ist ein guter Anlass dafür, zu überlegen, wie wir in eine richtige, in eine gute Zukunft für die Europäischen Union gehen, und wir sollten aus diesem Schock des Brexits lernen. Wir sollten nicht einfach nur sagen: Das ist jetzt passiert, machen wir weiter wie bisher! Nein, im Gegenteil: Wir sollten uns genau an­sehen, was die Gründe waren, die zu diesem Austritt Großbritanniens geführt haben. Es ist recht evident: Das waren Ängste der Menschen in Großbritannien betreffend Migration, betreffend Wohlstandsverlust, das subjektive Sicherheitsempfinden war schlecht. Da kann man jetzt einfacherweise sagen, dass die Fakten ja dagegen­sprechen und das doch alles gar nicht so sei, aber es ist der falsche Weg, die Ängste der Bevölkerung nicht ernst zu nehmen; es ist der falsche Weg, so zu tun, als würde das eh alles gar nicht stimmen, als wäre das diffus und subjektiv. Wer die Ängste der Menschen nicht ernst nimmt, der gefährdet dieses Europa wirklich, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Genau deswegen müssen wir daraus lernen, und genau deswegen müssen wir das einhalten, was wir auch immer sagen: dass Europa bei den wichtigen Themen größer werden muss, die großen Probleme lösen muss und sich weniger um die kleineren Dinge kümmern soll. Wenn es dann aber ein großes Problem zu lösen gibt, dann müssen wir auch liefern. Das war eines der großen Probleme während der Migra­tions­krise: Es gab ein großes Problem, und die Europäische Union hat es nicht gelöst. Das war so etwas wie ein Sündenfall, und daran müssen wir arbeiten, dass so etwas nie mehr vorkommt, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

Genau aus diesem Grund hat sich die österreichische Bundesregierung für die Rats­präsidentschaft das Motto „Ein Europa, das schützt“ vorgenommen und drei Schwer­punkte dargelegt, durch die wir die Zukunft der Europäischen Union wesentlich mitge­stalten wollen: Schutz vor illegaler Migration; Schutz des Wohlstands durch eine Ver­tiefung des Binnenmarkts und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit; und Schutz durch Stabilität in der Nachbarschaft. Das sind die drei Schwerpunkte, die unsere Antwort, die die Antwort der Bundesregierung auf Europaskeptizismus sein werden.

Wir liegen damit goldrichtig, denn der Schutz der Außengrenzen ist jetzt mittlerweile in aller Munde. Wir wollen diesen während unserer Ratspräsidentschaft vorantreiben, wir wollen den Kampf gegen die illegale Schlepperei führen, gemeinsam in einem Europa. So können wir sicherstellen, dass dieser Themenkomplex wirksam angegangen wird.

Der zweite Teil: Schutz des Wohlstands; die Wettbewerbsfähigkeit muss gestärkt werden, das bedeutet auch ein Fair Play für alle Marktteilnehmer. Es kann also nicht sein, dass sich digitale Großkonzerne davor drücken, Steuern zu zahlen. Ganz im Gegenteil! Sie müssen genau dieselben Voraussetzungen haben wie jedes kleine und mittlere Unternehmen, jeder Familienbetrieb, die brav ihre Steuern zahlen; auch Google und Facebook müssen ihre Steuern zahlen. Wir wollen den Binnenmarkt vertiefen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Das bringt auch jedem einzelnen Bürger, jeder einzelnen Bürgerin etwas.

Nur ein Beispiel: Wenn Sie Streamingplattformen nutzen – ich weiß nicht, Netflix oder was auch immer –, in Österreich eine Serie schauen, etwa „Game of Thrones“, und in ein anderes europäisches Land fahren und feststellen, es gibt die Serie auf einmal nicht mehr, dann fragen Sie sich: Warum, ich kann mich doch ganz normal ein­loggen? – Das ist halt so, weil es noch keinen gemeinsamen Binnenmarkt gibt. Wenn wir das sicherstellen, werden auch diese Probleme der Vergangenheit angehören.

Wir wollen durch Förderungen aus der Europäischen Union auch den Mehrwert för­dern, deswegen: mehr Geld für bäuerliche Familienbetriebe, und nicht für Großkon­zerne, die es für die Überlebensfähigkeit nicht brauchen. Das ist der Mehrwert, den wir auch meinen, wenn wir sagen, Wohlstand gehört geschützt.

Der dritte Bereich: Schutz durch Stabilität in unserer unmittelbaren Nachbarschaft; das heißt, wir wollen eine Perspektive für den Westbalkan aufrechterhalten. Wir wollen, dass auf Sicht irgendwann einmal alle Staaten in Südosteuropa auch Teil der Euro­päischen Union sind, denn wir können uns entscheiden, ob wir Sicherheit und Stabilität exportieren oder Instabilität importieren wollen. Wir wollen den ersten Weg gehen, und deswegen sagen wir, es braucht eine klare Beitrittsperspektive für alle Staaten am Westbalkan, da wollen wir während unserer Ratspräsidentschaft wesent­liche Schritte vorwärts gehen. Ich bin froh, dass die Berichte der Kommission, was den Fortschritt der Staaten betrifft, sehr, sehr positiv waren. Wir hoffen, dass wir mit Serbien und Montenegro neue Verhandlungskapitel eröffnen können. Wir hoffen, dass wir während unserer Ratspräsidentschaft die Beitrittsgespräche mit Albanien und Mazedonien eröffnen können. Das bedeutet, dass wir Stabilität exportieren, und alles, was für den Balkan gut ist, ist auch für Europa gut.

Schlussendlich: Subsidiarität, ein wesentlicher Aspekt, der sich durch alle österreichi­schen Ratspräsidentschaften durchzieht; auch darauf wollen wir einen eigenen Schwerpunkt legen.

Zusammengefasst: Der österreichische Vorsitz gibt die richtigen Antworten auf die Fragen, die von der Bevölkerung gestellt werden, und genau so werden wir Europa in eine gute Zukunft bringen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und FPÖ.)

10.52

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Frau Abgeordnete Winzig ist zu Wort gemeldet. – Bitte.