9.52

Abgeordneter Mag. Gerald Loacker (NEOS): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun­desministerin! Hohes Haus! Geschätzte Besucherinnen und Besucher! Der Chef des Österreichischen Gewerkschaftsbundes verabschiedet sich aus dem Parlament, und das ist schon auch ein Zeitpunkt, Danke schön zu sagen für die Arbeit, die die Arbeit­nehmervertreter in den Betrieben leisten; das ist eine wichtige Arbeit. Wir waren sicher oft unterschiedlicher Meinung, aber ich möchte nicht anstehen, auch zu respektieren, dass da wichtige Standpunkte eingebracht werden. (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie der Abgeordneten Nehammer und Wöginger.)

Wir von NEOS sind der Meinung, dass insbesondere auf betrieblicher Ebene und auf kollektivvertraglicher Ebene ein gutes Miteinander zu den besten Lösungen führt, Lö­sungen vor Ort, die den Bedürfnissen der Unternehmerinnen und Unternehmer, den Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerecht werden. Dafür braucht es gute Betriebsvereinbarungen und dafür braucht es auch kundige Arbeitnehmerver­treter.

Man muss natürlich auch sagen, dass sich die Sozialpartnerschaft in den letzten Jahr­zehnten ungut weiterentwickelt hat. Es sind Vorfeldorganisationen und Finanzierungs­organisationen von Rot und Schwarz geworden, und in Wirklichkeit ist das System zumindest verstaubt und in vielen Fällen auch eine Reformblockade geworden, was dazu führt, dass wir eine Polarisierung erleben, auch heute hier in der Debatte und in Zwischenrufen, bei der mit Feindbildern gearbeitet wird und eine Klassenkampfrhetorik herausgezogen wird, die den realen Bedingungen nicht gerecht wird.

Auf der einen Seite wird das Blaue vom Himmel versprochen und bei der Arbeits­zeitflexibilisierung von Freiwilligkeit geredet. – Es gibt diese Freiwilligkeit nicht, das muss man fairerweise sagen. Wenn in einem Betrieb die Produktionslinie 12 Stunden läuft, dann läuft sie 12 Stunden, und dann ist man nicht freiwillig da, sondern dann hat man da zu sein. Umgekehrt ist es so, dass diese Mehrstunden bezahlt werden, und die Ausbeutung, die auf der anderen Seite gemalt wird, findet auch nicht statt. Die Wahr­heit ist in der Mitte. Man müsste einander nicht diese Schimpfworte an den Kopf wer­fen, wie sie hier in den Zwischenrufen oft der Fall sind. (Abg. Wurm: Ist eh vernünftig gewesen!)

Es wird auch in der Sozialpartnerschaft von einem Erwerbsbild ausgegangen, das es nicht mehr gibt. Diese strikte Trennung zwischen unselbständig Erwerbstätigen und selbständig Erwerbstätigen entspricht auch nicht mehr den heutigen Lebensrealitäten der Menschen. Die Berufsbilder verschwimmen immer mehr; Angestellte arbeiten von zu Hause aus, entscheiden autonom darüber, wie sie sich die Arbeitszeit einteilen. Da­rauf kann man nicht mit den Gesetzen aus dem vorigen und vorvorigen Jahrhundert zugehen.

Wir erleben allerdings auch ein unterschiedliches Rollenverständnis bei der Regierung. Wenn Kurz und Strache den Kollektivvertragsverhandlungspartnern ausrichten, was sie gerne für eine Erhöhung hätten, dann sitzt man schon mit der Kinnlade unten vor dem Fernseher und fragt sich: Was spielt sich da gerade ab? (Abg. Wurm: Gute Idee, gell?) – Es geht die Regierung einfach einen feuchten Kehricht an, was die Sozial­partner am Verhandlungstisch ausmachen. Es war bisher gute Praxis, dass sich die Regierung aus den Kollektivvertragsverhandlungen heraushält, und es wäre auch klug, wenn sich die Sozialpartner aus dem heraushalten, was in diesem Haus gemacht wird. Wenn gerade die schwarz-blaue Regierung jetzt wieder beginnt, das zu vermischen, dann geht man hier einen falschen Weg, den auch vorher Kollege Klinger ausgeschil­dert hat, indem er behauptet hat, hier wären 1 500 Euro Mindestlohn beschlossen worden. – Das ist einfach nicht wahr. Die Löhne legen bei uns die Kollektivvertragsver­handler fest. Das kann Ihnen schmecken oder nicht, aber das ist eine österreichische Tatsache.

Das ist reine Showpolitik der Regierung. Man stellt sich hinaus und sagt: Wir haben ge­macht, und wir hätten gerne eine größere Lohnerhöhung! – Da wird nur mit Show gear­beitet und nicht mit Tatsachen. Wenn es nämlich um die Tatsachen ginge und wenn es darum ginge, was die Aufgabe der Parlamentsmehrheit wäre, dann würden Sie die kal­te Progression abschaffen. (Beifall bei den NEOS.)

Die Lohnsteuereinnahmen sind um 6,6 Prozent gestiegen. Ein Teil dieser 6,6 Prozent mehr Lohnsteuer mag Wirtschaftswachstum sein, aber ein Teil ist auch kalte Progres­sion, bei der Sie den Leuten in die Tasche greifen und ihnen das Geld wegnehmen.

Zu dieser – unter Anführungszeichen – „Reformgeschichte“ der Sozialversicherung: Al­so das war eine Showparade erster Klasse. Da stellen Sie sich zu viert hin – Kanzler, Vizekanzler, Sozialministerin und Klubobmann der ÖVP – und verkündigen die Wohl­tat: 1 Milliarde Euro, fünf Kassen. – Ja, man hätte das eigentlich auf dem Balkon des Belvedere stattfinden lassen sollen, wie Sie die Wohltaten den Menschen verkündigen. (Heiterkeit bei den NEOS und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Wöginger: Gute Idee!)

Es gibt diese fünf Träger nicht. Sie haben einfach die Notariatsversicherung aus dem Dach herausgetan, Sie haben die Betriebskrankenkassen aus dem Dach herausgetan und schwups, sind es fünf. Über die neun Krankenkassen stülpen wir eine zehnte drü­ber. Eigentlich wird es mehr Bürokratie, als es vorher war, aber man verkauft das ein­mal den Menschen – und die Milliarde finden Sie nicht. In Wirklichkeit wird das System teurer, weil Sie jetzt eine Angleichung von unten nach oben haben werden. Sie wissen nicht, wie Sie die Fusionskosten abbilden; die werden bei mindestens 500 Millionen Euro liegen. Da sagen Sie: Ja, das macht ohnehin die Selbstverwaltung. – Na, wenn dann 1 Milliarde Euro bei den Patienten ankommen soll, dann müssen die 1,5 Milliar­den Euro einsparen. Ich frage mich, wie das funktionieren soll.

Man hätte schon reformieren können, aber das wäre anders gegangen. Dann hätten Sie auch Ihren schwarzen Beamten zu Leibe rücken müssen, aber natürlich: Die eige­ne Klientel wird geschont. Das ist wirklich billig, was Sie da machen. (Beifall bei den NEOS.)

9.58

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Bruno Ross­mann. – Bitte.