12.31

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Frau Präsidentin! Frauen Bundesministerin­nen! Ich weiß jetzt gar nicht, wo ich anfangen soll, weil es irrsinnig viel Emotion gibt. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich habe zehn Jahre am Bau gearbeitet. Ich habe als Maurerlehrling begonnen, als staatlich geprüfter Bauleiter aufgehört, aber was Sie hier von diesem Rednerpult aus und leider auch von der Regierungsbank an realitätsfrem­den Geschichten erzählen, das tut wirklich weh! (Beifall bei SPÖ und NEOS. – Abg. Deimek: Ich glaub’, du bist ...!)

Sie sind vor 21 Tagen genau hier gestanden. Ihr habt uns einen Initiativantrag auf den Tisch geknallt, der alle Menschen dieser Republik betrifft, der keine einzige Verbesse­rung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer enthält. Sie beschließen heute wahr­scheinlich – obwohl Sie es vielleicht gar nicht wollen, aber Sie müssen es tun (Ruf bei der FPÖ: Geh, geh, geh!) – mit Ihrer Mehrheit ein Arbeitszeitgesetz ohne Einbindung von Experten, ohne ausreichende, sachliche, faire Begutachtung, ohne Rücksicht auf die Experten mit all ihren Meldungen, die sie in den letzten Tagen gemacht haben.

Das macht es eigentlich sehr schwierig, denn gewisse Dinge kommen ja gar nicht von der Opposition oder vom ÖGB, sondern von den Experten. Experten sagen nämlich: Sie gaukeln uns hier einiges vor und sagen, vier Tage arbeiten, drei Tage frei. – Dann schreibt es in dieses Gesetz hinein, damit ein Rechtsanspruch besteht! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Holzinger-Vogtenhuber.) Wenn der junge Familienvater vier Ta­ge auswärts ist, dann soll er einen Rechtsanspruch darauf haben, drei Tage frei zu be­kommen. Warum schreibt ihr das nicht hinein?

Sie sagen, die Betriebsvereinbarungen bleiben aufrecht. – Sie killen einen ganzen Pa­ragrafen, den § 7 Abs. 4, Sie killen diesen Absatz, wo die gesamte Mitbestimmung für die Arbeitnehmer, egal, ob Arbeitnehmer, Betriebsrat oder Kollektivvertrag, ausge­löscht wird. Sie reden von Fairness und Augenhöhe zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen. Dabei zerstören Sie leichtfertig bewährte Errungenschaften, gefähr­den leichtfertig den sozialen Frieden in Österreich und spalten leichtfertig das gemein­same Miteinander unter den Beschäftigten. Ich werde Ihnen dann auch ein Beispiel da­zu geben.

Diese Gesetzesänderung tut mir besonders weh, nämlich als Sozialpartner, der immer wieder versucht hat, in seinen Branchen vieles weiterzubringen. Dafür gibt es, wie Sie wissen, viele Beispiele. Es gibt übrigens viele Meldungen von Arbeitgebern, die sagen: Ich will dieses Gesetz nicht ausschöpfen, mir sind die Leute einfach wichtiger, ich habe eine Fürsorgepflicht für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Frau Wirtschaftsministerin, Sie haben dazu etwas gesagt, das Ihnen vielleicht rausge­rutscht ist, aber es war ehrlich und realitätsnah. Sie haben im Ö1-„Mittagsjournal“ ge­sagt: „Ich gebe ganz klar den Auftrag an die Unternehmen, das nicht auszunutzen.“ – Das war ehrlich. Das ist so, wie wenn der Verkehrsminister sagen würde, ich erlaube jetzt 180 km/h auf der Autobahn, aber bitte fahrt nur 130 km/h, denn es ist gefährlich. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Holzinger-Vogtenhuber.) Jetzt ziehen Sie das wieder zurück und bleiben nicht dabei.

Wissen Sie, Frau Sozialministerin, Sie sollten eigentlich die Menschen verteidigen, die in diesem Land arbeiten, nämlich betreffend Gesundheit, betreffend Arbeitnehmer­schutz, betreffend Einkommen, betreffend Freizeit und Familie. Wir wissen – und Sie wissen es ja auch, Sie dürfen es nur nicht zugeben –, dass es bei diesem Gesetz Ver­lierer geben wird, nämlich Verlierer in der Tourismusbranche, Verlierer, die schwer ar­beiten in dieser Republik, alleinerziehende Mütter, Frauen, Familien und auch Men­schen mit Behinderungen, Menschen mit Handicaps. Sogar da fahrt ihr mit diesem Ge­setz drüber. Ihr macht keinen Unterschied zwischen den Branchen, keinen Unterschied zwischen den Menschengruppen, und das ist das Schlimme! (Beifall bei der SPÖ so­wie der Abg. Holzinger-Vogtenhuber.)

