17.56

Abgeordnete Dr. Alma Zadić, LL.M. (JETZT): Frau Präsidentin! Geschätzte Frau Staatssekretärin! Herr Minister! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Hohes Haus! Wir diskutieren heute über einen Antrag von ÖVP und FPÖ, bei dem sich für mich als Juristin zwei Fragen stellen. Der Antrag zielt lediglich auf die islamistische Radika­lisierung und nicht auf den islamistischen Extremismus ab. Das ist mir ehrlich gesagt ein bisschen unerklärlich. Auch wenn Radikalisierung oder Radikalismus oder Extre­mismus umgangssprachlich synonym verwendet werden, so ist das dennoch nicht das Gleiche. Der Extremismus an sich zielt ja darauf ab, unsere Grundwerte und die freie Demokratie zu beseitigen, und gegen den Extremismus müssen wir alle entschieden angehen.

Ein zweiter Punkt, den ich hier schon auch noch einbringen möchte, ist: Dieser Antrag zielt lediglich auf die Verhinderung von islamistischer Radikalisierung – und Sie meinen wahrscheinlich auch den islamistischen Extremismus – ab. Angesichts der jüngsten Ereignisse in Christchurch und der weltweiten Zunahme von rechtsextremem Terror und auch rechtsextremen Gewaltdelikten und Tötungsdelikten ist es für mich absolut fahrlässig, dass Radikalisierung und Extremismus, und zwar jeglicher Extremismus, hier nicht betrachtet wurden, denn nur durch eine Betrachtung der gesamtheitlichen Situation können wir auch eine nachhaltige Lösung und eine seriöse Auseinan­dersetzung mit diesem Extremismusphänomen herbeiführen.

Daher ist es auch mein Anliegen, dass wir uns alle gemeinsam entschieden gegen jegliche Formen von Extremismus stellen, gegen den islamistischen Extremismus, gegen den Rechtsextremismus, gegen den Linksextremismus und sonst gegen jeg­lichen politischen, religiösen und weltanschaulich motivierten Extremismus. (Beifall bei JETZT und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wir müssen uns gegen jegliche Ideologie, die zum Ziel hat, unseren demokratischen Verfassungsstaat und die damit verbundenen Grundsätze zu beseitigen, aussprechen und sie entschieden bekämpfen.

Da es uns ein Anliegen ist, das Ganze gesamtheitlich zu betrachten, bringe ich daher heute auch einen Abänderungsantrag ein, und ich bin davon überzeugt, dass auch Sie sich diesem Abänderungsantrag anschließen werden, denn dieser Abänderungsantrag zielt darauf ab, dass sich die Bundesregierung entschieden gegen jegliche Formen von Extremismus einsetzt.

Ich stelle folgenden Abänderungsantrag:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr.in Alma Zadić, LL.M., Kolleginnen und Kollegen

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die eingangs genannte Entschließung wird wie folgt abgeändert:

„Entschließung

betreffend Verhinderung von Parallelgesellschaften und Extremismus:

,Die Bundesregierung wird ersucht, alles in ihrer Verantwortung Stehende zu tun, um jeglicher Form von religiösem, weltanschaulichem oder politischem Extremismus in Österreich vorzubeugen und entgegenzuwirken, sowie die Bildung von Parallelgesell­schaften und extremistischen Milieus zu verhindern.‘“

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Vielen Dank. (Beifall bei JETZT sowie der Abgeordneten Griss und Leichtfried.)

18.00

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten Dr.in Alma Zadic, LL.M., Kolleginnen und Kollegen

zum Antrag 664/A(E) betreffend Verhinderung von Parallelgesellschaften und Radi­kalisierung, (531 d.B.), in der Fassung des Berichtes des Ausschusses für Menschen­rechte – TOP 12

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die eingangs genannte Entschließung wird wie folgt geändert:

„Entschließung

betreffend Verhinderung von Parallelgesellschaften und Extremismus:

„Die Bundesregierung wird ersucht, alles in ihrer Verantwortung Stehende zu tun, um jeglicher Form von religiösem, weltanschaulichem oder politischem Extremismus in Österreich vorzubeugen und entgegenzuwirken, sowie die Bildung von Parallelgesell­schaften und extremistischen Milieus zu verhindern.“

