12.14

Abgeordnete Birgit Silvia Sandler (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Mitglieder des Hohen Hauses! Liebe Zuseher und Zuseherinnen! Auch ich möchte mich, so wie meine Vorrednerin, beim Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderung und seinen MitarbeiterInnen für ihr Engagement und für diesen Bericht bedanken.

Aus den diversen Anregungen des Anwalts möchte ich einige Themenbereiche auf­greifen, die in vielen Gesprächen auch an mich herangetragen worden sind.

Gerade bei jungen Menschen mit Behinderung wird oft sehr rasch nach rein medi­zinischen Kriterien die Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Die Folge davon ist, dass weder das AMS noch das Sozialministeriumservice Leistungen gewähren kann und der betroffene Mensch auf das Angebot des jeweiligen Landes beschränkt ist. Rund 24 000 Menschen mit Behinderung sind derzeit in sogenannten Tagesstrukturen tätig. Das sind keine Arbeitsverhältnisse – sie bekommen ein Taschengeld –, deshalb sind diese Menschen weder kranken- noch pensionsversichert. Damit haben sie de facto in jedem Alter den Status eines Kindes.

Menschen mit Behinderung haben das Recht auf volle Teilhabe an allen Aspekten des Lebens und müssen dementsprechend unterstützt werden. Sie gehören in die Mitte der Gesellschaft und nicht an den Rand!

Daher bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Birgit Sandler, Kolleginnen und Kollegen „betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Menschen mit Behinderungen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Ge­sundheit und Konsumentenschutz wird aufgefordert, dem Nationalrat ehestmöglich eine Regierungsvorlage zur Verbesserung der Arbeitssituation von Menschen mit Behinderungen mit folgenden Maßnahmen zu übermitteln:

·         Feststellung der Arbeitsunfähigkeit von Menschen mit Behinderungen erst nach längerer Erprobungsphase unter Berücksichtigung der vielfältigen Unterstüt­zungs­angebote von AMS und Sozialministeriumsservice und unter Beiziehung einer berufskundlichen Expertise.

·         Einbeziehung der in Tagesstrukturen (Beschäftigungstherapien) tätigen Men­schen mit Behinderungen in die gesetzliche Kranken- und Pensionsversiche­rung.

·         Einheitliche Förderung der persönlichen Assistenz aus Bundesmitteln nach öster­reichweit gleichen Kriterien und Aufbringung der Mittel über einen Inklusions­fonds, der nach dem Vorbild des Pflegefonds von Bund und Ländern gespeist wird.

·         Ein neues Anreizsystem für Unternehmen zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen, bei der alle Unternehmen einen Beitrag leisten und jene, die diese Menschen beschäftigen, einen Bonus erhalten.“

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Wir würden auch die Einrichtung eines eigenen Ausschusses für Menschen mit Behin­derung anregen. Da wir in diesem Bereich immer und gerne fraktionsübergreifend agieren – so war es bis jetzt auch grundsätzlich üblich –, würde ich die Behinderten­sprecherInnen der einzelnen Fraktionen im Anschluss an diese Debatte bitten, dass wir uns kurz draußen zusammenreden, damit wir uns treffen und die weitere Vorgangs­weise und einen gemeinsamen Weg besprechen können. – Glück auf! (Beifall bei der SPÖ.)

12.17

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Birgit Sandler

und GenossInnen

betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Menschen mit Behinderungen

eingebracht im Zuge der Debatte über den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Bericht des Anwalts für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderung über die Tätigkeit im Jahr 2017, vorgelegt von der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (III-197/366 d.B.)

Haben MitarbeiterInnen des AMS Zweifel über die Arbeitsfähigkeit eines arbeit­suchen­den Menschen mit Behinderung, wird die PVA ersucht, ein (bindendes) Gutachten darüber zu erstellen. Bei jungen Menschen mit Behinderung, deren Wunsch dahingeht, nachhaltig am Erwerbsleben am offenen Arbeitsmarkt teilzuhaben, wird oft sehr rasch, ohne Erprobungsphase und nach rein medizinischen Kriterien originäre Arbeits­unfähigkeit festgestellt. Dies geschieht in einzelnen Fällen sogar dann, wenn davor bereits mehrjährige reguläre Berufstätigkeit vorlag. Als Folge dieser Feststellung, die kaum wirksam bekämpft werden kann, dürfen weder das AMS noch das Sozialminis­teriumservice Leistungen gewähren, da die Gesetze für die Leistungserbringung (inklusive der Vermittlung) Arbeitsfähigkeit voraussetzen. Der betroffene Mensch ist auf das Angebot der Tagesstruktur durch das jeweilige Land beschränkt.

Zur Verbesserung dieser menschenrechtlich und ökonomisch unvertretbaren Rechts­lage müssen die gesetzlichen Vorschriften im ASVG dahingehend angepasst werden, dass für die Feststellung originärer Arbeitsunfähigkeit nicht rein medizinische Kriterien angewandt werden dürfen, sondern etwa auch berufskundliche Expertise beizuziehen ist. Außerdem muss eine Erprobungsphase von mindestens einem Jahr eingezogen werden, in der die Stärken und Fähigkeiten des Menschen mit Behinderung abgeklärt und entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten aufgezeigt werden sollen.