Mir haben in den letzten Tagen viele Menschen geschrieben und Fragen gestellt. Otto, der Zimmerer fragt: Ist es richtig, dass der Arbeitgeber in Zukunft auch im Hochsom­mer 12 Stunden anordnen darf? (Abg. Mölzer: Nein, ist freiwillig!) Ist es richtig, dass ich dann freiwillig die 11. und 12. Stunde ablehnen darf, ohne dass es ein Nachteil ist? (Abg. Mölzer: Freiwillig steht doch drinnen!) Ist es richtig, dass ich nach der 10. Stunde vom Dach neben der Schalung bei 60 Grad plus, weil es so strahlt, runtergehen darf, mich in den Firmenbus setzen darf und meine jungen Kollegen arbeiten oben weiter? Wie lange werde ich bei dieser Partie noch einen Job haben als 50-Jähriger? – Zitat­ende.

Das ist Ihre scheinheilige Freiwilligkeit in Ihrem Gesetz! (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Holzinger-Vogtenhuber. – Abg. Deimek: Und drum wählen dich die Leute nicht mehr! ...! Der ist auf Montage und der sagt, du lügst!)

Judith schreibt mir, 27 Jahre, alleinerziehende Mutter. (Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) – Hört mir bitte zu! Ich habe allen zugehört. Ich habe nicht einmal einen Zwi­schenruf gemacht, weil ich allen zugehört habe. Vielleicht geht das bei euch auch ein bisschen.

Mir schreibt Judith, 27 Jahre, alleinerziehende Mutter. Sie arbeitet in einem Gemischt­warenhandel mit einer Jausenstation. Sie schreibt: Herr Abgeordneter, mein Max ist sieben Jahre. Muss ich jetzt die 11., 12. Stunde bis 20 Uhr dort arbeiten oder darf ich Nein sagen? Wie lange darf ich Nein sagen? Ich will meinen Max doch jeden Tag am Abend noch sehen; nicht nur im Pyjama, wenn er schon im Bett liegt, weil die Eltern auf ihn schauen. – Zitatende.

Das ist die Realität, das ist die Wahrheit. Die Menschen werden das nicht in Anspruch nehmen, nämlich aus Angst, dass sie den Arbeitsplatz verlieren, wenn sie die 11., 12. Stunde ablehnen, und das ist das Schlimme. (Abg. Winzig: Sie können ja der Ju­dith erklären, dass das nicht so ist!)

Noch ein Beispiel: Günther, der Pflasterer – den kennen Sie auch, da gab es ja 1,3 Mil­lionen Aufrufe. Bevor Günther, der Pflasterer geschrieben hat, wissen wir, dass er sagt: Ich arbeite jetzt 8 Stunden. (Zwischenruf des Abg. Hammer.) – Jawohl, ich arbeite 8 Stunden, kniend. Ein Stein hat 17 Kilo. Jetzt kann der Chef anordnen, dass ich in Zu­kunft kniend über mein Kreuz jeden Tag 5 400 Kilo pflastern muss. Darf ich ablehnen oder nicht? Ich bin 52 Jahre, ich brauche noch acht Jahre bis zu meiner Pension. Wie soll ich das schaffen?

Auch ich sage ganz klar: Ein Pflasterstein darf im 21. Jahrhundert kein Zeichen von Gewalt sein. Ein Pflasterstein ist im 21. Jahrhundert ein Zeichen von schwerer Arbeit für Menschen, die das tagtäglich machen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Holzin­ger-Vogtenhuber. – Abg. Hafenecker: Ist ja unglaublich! – Weitere Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.)

Abschließend lese ich Ihnen noch einen Brief von einem Techniker vor. (Abg. Hafen­ecker: Nehmen Sie sich ernst? – Ruf: Wie heißt der?) Er ist Vater von drei Kindern und schreibt mir – der Herr Strolz hat diesen Brief auch bekommen –: Ich habe Ihren offe­nen Brief zum Thema 12-Stunden-Tag gelesen. Ich habe auch den Entwurf auszugs­weise gelesen und stimme Ihrer Einschätzung zu. Als Vater von drei kleinen Kindern, beschäftigt in der Industrie, wird mich diese Regelung voll treffen, zumal ich mit einer Leitungsfunktion auf unterster Ebene zukünftig nicht einmal mehr die Höchstgrenze von 12 Stunden für mich in Anspruch nehmen werde können.

