12.45

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Frau Präsidentin! Herr Bundes­kanzler Kurz! Frau Bundesministerin Köstinger! Sehr geehrte Bundesminister! Ich glau­be, es gibt zwei Möglichkeiten, wie man über die bevorstehende Ratspräsidentschaft diskutieren kann: Das eine ist die Frage der großen Vision für Europa, die Frage, die schon angesprochen wurde, was denn die Seele Europas sein soll. Ich finde den Dis­kurs mit der Bundesregierung einigermaßen schwierig, weil ich die große Vision nicht sehe – ich glaube, es ist eher ziemlich visionslos. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Was man aber machen kann, ist, über die Details zu diskutieren. Ein wesentlicher Teil sollen ja die Themen ein Europa der Sicherheit, ein Europa des Rechts sein. Wenn man sich aus dem Programm des österreichischen Ratsvorsitzes das Kapitel „Rat Jus­tiz und Inneres“ ausdruckt, so erhält man grundsätzlich einmal neun Seiten, wenn man dann die Bilder abzieht, sind es sieben Seiten, und wenn man sich ganz genau an­schaut, wo es um Asyl und Migration geht, bleibt eine Seite mit sieben Zeilen, und das ist im Wesentlichen Prosa. Was mir fehlt, sind ganz konkrete Maßnahmen. Ein paar wurden heute von Bundeskanzler Kurz angesprochen – es gibt aber auch viele andere Maßnahmen, die jetzt schon von der bulgarischen Ratspräsidentschaft angesprochen wurden, auf die keine Antwort gegeben wird. Ein wesentlicher Punkt, der von der bul­garischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagen wurde, ist beispielsweise der europawei­te Entlastungsschlüssel: Darauf haben Sie, Herr Bundeskanzler, zumindest heute – und auch in diesem Papier – keine Antwort gegeben.

Jetzt weiß ich, wenn man zwischen den Zeilen liest, was Sie davon halten, und Sie haben ja auch gesagt, man solle die anderen Mitgliedstaaten nicht belehren, wie sie innerhalb der Europäischen Union agieren sollen. Es geht aber um eine wesentliche Frage: Will ich Österreich im Zusammenhang mit der Migrationskrise entlasten? Wir wissen alle, wir haben in Österreich besonders viele Flüchtlinge aufgenommen. Wenn es einen fairen Verteilungsschlüssel gäbe, dann müssten auch andere Länder inner­halb der Europäischen Union mehr Flüchtlinge aufnehmen und nicht nur wir.

Jetzt höre ich immer, man solle die anderen nicht belehren, aber was ich dabei nicht verstehe, Herr Bundeskanzler: Wir sind in der Europäischen Union in einer Wertege­meinschaft, und wenn man sich ernsthaft mit seinen Partnern auseinandersetzt, geht es nicht darum, den anderen zu belehren, sondern darum, dass man gemeinsam ver­sucht, diese Werte zu diskutieren. Es geht auch darum, dass Solidarität keine Ein­bahnstraße ist; es kann nicht sein, dass Ungarn, Polen und andere Länder jahrelang von der Europäischen Union profitiert haben und sich dann, wenn es darum geht, sich auch einmal solidarisch zu zeigen, einfach wegducken. Ihre Argumentation dazu ist: Na ja, wir sollen sie nicht belehren!, aber es braucht einen ernsthaften Diskurs dazu! (Beifall bei NEOS, SPÖ und Liste Pilz.)

Man muss ja den Österreicherinnen und Österreichern erklären, wieso die österreichi­sche Bundesregierung dagegen ist, dass andere Staaten mehr Flüchtlinge und wir dementsprechend weniger Flüchtlinge aufnehmen. – Das muss man erklären, aber das sind Sie hier schuldig geblieben!

Klubobmann Wöginger hat dann gesagt, es gehe immer um Rechte und Pflichten, auch im Zusammenhang mit dem Brexit. Das sehe ich auch so. Ein Teil der Rechte und Pflichten ist halt auch die europäische Solidarität! Da geht es eben genau darum, dass man sich nicht, wie von Klubobmann Wöginger angesprochen, die Rosinen he­rauspicken kann und dann nichts tut, wenn es um Solidarität geht. Genau dasselbe wie im Zusammenhang mit dem Brexit, hinsichtlich dessen wir es auch ablehnen, dass Großbritannien sich nur die Rosinen rauspickt, gilt im Zusammenhang mit der Flücht­lingsfrage: Wir müssen alle gemeinsam agieren, und gemeinsam können wir eine Lö­sung schaffen!

