11.02

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (JETZT): Herr Präsident! Herr Kanzler! Herr Vizekanzler! Frau Staatssekretärin! Hohes Haus! Ja, die Inszenierung der Politik der Regierung ist gut (demonstrativer Beifall bei der FPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP), aber die Inszenierung verdeckt freilich die Inhalte (Ah-Rufe bei der FPÖ), und es ist daher Zeit, einen kritischen Blick auf die Inhalte zu werfen und von der Selbst­ver­liebtheit der Eigendarstellung abzulenken.

Fünf Befunde kennzeichnen die Politik des letzten Jahres.

Befund eins: brutale Entmachtungen von Arbeitnehmern und ihren Vertretungen, Um­färbung der Republik, Parteibuchwirtschaft, Postenschacher. (Ruf bei der FPÖ: Das ist eine Selbstkritik!) Lassen Sie mich das an einigen Beispielen festmachen:

Kassenreform: Im Rahmen der Kassenreform ist es zu einer brutalen Umfärbung des Verwaltungsrates gekommen, und zwar durch Aushebelung und Entmachtung der Selbstverwaltung. De facto übernehmen die Arbeitgeber in einer Selbstverwaltung die Macht. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren von FPÖ und ÖVP, hat es nicht einmal in der Zeit des Austrofaschismus gegeben. (Beifall bei JETZT. Hallo-Rufe bei der FPÖ.) – Da war das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern 2 : 1, jetzt ist es 1 : 1. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! (Ruf bei der FPÖ: Nein!)

Zweiter Punkt: Arbeitszeitgesetz, 12-Stunden-Tag, 60-Stunden-Woche vorbei an den Betriebsräten, AUVA, Entmachtung von Arbeitnehmervertretungen, brutale Umfärbun­gen durch Infrastrukturminister Hofer im ÖBB-Aufsichtsrat, nach dem Motto: Rot raus, Blau und Türkis rein! (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Bei der Oesterreichischen Nationalbank: Postenschacher der Sonderklasse, nach dem Motto: Rot raus, Türkis und Blau rein! Wir erinnern uns an das SMS von Vizekanzler Strache, der sich Sorgen machte, dass er beim Postenschacher in der Oesterreichi­schen Nationalbank benachteiligt werden könnte. – Was für eine Schande für dieses Land! (Beifall bei JETZT sowie bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.)

Die Generalsekretäre in den Ressorts werden mit Sondervollmachten ausgestattet, zunächst sogar ohne Ausschreibung. Heute behandeln wir die Neukonstruktion der österreichischen Staatsholding. Wer soll dort installiert werden? Generalsekretär Thomas Schmid aus dem Finanzministerium. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Und was zeigt der BVT-Untersuchungsausschuss? Da zeigt sich, dass es um die Übernahme der Macht durch die FPÖ geht, begleitet von Parteibuchwirtschaft und Säuberungen.

Das, meine Damen und Herren von ÖVP und FPÖ, nennen Sie: Regieren Neu! Ich finde, das ist ein Skandal. (Beifall bei JETZT.)

Befund zwei: Diese Regierung arbeitet systematisch an einer Zweidrittelgesellschaft. Es geht ihr nicht um Gerechtigkeit, nicht um die neue Gerechtigkeit. Es geht ihr nicht um die Teilhabe aller am Reichtum dieses Landes. Das untere Einkommensdrittel ver­liert weiter, fällt immer weiter zurück. Es wird schamlos von unten nach oben um­verteilt. (Abg. Neubauer: Ja Sie haben ja ...!)

Das gilt auch für ein Herzstück Ihrer Maßnahmen, den Familienbonus, der das untere Einkommensdrittel benachteiligt und zugunsten des mittleren und des oberen Einkom­mensdrittels umverteilt.

Wie erklären Sie sich, dass Kinder von einem Großteil des unteren Einkommensdrittels einen Kindermehrbetrag von lediglich bis zu 250 Euro bekommen, während das obere und das mittlere Einkommensdrittel einen Familienbonus von bis zu 1 500 Euro be­kommen? Ist ein Kind des unteren Einkommensdrittels nur ein Sechstel dessen wert, was ein Kind des mittleren und des oberen Einkommensdrittels wert ist?

Es geht aber weiter – Arbeitslosenversicherungsbeiträge: Nein, Herr Kanzler, das untere Einkommensdrittel wird dadurch weitgehend nicht entlastet. Das, was Sie immer behaupten, ist schlicht falsch, denn Menschen bis zu einem Bruttoeinkommen von 1 380 Euro zahlten schon bisher keine Arbeitslosenversicherungsbeiträge.

Es geht weiter: Die Indexierung der Familienbeihilfe für Kinder im Ausland – nebenbei bemerkt gefährdet das auch die Aufrechterhaltung der 24-Stunden-Pflege.

Werfen wir einen Blick auf die Budgets 2018 und 2019! Das Generalziel ist das Nulldefizit  kein gesellschaftspolitisch wichtiges Ziel. Das gesellschaftspolitisch rele­vante Ziel wäre nicht null Defizit, sondern null Armut, aber bei den unteren Einkommen, in der Integration, bei den Pflichtschulen kürzen Sie. Sie streichen die Aktion 20 000, und Sie kürzen die Mittel für die Arbeitsmarktförderung.