Weiters schreibt er:

„Wir haben ein Kind mit 50 Prozent Behinderung. Meine Frau und ich bemühen uns, die Therapietermine – mindestens 3 wöchentlich – und Arzttermine zwischen uns auf­zuteilen, um die anderen beiden Kinder nicht unnötig mit Fahrten und Herumsitzen in Wartezimmern zu belasten. Diese Möglichkeit wird in Zukunft wegfallen, da die Auf­tragsbücher der Firma voll sind und es jetzt schon schwer möglich ist, Zeitausgleich in Anspruch zu nehmen. Ich frage mich, wann ein entstandenes Zeitguthaben von 400 Stun­den pro Jahr – immerhin der doppelte Jahresurlaub – überhaupt von irgendjemandem verbraucht werden kann.“ (Abg. Deimek: ... das mit seiner eigenen Firma nicht aus­geht!)

Dieses Gesetz wird alle Familien, die wie wir kein Back-up durch gesunde, in der Nähe wohnende Großeltern haben, voll treffen. Das ist bekannt. Ich möchte Sie aber auf­merksam machen auf die Situation der Eltern, die ein behindertes Kind haben. Diese Eltern und deren Kinder werden in Zukunft unter die Räder kommen, denn wer Über­stunden aus diesem Grund ablehnt, wird seinen Job verlieren. (Abg. Deimek: Immer das Gleiche!)

Ich bitte Sie, alles zu unternehmen, damit dieses Gesetz nicht kommt. Es wird sich doch wohl ein Weg finden, am Verhandlungsweg eine tragbare Lösung zu finden. (Zwi­schenrufe der Abgeordneten Schimanek und Winzig.)

Die Familienarbeit ist ja nicht freiwillig. Sie ist eine Verpflichtung, eine wichtige Ver­pflichtung, die wir im Leben haben. Vielleicht haben Sie auch die Möglichkeit, an die Behindertensprecherin der ÖVP heranzutreten, um hier eine Lösung zu finden. – Zitat­ende. (Ruf bei der FPÖ: Schau mal beim AMS vorbei, ...!) Genau das zeigt, dass es Menschen gibt, die eindeutig die Verlierer sind.

Abschließend möchte ich Folgendes sagen: Sie wissen es, ich habe Ihnen mehrmals das Angebot gemacht, eine ausreichende Begutachtung über den Sommer zu machen, ein faires, gerechtes Arbeitszeitgesetz zu schaffen, mit dem Flexibilisierung möglich ist.

Ich habe am Dienstag Ihnen allen, von ÖVP und FPÖ, diesbezüglich noch einmal alle Argumente übermittelt mit dem Ersuchen: Zurück an den Start! Ich habe nur eine Ant­wort erhalten, von einem einzigen Abgeordneten, nämlich vom Kollegen Gerstl, der na­türlich wieder Ihre Argumente ins Treffen geführt hat. Alle anderen haben es nicht wert gefunden, diesbezüglich eine kurze Antwort zu schreiben. Das zeigt, wie wurscht Ihnen dieses Gesetz eigentlich ist. (Abg. Deimek: ... Briefe werden nicht beantwortet! – Ruf bei der FPÖ: Drum wiederholen wir es nicht!)

Ich sage Ihnen jetzt abschließend: Sie müssen heute wahrscheinlich einem Gesetz zu­stimmen, das Sie vom Herzen gar nicht wollen. Ich sage es Ihnen, Sie entscheiden, ob Ihnen Menschen wie Otto, der Zimmerer, wie Hannes, der Techniker, wie Judith, die Verkäuferin, oder wie Günther, der Pflasterer, wichtig sind oder nicht. (Abg. Höbart: Mernyi, der Gewerkschafter!) Wenn Ihnen diese Menschen wichtig sind, dann stimmen Sie dieser Gesetzesvorlage heute nicht zu! (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn Ihnen die Menschen wirklich wichtig sind in diesem Land, stimmen Sie bitte nicht zu, sondern lassen wir das Volk entscheiden! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Deimek: Sie sind uns wichtig, und wir werden deshalb zustimmen, genau deshalb!)

12.43

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Als Nächste gelangt Frau Abgeordnete Schartel zu Wort. – Bitte, Frau Abgeordnete.