11.20

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (JETZT): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Frau Kollegin Steger, in Vorbereitung auf diese Debatte habe ich ja versucht, die Erfolge dieser Präsidentschaft zu erkunden, es ist mir halt nicht gelungen. (Abg. Rosenkranz: Das ist aber, glaube ich, Ihr Problem! – Diese Offenheit!) Es ist vielleicht auch kein Zufall, dass in Brüsseler Kreisen diese Ratspräsidentschaft sehr gerne als Rastpräsi­dentschaft bezeichnet wird. (Abg. Höbart: Sie kennen nur den Kreis der Arbeiterkam­mer!) Das scheint mir doch kein Zufall zu sein. (Abg. Höbart: Pensionist der Arbeiter­kammer!)

Jetzt kann man viel über das Motto dieser Präsidentschaft „Ein Europa, das schützt“ debattieren. Ja, Sie haben dieses Motto gewählt, um Europa und diese Präsidentschaft ausschließlich unter das Ziel des Schutzes der Außengrenzen zu stellen. Wo aber ist da die Trendwende, Herr Kanzler, von der Sie gesprochen haben? Welche Trendwen­de hat der Europäische Rat im Juni in Salzburg eingeleitet? Ich vermag diese Trend­wende nicht zu erkennen. Wo ist denn das Abkommen mit den Drittstaaten, Herr Kanz­ler? Wo ist denn die personelle Aufstockung von Frontex auf 10 000? Wo? Ja, Sie ha­ben uns im EU-Hauptausschuss gesagt, es hat eine Reihe von Mitgliedstaaten gege­ben, die dagegen gewesen sind. – Ja, okay! Das heißt also nur, dass Sie sich mit die­ser Trendwende, von der Sie dauernd reden, offensichtlich auf europäischer Ebene nicht durchsetzen konnten. Ich verstehe nicht, wie Sie mit diesem Ergebnis zufrieden sein können.

Das zeigt ja nur, dass ein Systemwechsel in der Migrationsfrage mehr braucht als nur den Schutz der Außengrenzen – aber nicht einmal da sind Sie erfolgreich gewesen –, mehr in dem Sinn, dass wir uns auch über eine gemeinsame Lösung in Europa, über eine solidarische Lösung für die Verteilung der Flüchtlinge unterhalten müssen, dass wir uns über die Hilfe vor Ort unterhalten müssen, bei der Sie gekürzt haben, dass wir uns über eine geänderte Handelspolitik der Europäischen Union gegenüber Afrika un­terhalten müssen. All das sind Fragen, die im Rahmen des EU-Ratsvorsitzes von Ös­terreich nicht einmal tangiert worden sind. In diesem Sinne ist das wirklich eine ver­passte Chance. (Beifall bei JETZT. – Ruf: Sie sollten öfter fernsehen!)

Den UN-Migrationspakt, der Regeln gebracht hätte, wie wir in Zukunft mit der Migra­tionsfrage umgehen wollen (Abg. Haider: Falsche Regeln! Völlig falsche Regeln!), haben Sie abgelehnt. Sie haben sich in dieser Frage von Ihrem Koalitionspartner, von der FPÖ treiben lassen, die eine Desinformationskampagne im Zusammenhang mit dem UNO-Migrationspakt gemacht hat. (Beifall bei JETZT. – Abg. Haider: Das ist ja verantwortungsvoll und differenziert!)

Sie haben behauptet, dass daraus Gewohnheitsrecht abgeleitet werden kann. (Die Ab­geordneten Haider und Rosenkranz: Ja, natürlich! Natürlich! Natürlich!) Herr Rosen­kranz! Herr Vizekanzler! Herr Bundeskanzler! Sie wissen, dass das nicht stimmt.

