16.11

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (PILZ): Herr Präsident! Hohes Haus! Herr Kol­lege Wöginger, Sie haben die Oppositionsparteien aufgefordert, keine Unwahrheiten zu sagen. Erstens sage ich grundsätzlich keine Unwahrheiten (Beifall bei der Liste Pilz – Oh-Rufe bei ÖVP und FPÖ), aber ich werde Ihnen im Zusammenhang mit dieser Reform einige Wahrheiten sagen, die Ihnen gar nicht gefallen werden. (Abg. Rädler: Da hat er jetzt selber gelacht!)

Erster Punkt: Sie nennen diese Reform, diese Organisationsreform, eine großartige Reform. Ich aber sage Ihnen: Diese Organisationsreform hat nichts anderes zum Inhalt als eine Demontage der Selbstverwaltung bei gleichzeitiger Entmachtung der Arbeit­nehmervertreter! (Beifall bei der Liste Pilz und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Was bedeutet Selbstverwaltung? – Selbstverwaltung bedeutet (Ruf bei der FPÖ: Das ist das, vor dem die Linken Angst haben!), die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind die Versicherten. Zweiter Punkt: Selbstverwaltung bedeutet aber auch, dass ge­nau diese Versicherten, nämlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, darüber entscheiden, was mit ihren Beiträgen passiert. Bisher war das auch der Fall. Das Ver­hältnis zwischen Arbeitgebervertretern und Arbeitnehmervertretern lag bei 1 : 4. Da war die Welt in Ordnung, da konnten die Arbeitnehmervertreter entscheiden, was mit ihren Beiträgen passiert.

In der Zeit des Austrofaschismus standen einem Arbeitgebervertreter zwei Arbeitneh­mervertreterInnen gegenüber. (Abg. Noll: Ein Rückschritt für die ÖVP! – Abg. Rosen­kranz: Haben wir das nicht schon einmal gehört?) Und nun steht einem Arbeitneh­mervertreter ein Arbeitgebervertreter gegenüber. Und da stellt sich die Frage: Wer ent­scheidet nun? (Ruf bei der SPÖ: Dollfuß!) – Entscheiden tun natürlich jetzt nicht mehr die Arbeitnehmervertreter, sondern die Arbeitgebervertreter, weil davon auszugehen ist, dass jene Arbeitnehmervertreter, die der ÖVP nahestehen, mit den Arbeitgeberver­tretern entscheiden werden. So schaut das jetzt aus!

Kollegin Belakowitsch hat heute am Vormittag davon gesprochen, wir hätten es mit dem Ende der parteipolitischen Strukturen zu tun. – Mitnichten haben wir es mit dem Ende der parteipolitischen Strukturen zu tun! (Abg. Belakowitsch: Ja, selbstverständ­lich! Warum sind denn alle so weinerlich?) Wir haben es damit zu tun, dass Sie ein System herstellen, das darauf hinausläuft, Rot aus den Gebietskrankenkassen hinaus­zuwerfen und gleichzeitig Schwarz und Blau reinzubringen. (Abg. Belakowitsch: Könnten Sie das genauer erklären?) – Das ist eine der Wahrheiten, die mit dieser Re­form einhergehen. (Beifall bei der Liste Pilz.)

Mit dieser Entmachtung und Demontage der Selbstverwaltung zeigen Sie, meine Da­men und Herren von der ÖVP und der FPÖ, Ihr wahres Gesicht!

Der zweite Punkt: Ja, die Zusammenlegung der Kassen ist natürlich ein Ziel, das auch ich unterschreibe – keine Frage, ich bin nicht dagegen –, aber wenn man so ein Un­ternehmen angeht, dann soll man es nicht halbherzig machen und dann soll man es nicht so machen, dass am Ende eine Mehrklassenmedizin übrig bleibt, wie das bei der gegenwärtigen Reform der Fall ist.

Ja, Sie reduzieren die Zahl der Träger auf fünf, das ist richtig, lassen aber verschie­dene andere Träger, die Krankenfürsorgeanstalten, die Betriebskrankenkassen – in der Zahl ungefähr zwanzig –, völlig außen vor. Und was Sie auch außen vor lassen, ist na­türlich die Antwort auf die Frage: Sollen gleichen Beiträgen auch gleiche Leistungen gegenüberstehen? – Das ist genau nicht der Fall.

An dieser Frage schwindeln Sie sich vorbei. In den Gebietskrankenkassen ist das in Gang gesetzt worden – Frau Rendi-Wagner hat ja darauf hingewiesen, dass das schon in der letzten Regierungsperiode angegangen worden ist –, bei anderen Krankenversi­cherungsträgern ist das aber überhaupt nicht der Fall. Nehmen wir beispielsweise die BVA her, eine Versicherung, der auch wir als Politiker und die Beamten angehören. Dort ist davon beispielsweise keine Rede, dass die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter ersetzt werden soll. – Na klar, das sind 1,2 Millionen Wählerinnen und Wähler für die ÖVP. Das ist nichts anderes als typische, klassische Klientelmedizin! (Beifall bei Liste Pilz und SPÖ.)

Schauen wir uns an, wie denn das Leistungssystem zwischen den unterschiedlichen Trägern, die es heute noch gibt, ist! Da gibt es zunächst einmal die ÖGK neu, also die Integration der verschiedenen Gebietskrankenkassen. Für etwa 3,4 Millionen Arbeit­nehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Mitversicherten gibt es sozusagen ein Stan­dardsystem mit Standardleistungen. Darüber gibt es dann die Versicherungsanstalten für die Bauern und die Selbständigen; das ist nicht mehr Standard, das ist das Kom­fortsystem. Und darüber gibt es dann noch einmal ein System, das ist jenes der Beam­ten und der Eisenbahner; und das ist das De-luxe-System. – Das ist ein Zustand, den ich für untragbar halte! (Beifall bei der Liste Pilz.)

