10.42

Abgeordnete Dr. Alma Zadić, LL.M. (JETZT): Herr Präsident! Geschätzter Herr Bun­deskanzler! Geschätzter Herr Minister Blümel! (Abg. Leichtfried: Sehr gute Rede!) Wir wollen uns heute in der Aktuellen Europastunde mit der österreichischen Ratspräsi­dentschaft beschäftigen, und das insbesondere deswegen, weil wir noch einen Monat bis zum Ende dieser Ratspräsidentschaft haben. (Zwischenruf des Abg. Martin Graf.)

Wir haben in den letzten Monaten festgestellt, dass da einiges nicht so läuft, wie wir uns das als glühende Europäer vorgestellt oder erhofft haben. (Abg. Leichtfried: Das sehen wir auch so!) Wir wollen durch diese Aktuelle Europastunde auch eine breite Diskussion im Parlament starten und hoffen, dass diese Chance des einen Monats nicht ungenutzt verstreichen wird. Wir möchten auf bestimmte Punkte aufmerksam ma­chen, daher ist insbesondere sehr positiv anzumerken, dass Sie, Herr Bundeskanzler, und Sie, Herr Minister Blümel, heute hier sind, damit wir gemeinsam über Europa und die österreichische Ratspräsidentschaft diskutieren können.

Wir müssen wachsam sein! Wir haben in den letzten paar Tagen insbesondere die ausländischen Tageszeitungen gelesen und zu unserem Entsetzen festgestellt, dass sie nicht alle so positiv über unsere österreichische Ratspräsidentschaft berichten. (Zwischenruf der Abg. Schimanek.) Eine spanische Tageszeitung hat Österreich eine restriktive, unsolidarische und antieuropäische Sichtweise der Migrationspolitik attes­tiert. In Brüssel und sogar in der Europäischen Volkspartei sei man zutiefst besorgt, heißt es. (Abg. Leichtfried: Ja, zu Recht besorgt!)

Kritisch zum österreichischen Ratsvorsitz äußerte sich auch die „Neue Zürcher Zei­tung“. In einem Kommentar mit dem Titel „Wien schützt sich selbst“ bezweifelt das Schweizer Blatt die Uneigennützigkeit des österreichischen Ratsvorsitzes in den zen­tralen Bereichen Migration und Finanzen. Ebenso wird befürchtet, dass Wiens Klein­lichkeiten den europäischen Binnenmarkt unterwandern.

Die Regierung hat sich ja vieles vorgenommen, insbesondere das Motto: ein Europa, das schützt, uns ist aber sehr bald klar geworden, dass es dabei nicht um einen sehr wichtigen Schutz Europas geht: Es geht nicht um den sozialen Schutz und auch nicht um den Schutz der ArbeitnehmerInnen, auch nicht um den Schutz vor steigenden Preisen und auch nicht um den Schutz vor sinkender Kaufkraft (Abg. Deimek: ... den Schutz der Bürger; da vertraue ich lieber dem Herrn Bundeskanzler!) – aber das ist wichtig, weil das letzte Eurobarometerstudie gezeigt hat, dass die Bevölkerung Euro­pas genau diese Themen beschäftigen. Es sind die steigenden Preise, die Gesundheit, die soziale Sicherheit, die finanzielle Situation sowie die Pensionen. (Abg. Leichtfried: Ja, aber das ist der Ratspräsidentschaft wurscht!)

Die Eurobarometerumfrage betreffend die Zukunft hat gezeigt, dass Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit die größten Herausforderungen für die EU sein werden. Ich stelle mir die Frage: Welche Akzente hat die österreichische Ratspräsidentschaft ge­setzt, um uns vor diesen Themen zu schützen?

Die Menschen, meine Damen und Herren, haben die Sicherheit verloren, dass es ih­nen morgen besser gehen wird, sie haben die Sicherheit verloren, dass es ihren Kin­dern morgen besser gehen wird. – Welche Antworten hat der österreichische Ratsvor­sitz? (Abg. Leichtfried: Keine!) – Genau diesen Themen hat der österreichische Rats­vorsitz leider eine Absage erteilt. Mit der Absage des SozialministerInnenrates Anfang Oktober ist eine Bremse bei genau diesen den Menschen wichtigen sozialen Themen erkennbar. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Beispielsweise geht es da um die Arbeitsagentur, die die Rechte der ArbeitnehmerIn­nen schützen soll. Diese wurde ja gestern im Ausschuss verabschiedet und muss jetzt diskutiert werden. Es geht auch um die Richtlinie zur Work-Life-Balance, die europa­weite Mindeststandards für die Urlaubsansprüche von Eltern und pflegenden Angehö­rigen festhält. – Das sind kleine Schritte, meine Damen und Herren, aber es sind wich­tige Schritte für ein starkes und soziales Fundament in Europa. (Beifall bei JETZT so­wie des Abg. Leichtfried.)