Herr Kanzler, Ihre Schwesterpartei in Deutschland hat eine ganz andere, eine aufklä­rende Politik betrieben. (Abg. Haider: Lesen Sie sich die Anträge Ihrer Ex-Schwes­terpartei in Deutschland durch, der Grünen!) Daran hätten Sie sich ein Beispiel neh­men können. (Abg. Winzig: Sie haben ja keine Schwesterpartei! – Abg. Wöginger: Hat JETZT eine Schwesterpartei?)

Ein Europa, das schützt, ist aber wesentlich mehr. Es gibt viele Themen, die unter den Nägeln brennen: die soziale Frage, der Klimaschutz, die Steuerfluchtrouten, ja, der Schutz vor Steuerflüchtlingen.

Beginnen wir aber einmal mit der sozialen Frage: Was hat denn der österreichische Ratsvorsitz in diesem Zusammenhang getan, um den Einstieg in eine Sozialunion zu­stande zu bringen? – Die Antwort ist: Nichts! Wo ist denn ein europäischer Mindest­lohn? Wo ist denn eine europäische Arbeitslosenversicherung? Wo sind denn die Pro­gramme zur Abschaffung der Armut in Europa? – Da ist nichts vorhanden, da ist gäh­nende Leere.

Wozu die Vernachlässigung der sozialen Frage führen kann, haben wir sehr deutlich in Großbritannien gesehen. Jene Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden sind, weil sie Globalisierungsverlierer gewesen sind, sind Rechtspopulisten auf den Leim gegangen, den Oberzündlern Nigel Farage von UKIP, Herrn Boris Johnson von den Tories. Und jetzt haben wir den Schlamassel! Ja, und das zeigt: Wer die so­ziale Frage vernachlässigt, muss unter Umständen mit einem hohen Preis rechnen, ei­nem Preis, den wir alle nicht haben wollen. (Beifall bei JETZT.)

Wir alle wollen keinen Brexit und wir alle wollen schon gar keinen Hard Brexit. Aber was passiert denn, wenn Theresa May heute Abend die Abstimmung, die Vertrauens­abstimmung verlieren wird? – Ja, dann sind wir einem Hard Brexit, einem No Deal wesentlich näher, auf den Europa nicht – und Österreich schon gar nicht – vorbereitet ist.

Was die Vernachlässigung der sozialen Frage bedeutet, erleben wir jetzt aber auch hautnah in Frankreich. Ja, die Anliegen der Bewegung der Gelben Westen sind mehr als berechtigt, und wir sehen, wozu sie geführt haben (Abg. Lopatka: Zerstörung! – Abg. Neubauer: Autoanzünden!): Der Star der französischen und europäischen Politik vor einem Jahr, Macron, kämpft heute um sein politisches Überleben! (Vizekanzler Strache: Der kommt von eurer Couleur!) Er weiß nicht, wie er mit dieser Bewegung und mit diesen Problemen umgehen soll. Und die soziale Frage, das habe ich ja ges­tern ausgeführt, spielt auch eine Rolle.

Weil Sie, Herr Vizekanzler, den Erfolg Ihrer Ministerin im Zusammenhang mit der Euro­päischen Arbeitsagentur angeführt haben: Na ja, sie musste wohl unter Druck erst einen Rat einberufen, denn den ersten, bei dem es um die Bekämpfung des Lohn­dumpings gegangen ist, hat sie erst gar nicht einberufen. Und die Lösung, die am 4. Dezember herausgekommen ist, ist eine extrem abgespeckte Variante, eine Varian­te, die man jedenfalls nicht als großen Erfolg verkaufen kann.