Begründung

Am 19. März 2019 wurde der Antrag 664/A(E) der Abgeordneten Dr.in Gudrun Kugler, Dr.in Susanne Fürst, Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für Menschenrechte in Verhandlung genommen. Bezüglich des Antrags stellen sich zwei entscheidende Fragen:

Erstens, weshalb der Antrag 664/A(E) nur auf die Verhinderung von „Radikalisierung“ und nicht auch von „Extremismus“ abzielt. Das deutsche Bundesamt für Verfassungs­schutz hält diesbezüglich fest: „Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwi­schen ‚Extremismus‘ und ‚Radikalismus‘, obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei ‚Radikalismus‘ handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denk- und Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits ‚von der Wurzel (lat. radix) her‘ anpacken will. Im Unterschied zum ‚Extremismus‘ sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirt­schafts- und Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer plura­listischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Ziel­vorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfas­sungs­ordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen.“1

Das deutsche Bundeskriminalamt definiert Radikalisierung als einen „oft schleichenden Prozess“, der „in einem Wechselspiel aus eigenen Erfahrungen, Kontakten mit extre­mistischen Szenen und dem Konsum von Propaganda“ entsteht. 2 Bereits bestehender Extremismus bedingt neben anderen Faktoren den Prozess der Radikalisierung. Für eine wirksame Prävention müssen religiöser, weltanschaulicher oder politischer Extre­mismus und die dahin führende Radikalisierung also gemeinsam gedacht und angegangen werden. 

Zweitens ist fraglich, weshalb der Antrag 664/A(E) lediglich die Verhinderung von „islamistischer Radikalisierung“ zum Ziel hat. Angesichts der jüngsten Ereignisse in Christchurch, Neuseeland, und der weltweiten Zunahme rechtsextremen Terrors und rechtsextremer und rassistischer Gewalt- und Tötungsdelikte ist die verkürzte Dar­stellung nicht nachvollziehbar. Islamistischer und rechtsextremer Terror verstärken sich gegenseitig, indem sich Feindbilder verfestigen und die Brutalität und menschen­verachtende Haltung der einen Seite zur Rechtfertigung von Hass und Gewalt der anderen werden.

Eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Thema und nachhaltige Lösung des Phä­nomens verlangt, dass wir in Österreich mit aller Entschiedenheit nicht nur dem isla­mistischen Extremismus, sondern jeglichem Extremismus – sei er religiös, politisch oder weltanschaulich motiviert –, der darauf abzielt, unseren demokratischen Verfas­sungsstaat und die damit verbundenen Grundprinzipien (wie Pluralismus, Gewalten­teilung und die Akzeptanz der Menschenrechte) unserer Verfassungsordnung zu be­seitigen, entgegentreten.

Auch der deutsche Verfassungsschutz warnt vor den Vernetzungen und Kooperationen von Rechtsextremen in Europa, welche sich „in jüngster Vergangenheit“ intensiviert haben. Laut vorläufigen Zahlen des deutschen Bundeskriminalamts gab es in Deutsch­land im ersten Halbjahr 2018 fast jeden zweiten Tag einen Anschlag mit rechts­extremem Hintergrund. 3 In Österreich sieht die Situation ähnlich aus. So wurden im ersten Halbjahr 2018 in Österreich 335 rechtsextreme Taten sowie 95 rassistische, 29 antisemitische und neun antimuslimisch motivierte Tathandlungen verzeichnet. Im gesamten Jahr 2017 waren es 660 Tathandlungen, welche einen rechtsextremen Hintergrund hatten. 4

1 https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/extremismus-radikalismus.

2https://www.bka.de/DE/IhreSicherheit/RichtigesVerhalten/Radikalisierung/radikalisierung_node.html .

3 https://www.welt.de/politik/deutschland/article178857820/Rechtsextreme-Gewalttaten-Behoerden-warnen-vor-rechtsextremem-Gefaehrdungspotenzial.html .

4  https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/AB/AB_01182/imfname_708164.pdf.

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Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, steht daher auch mit in Verhandlung.

Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Dr.in Fürst. Sie haben das Wort. – Bitte.