Es geht aber weiter mit der Mindestsicherung Neu, die Sie kürzlich präsentiert haben. Auch da kommt es zu Kürzungen für Asylberechtigte, wenn sie nicht ausreichend Deutsch sprechen. Gleichzeitig kürzen Sie aber die Mittel für diese Programme. Erklä­ren Sie uns und den Zusehern einmal, wie jemand von 563 Euro im Monat leben soll! Für Frau Ministerin Hartinger reichen ja überhaupt 150 Euro zum Leben, also das ist ja schon wirklich ein Skandal.

Im Rahmen der Mindestsicherung kommt es auch zu Kürzungen für Kinder, und das, meine Damen und Herren, sind Frontalangriffe auf Arme, auf Arbeitslose und auf Migranten unter dem Vorwand, die Zuwanderung ins Sozialsystem zu stoppen. Jetzt frage ich Sie, meine Damen und Herren von ÖVP und FPÖ: Was haben denn die Armen verbrochen, dass sie von Ihnen so schäbig behandelt werden?

Ich gebe Ihnen die Antwort: Sie betreiben eine Sündenbockpolitik, die nicht darauf aus ist, Lösungen zu finden, sondern von den Problemen lebt, und problematisiert werden regelmäßig Migranten und Flüchtlinge. Arme werden gegen andere Arme ausgespielt, Inländer gegen Ausländer. (Abg. Gudenus: Das machen Sie!) – Ja, Herr Gudenus, was hat denn die Sozialministerin bei der Präsentation der Mindestsicherung Neu gesagt? – Österreicher zuerst! (demonstrativer Beifall und Bravorufe bei der FPÖ), das war ihre Devise. (Abg. Gudenus: Wer sind denn unsere Wähler? Österreicher! Staats­bürger!)

Schämen Sie sich dafür, meine Damen und Herren von der FPÖ! (Abg. Neubauer: Warum sollen wir uns da schämen? Unglaublich!) Hass und Feindbilder innerhalb der Gesellschaft, das ist der Motor dieser Koalition. Dass Sie, meine Damen und Herren von der FPÖ, den kleinen Mann prellen, und zwar permanent, das ist Ihnen anschei­nend egal, aber es stehen weitere Frontalangriffe gegen das untere Einkommensdrittel bevor: Die Notstandshilfe soll in das Arbeitslosengeld integriert werden, und wer aus dem Arbeitslosengeld rausfällt, kommt direkt in die Mindestsicherung mit Vermögens­anrechnung. (Abg. Rosenkranz: Woher wissen Sie das? Haben Sie das aus der Kristallkugel im Prater?) Diese Vermögensanrechnung hat, Herr Kollege Rosenkranz (Abg. Rosenkranz: Kristallkugel im Prater?), die Wirkung einer Vermögensteuer für die Mittelschicht, und angesichts der Tatsache, dass die wirklich Reichen in diesem Lande, die Milliardäre, weder eine Vermögensteuer noch eine Erbschaftssteuer zahlen, ist das in der Tat ein Skandal.

Ja, soziale Kälte hat in dieses Land Einzug gehalten – eine Schande für ein reiches Land wie Österreich! (Abg. Hauser: ... alle beherbergen?)

Der dritte Befund: Klientel und Großspender werden schamlos bedient. Einige Bei­spiele: mit dem 12-Stunden-Tag werden die Autoindustrie und die Hotellerie bedient, Senkung der Mehrwertsteuer, die Grunderwerbsteuer für Investoren wird abgeschafft, wenn Grundstücke über Holdingkonstruktionen verkauft werden, und die geplante KöSt-Senkung von 25 auf 20 Prozent ist ein Geschenk an die Großindustrie – ein Milliardengeschenk an die Großindustrie und ein Millionengeschenk an den Großspen­der Stefan Pierer von der KTM.

Befund vier: Wo gibt es Totalversagen? – Totalversagen gibt es bei der Bekämpfung der Armut, Totalversagen gibt es aber auch im Klimaschutz. Die österreichische Prä­sidentschaft wurde gestern in Katowice für ihr Verhalten und ihre Verhandlungen im Zusammenhang mit der Emissionsreduktion von Pkws, der Förderung von Kohle und deren Verlängerung bis 2035 geadelt (Rufe bei SPÖ und FPÖ: „Geadelt“?) – Fossil des Tages; das kennzeichnet die Klimaschutzpolitik dieser Regierung. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Befund fünf: Diese Regierung hat den Rechtspopulismus und den Rechtsextremismus in Europa salonfähig gemacht. Auf die politischen Diskriminierungen habe ich bereits hingewiesen. Das Überwachungspaket, die Ablehnung des Migrationspaktes, die BVT-Affäre, die Angriffe auf die Pressefreiheit aus dem Innenministerium, die Achse der Willigen, die der Herr Kanzler in Berlin anlässlich einer Pressekonferenz mit Horst Seehofer heraufbeschworen hat, die gute Freundschaft zu suspekten Figuren in Europa wie Orbán, wie Salvini, wie Kaczyński – das ist ein Beleg dafür und das sollte Ihnen zu denken geben. (Abg. Rosenkranz: Das ist unerhört! Das ist nicht ohne!)

Aber lassen wir ausländische Medien sprechen: Das „Handelsblatt“ stellte kürzlich fest, Österreich ist nach rechts gedriftet. Ja, ich stimme zu. Vielen Dank. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ. Abg. Gudenus: Von links in die Mitte ist auch nach rechts!)

11.12

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf die Schüler des Bernoulligymnasiums herzlich bei uns im Hohen Haus begrüßen. (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist der Herr Bundeskanzler. – Bitte.