Wenn es um den europäischen Grenzschutz geht, sind wir einigermaßen einer Mei­nung: Wir brauchen starke Außengrenzen, die gesichert gehören. Da bin ich auch sehr froh über das Bekenntnis zu mehr Mittelausstattung für Frontex, denn ein wenig mehr wird da nicht reichen; deswegen halte ich auch das Commitment diesbezüglich für sehr richtig. Herr Bundeskanzler, Sie müssen halt leider in diesem Zusammenhang auch mit Ihrem Vizekanzler Strache reden: Wenn nämlich der Herr Vizekanzler nach Brüssel fährt und Frontex vorwirft, das wäre eine einzige „Schlepperorganisation“, dann werden sich die Frontex-Beamten, die nun aufgestockt werden, nicht sonderlich freuen! So wird es nicht weitergehen. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Was wir auch unbedingt brauchen, sind ernstzunehmende Rückführungsabkommen mit den Ländern, aus denen Menschen nach Europa kommen, die keinen Schutzstatus genießen. Dazu steht im Papier ein bisschen etwas drinnen, etwa das Less-for-less-Prinzip. Wir haben immer wieder vorgeschlagen, Mittel der Entwicklungszusammenar­beit für jene Länder drastisch zu kürzen, die ihre Angehörigen nicht zurücknehmen, wenn kein Schutzstatus besteht, wenn es um sichere Drittstaaten geht, beispielsweise Marokko. Auch da könnten Sie in den nächsten Monaten zeigen, dass man entspre­chend etwas voranbringt.

Was man auch brauchen würde, wären gemeinsame europäische Erstaufnahmezen­tren, natürlich an den Außengrenzen, an denen natürlich eine europäische Asylbehör­de diese Asylverfahren abwickelt. Ich weiß, dass Sie da mit Ihrem Koalitionspartner ein Problem haben, die FPÖ hat dann immer Angst, dass ein portugiesischer oder ein spanischer Beamter über Asylverfahren entscheidet – diese Angst habe ich persönlich nicht. Ich glaube, es ist zwingend notwendig, dass wir bei diesem Thema gemeinsam europäisch vorgehen und noch an den Außengrenzen entscheiden, ob jemand über­haupt ansatzweise die Möglichkeit hat, Schutz bei uns zu bekommen, oder nicht.

Herr Bundeskanzler, Sie kennen die Konzepte. – Mir ist das, was im Programm des ös­terreichischen Ratsvorsitzes steht, ein bisschen zu wenig; Sie haben mündlich mehr gesagt. Mir wäre wichtig, und das ist quasi die Hoffnung für das nächste halbe Jahr, dass Sie in den nächsten sechs Monaten wirklich den Beweis liefern, dass das nicht nur markige Sprüche in vielen Bereichen sind, sondern dass ganz konkrete Taten fol­gen.

Jetzt ist das Licht auf Österreich gerichtet: Wenn wir es schaffen, in diesen sechs Mo­naten im Zusammenhang mit der Asyl- und Migrationskrise einiges voranzubringen, ei­nen wirksamen Außengrenzschutz zu implementieren, ein gemeinsames europäisches Asylsystem zu implementieren, dann können Sie sich nach sechs Monaten hier ans Rednerpult stellen und sagen, Sie hätten einen wesentlichen Beitrag geleistet. Ich glaube eher, dass wir nach sechs Monaten nicht sonderlich viel weitergebracht haben werden – ich lasse mich aber überraschen. Wir werden auf jeden Fall in ein paar Mo­naten wieder hier stehen und das diskutieren. Ich glaube, es wird bei den markigen Sprüchen bleiben, und am Schluss wird nicht viel herausgeschaut haben. (Beifall bei NEOS, SPÖ und Liste Pilz. – Abg. Wöginger: Ja, ja! War völlig unnötig!)

12.50

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Ot­tenschläger. Ihre Fraktion hat noch eine Restredezeit von 4 Minuten, Herr Abgeordne­ter. – Bitte.