Ja, und was ist denn mit der Bekämpfung der Steuerflüchtlinge? Sie legen doch, Herr Kanzler, so großen Wert darauf, Fluchtrouten zu schließen. Wie viele Steuerfluchtrou­ten sind aber während der österreichischen Präsidentschaft geschlossen worden? – Ich kann es Ihnen sagen: nicht eine einzige. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Der Herr Finanzminister hat sich schon bemüht – ja, das will ich ihm schon zugeste­hen –, in Sachen der Finanztransaktionssteuer und der Digitalsteuer ein wenig Fort­schritt und ein wenig Lösungsorientiertheit in die europäische Debatte zu bringen. Ihre Bemühungen waren aber nicht ausreichend und es fehlte vor allem auch die Unter­stützung des Bundeskanzlers. Hätte der Bundeskanzler sich mit derselben Verve in die Frage der Schließung der Steuerfluchtrouten hineingeworfen, wie er das bei der Bal­kanroute gemacht hat, dann wären wir vermutlich heute der Schließung von Steuer­schlupflöchern einen Schritt näher. (Beifall bei JETZT.)

So aber, Herr Finanzminister, sind Sie am 4. Dezember mit leeren Händen aus Brüssel zurückgekehrt. Die Finanztransaktionssteuer wird offenbar in eine Aktienbesteuerung umgewandelt. Das ist keine Finanztransaktionssteuer mehr. Wenn man die hochspe­kulativen Derivate nicht besteuert, verdient das den Namen Finanztransaktionssteuer nicht. Damit kann man keine Stabilisierung in die Finanzmärkte bringen. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Sie sind den Finanzlobbyisten endgültig auf den Leim gegangen. Die Finanztransak­tionssteuer ist unter österreichischer Präsidentschaft endgültig begraben worden.

Was ist mit der Digitalbesteuerung? – Ja, betreffend die Digitalsteuer gab es sozusa­gen den Versuch, einen Vorschlag der Europäischen Kommission umzusetzen, aber das ist kräftig danebengegangen. Deutschland und Frankreich haben einen abge­speckten Vorschlag für eine Werbeabgabe gemacht, aber dieser Vorschlag hat noch mehr Widerstand unter den Mitgliedstaaten hervorgerufen.

Was war der große Erfolg am 4. Dezember? – Der große Erfolg war, dass im Frühjahr weiterverhandelt werden soll. – Na super! Ja, das nenne ich eine verpasste Chance: Die Steuerungerechtigkeit bleibt weiter bestehen. Großkonzerne à la Google und Co werden weiterhin niedrige bis keine Steuern bezahlen, während die kleinen Unterneh­men und die Lohnabhängigen selbstverständlich ihre Steuern bezahlen werden.

Werfen wir vielleicht noch einen Blick auf den Klimaschutz: Ja, auch das ist eine zen­trale Frage, eine wichtige Frage, wo Österreich wenig Fortschritte gemacht hat. Die ös­terreichische Präsidentschaft ist ja vorgestern in Katowice geadelt worden: „Fossil des Tages“; na ja, zu Recht geadelt worden, weil eben die Fortschritte der österreichischen Präsidentschaft extrem gering gewesen sind.

Ich habe heute im „Morgenjournal“ gehört, dass Frau Nachhaltigkeitsministerin Köstin­ger dazu aufgerufen hat, dass die Staaten der Europäischen Union größere Anstren­gungen zur Bekämpfung des Klimawandels, der Klimaerhitzung vornehmen müssten. Da frage ich mich: Wie glaubwürdig ist eine solche Ministerin, die nicht einmal in der Lage ist, im eigenen Haus die CO2-Emissionen zu senken? (Beifall bei JETZT.) Sie be­treibt zu Hause Symbolpolitik, fordert aber in Katowice von den anderen europäischen Staaten stärkere Aktionen ein. Damit macht sie sich bestenfalls lächerlich.

Das ist der Erfolg oder besser Misserfolg der österreichischen Präsidentschaft; weitere Punkte ließen sich anführen. – Vielen Dank. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Hammer: Weihnachtswünsche hätten Sie ihr wenigstens ausrichten können!)

11.30

Präsidentin Doris Bures: Als Nächster zu Wort gemeldet: Herr Abgeordneter Karl­heinz Kopf. – Bitte.