12.24

Abgeordnete Dipl.-Ing. (FH) Martha Bißmann (ohne Klubzugehörigkeit): Herr Prä­sident! Geschätzte Damen und Herren! Bürgerinnen und Bürger! Herr Bundes­kanzler, schön, dass Sie heute hier sind! Herr Vizekanzler! Sehr geehrte Staats­sekretärin! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde „Ein Jahr Regierung: Rechtsruck und soziale Kälte“ – ist das wirklich so? Die Antwort auf diese Frage gibt Ihnen nun Ali. (Die Rednerin stellt eine Handpuppe auf das Rednerpult, die einen roten Fes auf dem Kopf hat, einen Schnurrbart trägt, mit einem schwarzen Anzug und einem weißen Hemd bekleidet ist und eine Fahne mit dem österreichischen Bundesadler hält).

Ali ist ein echter Österreicher. Indem ich jetzt seine Geschichte erzähle, bekommen Sie eine Antwort. Viele von Ihnen kennen ihn schon flüchtig aus dem als rassistisch kritisierten e-card-Video der FPÖ. Doch wer ist dieser Mann? Was hat er erlebt? Was treibt ihn nach Österreich? Wie ist er so als Mensch?

Lernen wir ihn gemeinsam kennen: Im Jahr 1964 folgte Ali dem Ruf aus Mitteleuropa nach Gastarbeitern in der Hoffnung auf ein besseres Leben für sich und seine Familie. (Abg. Deimek: Die Türken kamen später!) Mit 20 Jahren ließ er alles hinter sich und kam mit nur einem Koffer in der Hand nach Österreich. Von seiner Familie blieb ihm einzig und allein ein Schwarzweißfoto, das er immer bei sich in der Brusttasche am Herzen trug. Ali begann schon am ersten Tag in Österreich, in der Fabrik zu arbeiten. Er wusste, es würden schwierige Zeiten auf ihn zukommen – und sie waren auch schwierig: Er war alleine und hatte niemanden. Am Anfang sprach er kein Wort Deutsch, hatte nicht einmal ein Dach über dem Kopf, und er verbrachte viele Tage, Wochen und Monate damit, körperliche Schwerstarbeit zu verrichten, mit deren Folgen er heute noch zu leben hat – in Sehnsucht nach seiner Familie. Bei der heutigen Debatte um Migration und Ausländer werden diese Geschichten nie erzählt. Warum auch? Es ist doch einfacher, Ali als Sozialschmarotzer hinzustellen und damit Kürzungen im Sozialbereich zu rechtfertigen.

Ein paar Jahre nach seiner Ankunft kam es dann zum lang ersehnten Familiennach­zug. Gemeinsam mit seiner Frau Ayşe lebte Ali mit seinen Kindern zu fünft in einer 40-Quadratmeter-Substandard-Schimmel-Wohnung, ohne Bad, mit WC und Waschbecken am Gang. Die in Österreich zur Welt gekommenen Kinder, der Sohn Mustafa, die Tochter Emine, lernten schnell, was es heißt, Dolmetscherkinder zu sein. Sie mussten die ganze Zeit für die Eltern und die ganze Familie übersetzen. Und sie wuchsen nicht wie viele ihrer SchulkollegInnen in Wohlstand auf.

Heute, da Emine und Mustafa ÄrztInnen sind, Beamte, Angestellte, werden sie vom rechten Flügel in diesem Land kriminalisiert, aufgrund einer ominösen Liste, auf der auch Alis Name steht, werden beschuldigt, neben der österreichischen auch die türkische Staatsbürgerschaft zu besitzen, und werden somit als rechtschaffene steuer­zahlende StaatsbürgerInnen grundlos unter Generalverdacht gestellt. Sie müssen jetzt beweisen, dass sie keine türkischen Staatsbürger sind, sonst droht ihnen nämlich der Verlust von all dem, was sie sich in Österreich aufgebaut haben. Ihre gesamte Existenz ist damit bedroht. (Abg. Deimek: Das ist gut so!)

Hören Sie auf, diese Gesellschaft zu spalten, hören Sie auf, die Alis und Alfreds, die Jasmins und Jasemins gegeneinander auszuspielen, denn sie sind es, die da draußen Nachbarn sind, die im Schulhof miteinander spielen, die in den Klassen gemeinsam lernen, die in den Sozialräumen miteinander plaudern und lachen und die auf den Baustellen täglich ihr Brot teilen! Die soziale Kälte im Land spürt nicht nur Ali, die spürt auch die pensionierte Sabine, die spüren wir alle, jeder Einzelne. (Abg. Rosenkranz: Er kriegt sicher auch die 2 bis 2,6 Prozent Pensionserhöhung!

Ich bedanke mich bei Muhammed Yüksek für diese Geschichte und bei Sherif aus Favoriten für diese schöne Ali-Puppe. Es liegt an uns allen in diesem Land, Menschen wie Ali endlich die verdiente Wertschätzung und Anerkennung zu gewähren und nicht eine Hexenjagd auf rechtschaffene Staatsbürger, österreichische Staatsbürger aus­zurufen. Wo sind die christlich-sozialen Werte geblieben? Wo ist die soziale Wärme, die jeder Mensch braucht? Ich spüre viel zu viel neoliberale Kälte, ich spüre Aus­grenzung und Spaltung. Um, meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen, Irmgard Griss zu zitieren: Die großen Fragen sind doch die: Wie können wir den Zusammenhalt aller Menschen, die in diesem Land leben, stärken? (Beifall bei Abgeordneten von SPÖ, NEOS und JETZT.)

12.29

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet, die Debatte ist damit geschlossen.