16.40

Abgeordnete Claudia Gamon, MSc (WU) (NEOS): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, das ist das Thema Nummer eins, Migration und Asyl. Es ist ein Dauerbrenner, ein Sommerhit, es ist quasi das „Despacito“ der österreichischen Politik, nunmehr schon seit zwei Jahren, und wir bekommen es einfach nicht mehr aus dem Kopf heraus. Die Liste Pilz trifft nicht die ganze Schuld. Wir haben das bei der Sondersitzung letzte Woche gesehen: Da ging es eigentlich um den 12-Stunden-Tag, und der Herr Bundeskanzler ist rein­gekommen und das ihm am nächsten liegende, logischste Thema, um seine Rede zu beginnen, war Migration – eindeutig! Irgendein Zusammenhang?

Was aber ist eigentlich mit den anderen Themen? Österreich hat die Ratspräsident­schaft; das wurde hier im Haus auch schon diskutiert. Viel zu kurz kommt die Diskus­sion über andere Themen, die auch im Programm erwähnt sind, wenn auch nur kurz. Die sind auch wichtig, weil wir uns jetzt in unserem gemeinsamen Europa in einer ganz wichtigen Phase befinden, was Themen wie zum Beispiel das Budget oder die Digita­lisie­rung betrifft.

Ich möchte ein paar Themen herausgreifen: Die Digitalisierung ist eine Hauptpriorität dieser Bundesregierung, sollte auch eine der Ratspräsidentschaft sein. Die Vorschläge machen jedoch oft den Eindruck, als wäre man auf einer Zeitreise unterwegs ins Jahr 1999, in dem es nur um den Infrastrukturausbau ging und man diverse Onlineplatt­formen baute, um Informationen zu bündeln. Wir sind alle schon ein bisschen weiter – die österreichische Bundesregierung offensichtlich nicht.

Es gibt auch Themen aus diesem Bereich, die man mit der Bevölkerung diskutieren muss, etwa wie die Artificial Intelligence auf uns zukommt; da gibt es Konsequenzen, mit denen man umgehen können muss. In diese öffentliche Debatte werden wir aber nicht kommen, wenn alles von Asyl und Migration überschattet wird. Man könnte natürlich auch schon eine Asyl-und-Migration-Artifical-Intelligence bauen, die für den Herrn Bundeskanzler Reden halten könnte, denn es kommt eigentlich immer das Gleiche heraus.

Thema Nummer zwei ist der Westbalkan. Man hat immer gesagt, dass das ein Haupt­thema für diese Bundesregierung ist, aber es reicht meiner Meinung nach nicht, nur mit vielen Regierungsspitzen dort gut zu stehen, sondern es geht auch darum, was man für die Jugend in dieser Region an Zukunftsperspektiven entwickeln kann. Es gibt eindeutig ein Wettrennen darum, wie die Zukunft dieser jungen Generation am West­balkan ausschauen wird, ob die Zukunft dort bei den Autokraten und Populisten liegen wird, die um sie kämpfen, oder ob sie in Zukunft Teil der liberalen Demokratie in Europa sein können. Diese Perspektive muss man nicht nur mit Worten eröffnen, sondern auch mit Taten erfüllen. Wichtig sind ein massiver Infrastrukturausbau, Foreign Direct Investment in der Region und auch ein Bekenntnis dazu, indem man sagt: Ihr habt hier eine Perspektive, und wir wollen, dass ihr Teil eines gemeinsamen, liberalen Europas seid und wir euch nicht verlieren! – Das ist etwas Wichtiges, das man auch ansprechen könnte und wofür man vor allem auch einmal Taten setzen müsste.

Beim Thema Budget ist jetzt lange darüber diskutiert worden, dass man das Brexitloch vielleicht mit dem Zauberstab Verwaltungsreform in Brüssel wettmachen könnte. Es hat sich relativ schnell gezeigt, dass sich das nicht ausgehen wird, und jetzt ist man umgeschwenkt und erzählt die Geschichte, dass man, wenn man das mit Asyl und Migration irgendwie hinbiegt, auch wieder einen Haufen Geld einsparen können wird. Das ist nur eine billige Ausrede, weil man sich nicht mit dem gemeinsamen Agrar­budget beschäftigen möchte oder mit der Strukturpolitik, denn das sind – no na net – schwierige Themen, wenn man auf sieben Jahre ausverhandeln muss, ob es nicht eventuell sein könnte, dass man bei den Subventionen gerade für größere Landwirt­schaftsbetriebe etwas einspart.

Das sind harte Diskussionen. Der Punkt ist: Wir müssen sie führen. Es geht gar nicht einmal darum, dass man jetzt schon sagt, welche Position man hat, sondern das sind Dinge, die man auch mit der breiten Bevölkerung ausverhandeln und ausdiskutieren muss, weil es eben so wichtig ist und es um einen mehrjährigen Finanzrahmen geht, der bestimmt, wie in den nächsten sieben Jahren die Geldverteilung im gemeinsamen Europa ausschaut.