Wenn man eine Zusammenlegung der Krankenversicherungsträger in diesem Land an­geht und wenn man dieser Maßnahme den Mantel einer Reform umhängen will, dann muss es eine umfassende Reform sein, die auch die Leistungen umfasst. Wenn ich einer Harmonisierung der Leistungen das Wort rede, dann meine ich aber nicht, dass wir auf dem tiefsten Niveau harmonisieren. Wir werden ja sehen, was Sie in diesem Zusammenhang tun werden.

Das führt mich zum letzten Punkt, zur Frage des Einsparungspotenzials: Sorry, das Einsparungspotenzial kann niemand nachvollziehen. Ich habe ja Verständnis dafür, dass auch der Rechnungshof nicht in der Lage war, das nachzuvollziehen, weil man mit den Unterlagen, die Sie vorgelegt haben, Frau Ministerin, dieses nicht nachvollzie­hen kann. Und wenn Sie, Herr Kollege Wöginger, in diesem Zusammenhang dann dem Rechnungshof vorwerfen, er hätte die Ziele nicht richtig erkannt, dann ist das wirklich eine Chuzpe, glauben Sie mir das!

Frau Ministerin, Sie haben sich gemeinsam mit anderen am 14.9. hingestellt und ge­sagt: Die Einsparungen betragen 1 Milliarde Euro, kumuliert natürlich. – Allein das ist schon einmal ein Schmäh; da fängt es ja schon an. (Bundesministerin Hartinger-Klein: Warum ist das ein Schmäh?) Sie haben gemeint, im Jahr 2021 würden 200 Mil­lionen Euro eingespart, im Jahr darauf 300 Millionen, also 100 Millionen dazu, und im Jahr darauf 500 Millionen, also 200 Millionen dazu. – Dann sind wir bei 500 Millionen Euro. Und wenn man sagt, dass das das ist, was sich dann in der Zukunft fortsetzt, dann ergibt das niemals 1 Milliarde Euro!

Kumuliert, ja, ich weiß, das klingt gut. Das wird dann zur Patientenmilliarde oder zur Funktionärsmilliarde gemacht. Das ist ja überhaupt ein Humbug, denn die Selbstver­waltung kostet – auch darauf ist ja heute schon hingewiesen worden – rund 5,7 Millio­nen Euro, das sind 0,009 Prozent des gesamten Aufwandes der Krankenversiche­rungen. Es ist absurd, das als Funktionärsmilliarde zu bezeichnen. Und es ist mindes­tens so absurd, das als Patientenmilliarde zu bezeichnen.

Warum, das werde ich Ihnen jetzt sagen. Sie, Herr Kollege Wöginger, und Sie, Frau Ministerin, sagen, diese Einsparungen bleiben im System. Na ja, jetzt denken Sie alle mit mir mit! Ich lade Sie zu einem Gedankenexperiment ein.

Eingesparte Mittel bleiben im System, bedeutet, dass sie entweder umgeschichtet wer­den oder, wenn sie eingespart werden, dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Wenn sie aber umgeschichtet werden, dann sind es keine eingesparten Mittel, dann handelt es sich bei den Einsparungen, wenn es tatsächlich Umschichtungen sind, nicht um eingesparte Mittel. – Daraus kann ich nur eine Schlussfolgerung ziehen, die da lautet: Wenn Sie tatsächlich Einsparungen im System machen wollen, dann müssen Sie ir­gendwo Kürzungen vornehmen – und damit bin ich bei den Leistungskürzungen.

Ich bin ja sehr gespannt auf die Beantwortung meiner Anfrage, Frau Ministerin! Ich habe eine Anfrage an Sie gerichtet, und wir hoffen natürlich, dass wir dadurch Klarheit bekommen, damit wir einmal nachvollziehen können, wie Sie zu dieser einen Milliarde an Einsparungen kommen. Die verfügbaren Unterlagen deuten darauf hin, dass von ei­ner eingesparten Milliarde überhaupt keine Rede sein kann. Im Entwurf, im Beamten­entwurf, ist im Jahr 2023 nicht die kumulierte Milliarde eingestellt, sondern da sind nur 33 Millionen Euro eingestellt; also nur ein kleiner Bruchteil dessen, was Sie immer als Milliarde bezeichnen. Ich bin also schon sehr gespannt, wie Sie mir in der Beantwor­tung meiner Anfrage diese Milliarde erklären werden.

Aber den Bock haben Sie heute wohl damit abgeschossen, dass Sie irgendwie ge­meint haben, die Frage nach dem Einsparungspotenzial würde die Bevölkerung verun­sichern. – Bitte, das versteht in diesem Land kein Mensch!

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Wenn Sie bitte zum Schlusssatz kommen!

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (fortsetzend): Wenn Sie tatsächlich einsparen wollen – ich bin beim Schlusssatz –, dann geben Sie den Menschen dadurch Sicher­heit, dass Sie ihnen sagen, wo Sie einsparen wollen, und streuen Sie ihnen nicht per­manent Sand in die Augen! – Vielen Dank. (Beifall bei Liste Pilz und SPÖ.)

16.21

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Stö­ger. – Bitte.