Derzeit sind etwa 24.000 Menschen mit Behinderung in Einrichtungen der Tages­struktur (Beschäftigungstherapie) tätig. Nach der Judikatur sind das keine Arbeits­verhältnisse, weshalb die betroffenen Menschen nicht eigenständig kranken- und pensionsversichert sind und statt eines Lohns lediglich Taschengeld erhalten. Damit bleiben diese Menschen mit Behinderung rechtlich betrachtet auch als Erwachsene im Status von Kindern. Sie bekommen in der Regel erhöhte Familienbeihilfe, beim Tod der Eltern Waisenpension, können aber nie eine eigene Pension erwerben.

Diese Konstruktion widerspricht klar Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention. Men­schenrechtlich geboten ist die Einbeziehung dieser Menschen mit Behinderung in die gesetzliche Kranken- und Pensionsversicherung (Unfallversicherung besteht seit 2011), die in einem ersten Schritt durch eine ex lege-Vorschrift im ASVG erfolgen könnte. Mittelfristig ist die Einordnung als Arbeitsverhältnis mit einer angepassten Lohn- oder Gehaltsgestaltung anzustreben.

Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz ist für Menschen mit schwerer Behinderung bundesweit einheitlich geregelt und wird über das Sozialministeriumservice den Betroffenen zur Verfügung gestellt. Im Freizeitbereich sind die Länder zuständig. Dort gibt es sehr unterschiedliche Regelungen, das Angebot reicht von relativ zufrie­denstellend bis zu praktisch nicht vorhanden.

Um in ganz Österreich nach einheitlichen Kriterien und einem gleichen Leistungs­niveau Persönliche Assistenz in Beschäftigung und Freizeit sicherzustellen und damit die vollwertige Teilhabe von Menschen mit Behinderung an unserer Gesellschaft zu ermöglichen, muss in einer bundesgesetzlichen Regelung im Wege einer Selbstbindung eine Fördermöglichkeit für alle Lebensbereiche vorgesehen werden. Für die Finanzierung wäre jedenfalls eine Vereinbarung nach Art 5a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern zweckmäßig. Die Schaffung eines Inklusionsfonds analog zum Pflegefonds für die gemeinsame Dotierung behindertenpolitischer Notwendigkeiten in Richtung Inklusion über die Grenzen der Gebietskörperschaften hinweg, ist unbedingt anzustreben.

Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung ist – dies wurde dieser Tage auf einer Konferenz der Ombudsstellen für Menschen mit Behinderung erneut unter­mauert – zwar geringfügig besser als im EU-Durchschnitt, aber bei einer Quote von 54 % beschäftigten Menschen mit Behinderung versus 73 % beschäftigten Menschen ohne Behinderung (jeweils im erwerbfähigen Alter) ist die Situation alles andere als zufriedenstellend.

Das klassische Instrument der Beschäftigungspflicht für Unternehmen ab 25 Arbeitneh­merInnen mit der Ausgleichstaxe bei Nichterfüllung der primären Pflicht scheint an Wirksamkeit stark eingebüßt zu haben. Auf der einen Seite erfasst die Beschäftigungs­pflicht lediglich 3 % aller Unternehmen in Österreich, anderseits wird die Ausgleichs­taxe immer stärker als Strafe empfunden.

Ein neues System, das den Anreiz in den Vordergrund stellt, ist dringend geboten. Unter dem Motto „weg von der Strafe, hin zum Anreiz“ müsste allen ArbeitgeberInnen unabhängig von der Zahl der MitarbeiterInnen ein kleiner Beitrag abverlangt werden; aus den dadurch zweckgebundenen eingehenden Mitteln sollten ArbeitgeberInnen, die tatsächlich Menschen mit Behinderung beschäftigen, einen ohne hohen bürokratischen Aufwand zu lukrierenden Bonus erhalten. Die Entwicklung eines solchen Modells muss unter Einbindung jedenfalls auch der Menschen mit Behinderung und ihrer Interes­senvertretungen geschehen.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Ge­sundheit und Konsumentenschutz wird aufgefordert, dem Nationalrat ehestmöglich eine Regierungsvorlage zur Verbesserung der Arbeitssituation von Menschen mit Behinderungen mit folgenden Maßnahmen zu übermitteln:

•           Feststellung der Arbeitsunfähigkeit von Menschen mit Behinderungen erst nach längerer Erprobungsphase unter Berücksichtigung der vielfältigen Unterstützungs­angebote von AMS und Sozialministeriumsservice und unter Beiziehung einer berufs­kundlichen Expertise.

•           Einbeziehung der in Tagesstrukturen (Beschäftigungstherapien) tätigen Men­schen mit Behinderungen in die gesetzliche Kranken- und Pensionsversicherung.

•           Einheitliche Förderung der persönlichen Assistenz aus Bundesmitteln nach österreichweit gleichen Kriterien und Aufbringung der Mittel über einen Inklusionsfonds, der nach dem Vorbild des Pflegefonds von Bund und Ländern gespeist wird.

•           Ein neues Anreizsystem für Unternehmen zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen, bei der alle Unternehmen einen Beitrag leisten und jene, die diese Menschen beschäftigen, einen Bonus erhalten.“

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Barbara Krenn. – Bitte.