Wenn wir schon von Migration reden, dann widmen wir uns dem Thema noch ein bisschen: Wie ist es denn dazu gekommen, Herr Bundeskanzler, dass Sie sich am Höhepunkt des Streits zwischen CDU und CSU plötzlich in der Mitte wiedergefunden haben? Das hat man eigentlich schon auf 3 Kilometer mit freiem Auge erkennen können, dass es nicht um Brückenbauen gegangen ist, sondern allerhöchstens darum, weiterzuzündeln.

Was wir von Ihnen verlangen, ist ein bisschen Multitasking. Man sagt, es fällt Ihnen schwer, aber ich glaube an Sie. Es wird möglich sein, politisch zu multitasken und zu sagen: Es gibt auch noch andere wichtige Themen, wir können die auch mit der Bevölkerung ausdiskutieren und wir können sie hier im Parlament ausdiskutieren. Es ist an der Zeit, in diesem Dauerwahlkampf endlich einmal auf die Pausetaste zu drücken und sich den wirklich wichtigen Themen zu widmen. Das Nachdenken über das Morgen in der Europäischen Union, über die Zukunft ist eine sehr lohnende Auf­gabe, und auch, die Debatte darüber zu führen, wo es denn langfristig hingehen soll.

Ich kann dieses Desinteresse für alles, was sich nicht für Innenpolitik eignet, überhaupt nicht nachempfinden. Es ist eine wahnsinnig spannende Zeit, um sich auch wirklich in die Debatte darüber reinzuwerfen, wie Europa in 10, 20, 30 Jahren ausschaut.

Da gibt es zwei Zukunftsszenarien:

Szenario Nummer eins: Die Verzwergung, die Renationalisierung, die Irrelevanz des europäischen Kontinents in der Welt.

Szenario Nummer zwei: Die Vereinigten Staaten von Europa, die Europäische Repu­blik, der stärkste Akteur der Welt, der sich für liberale Demokratie einsetzt, für die Werte, für die das Ganze steht, für progressiven Freihandel, für Wohlstand und für Frieden. (Beifall bei den NEOS.)

Szenario Nummer zwei ist ein bisschen sympathischer. Ich glaube, in dieser Frage muss man nicht allzu viele Leute überzeugen, aber es ist ein langer Weg dorthin. Man muss anfangen, das Ganze zu diskutieren, und man muss es öffentlich tun.

Der erste Schritt dahin – um zum Schluss noch einen aktuelleren Vorschlag zu brin­gen – ist selbstverständlich die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der Ge­mein­samen Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist etwas, worauf Ihr Parteikollege Othmar Karas am Sonntag in der Sendung „Im Zentrum“ mit: Ja, sofort, bitte gerne, absolut!, reagiert hat. Er hat es als einen ganz wichtigen Schritt bezeichnet. Da gibt es unterschiedliche Vorschläge, wie man das dann in Zukunft managen kann – einen europäischen Sicherheitsrat zum Beispiel. Darüber kann man unterschiedlicher Mei­nung sein, es gibt auch ganz legitime Kritikpunkte an den unterschiedlichen Wegen, die man geht; wir werden aber nicht einmal dazukommen, das zu diskutieren, wenn es eigentlich wieder nur um das Thema Migration geht.

Wir sagen nicht, dass das kein wichtiges Thema ist. Nein, es ist eines der wichtigsten Themen überhaupt, die die globale Politik im Moment beschäftigen. Es geht vor allem um die Frage, wie man mit Migration umgehen soll. Auch dafür werden wir eine Antwort finden müssen. Es reicht nicht, nur zu sagen, dass es einen Unterschied zwischen Asyl und Migration gibt, denn das Thema Migration ist eines, das genauso gelöst werden muss. Es wird immer gesagt, wir helfen ohnedies vor Ort. Da bin ich gespannt, wenn einmal der Beweis dafür erbracht werden muss. Es gibt relativ wenig Indizien dafür, dass überhaupt etwas getan wird, das auch nur ansatzweise funktioniert.

Wir verlangen einfach nur, dass man ein bisschen weiter denkt und auch der Bevöl­kerung die Möglichkeit gibt, an diesen europäischen Diskussionen teilzunehmen, sich eine Meinung zu bilden und den Verlauf des Diskurses mitzubestimmen. Es lohnt sich jedenfalls, für dieses gemeinsame Europa ein wenig die Augen offen zu halten. (Beifall bei NEOS und Liste Pilz sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

16.48

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeord­nete Kirchbaumer. – Bitte, Frau Abgeordnete.