Bezüglich der Arbeiten an dieser geplanten europäischen Agentur haben die Amtskol­legInnen unserer Sozialministerin vorgeworfen, dass sie diese Arbeiten an der europäi­schen Arbeitsagentur verschleppt. Sie bedauern auch die Absage des Ratstreffens, weil sie keine Gelegenheit hatten, diese wichtigen Sozialdossiers zu besprechen. – Sie haben jetzt aber noch einen Monat Zeit, um genau diese Themen zu behandeln. Star­ten Sie jetzt!

Ich möchte aber kurz auch ein anderes Thema beleuchten, weil es mir schon ein An­liegen ist und weil Sie sich das auch immer auf Ihre Fahnen geheftet haben, und das ist die globale Herausforderung der Migration und auch des Außengrenzschutzes.

Der Außengrenzschutz war von Beginn an ein Kernanliegen der österreichischen Rats­präsidentschaft. (Abg. Hauser: Gott sei Dank!) Noch im September haben Sie die Hoff­nung gehabt, dass die Frontex-Aufstockung bis Jahresende gelingen wird, allerdings haben wir jetzt festgestellt, dass dem einige Länder wegen Souveränitätsbedenken ei­ne Absage erteilt haben. Auch der Vorschlag der Ausschiffungsplattformen, der laut Präsident Juncker ja (in Richtung Bundeskanzler Kurz) Ihr Vorschlag war, hat keinen Anklang gefunden, insbesondere auch deswegen, weil sich kein Drittland dafür gefun­den hat, solche Plattformen zu errichten.

Diese wichtige Aufstockung von Frontex ist nicht zustande gekommen, und unter dem österreichischen EU-Vorsitz zeichnet sich auch keine Einigung der EU-Staaten über eine geplante Aufstockung des EU-Grenzschutzes mehr ab. Der EU-Vorsitz sieht für Dezember auch keine formale Einigung der EU-Innenminister vor.

Meine Damen und Herren, ich möchte spekulieren, warum das unter anderem sein könnte. Ich möchte Sie daran erinnern, dass ein Zusammenleben immer ein Geben und ein Nehmen ist: Wenn wir vorankommen wollen, dann müssen wir das europäi­sche Familienleben ernst nehmen. (Beifall bei JETZT sowie des Abg. Leichtfried.)

Wenn die Regierung nur nationale Interessen verfolgt, dann werden die anderen Staa­ten dann auch nicht zustimmen, wenn es uns wichtig ist. Die Politik ist von nationalen Interessen geleitet und erfolgt nicht zum Wohle der EU. Da möchte ich insbesondere noch eine Sache hervorheben, die besonders wichtig ist und leider auch die europäi­schen Werte unterwandert, und zwar die Indexierung der Familienbeihilfe. (Abg. Hö­bart: Die europäischen Werte werden von anderen Umständen unterwandert! ... Mas­senzuwanderung!)

Die Regierung kürzt das Kindergeld für Pendler aus Osteuropa, und selbstverständlich fühlen sich osteuropäische Länder unfair behandelt. Das zeugt nicht von europäischer Solidarität. Wenn die Regierung die Änderung bei der Familienbeihilfe durchboxt, ist diese Politik klar europarechtswidrig und widerspricht dem Gedanken der euro­päischen Familie und den europäischen Grundwerten. (Beifall bei JETZT sowie des Abg. Leichtfried.)

Daher wünsche ich mir für das nächste Monat der österreichischen Ratspräsident­schaft mehr Solidarität ein, Wegkommen von nationalen Interessen, ein neuerliches Zusammenwachsen der Europäischen Union und mehr Brücken für die Europäische Union. – Vielen Dank. (Beifall bei JETZT sowie des Abg. Leichtfried.)

10.50

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist der Herr Bundeskanzler. – Bitte.