13.09

Abgeordneter Dr. Alfred J. Noll (JETZT): Frau Präsidentin! Frau Bundeskanzlerin! Herr Vizekanzler! Werte Mitglieder der Bundesregierung auf der Regierungsbank! Das ist ja schön: Wenn man einmal dagegen ist, dann kommt man als Vertreter der kleins­ten Oppositionspartei gleich als erster Redner dran.

Wenn die verschiedenen Abgeordneten ihre Flashmobs beendet haben (in Richtung je­ner Abgeordneten, die sich im hinteren Teil des Sitzungssaals aufhalten), dann kann man vielleicht hier im Haus auch reden.

Sie alle wissen, dass Sebastian Kurz jüngst affichiert hat: „Rot-Blau hat bestimmt. Das Volk wird entscheiden.“ Ich sage Ihnen: Das ist ein aktiver Beitrag zur Verluderung un­serer Verfassungssprache. Jetzt muss man nicht unbedingt ein Anhänger von Jürgen Habermas sein, der in diesen Tagen seinen 90. Geburtstag feiert, um hier das Postulat des Verfassungspatriotismus auszusprechen, aber es hat nicht Rot-Blau bestimmt, sondern es hat der Nationalrat durch Entschließung der vormaligen Regierung das Vertrauen versagt. (Präsidentin Kitzmüller übernimmt den Vorsitz.)

Wer am Beginn des Wahlkampfs schon versucht, mit derartigen populistischen und de­magogischen, neben dem Vokabular der Verfassung liegenden Vokabeln Stimmung zu machen, der weckt nur nachdrücklich bei mir wiederum den Eindruck, dass dieser Misstrauensantrag gegen ihn persönlich schon zu Recht erfolgt ist.

Wer überdies das Volk, das gemäß einem Satz von Hans Kelsen im Artikel 1 der Aus­gangspunkt des Rechts ist, dem Nationalrat als Antipode gegenüberstellt, der verkennt den Sinn und den Zweck der parlamentarischen Demokratie, der betreibt tatsächlich eine vokabelmäßige Aufrüstung, die mit dem, was in unserer Verfassung steht, nichts oder kaum etwas zu tun hat. (Beifall bei Abgeordneten von JETZT und SPÖ.)

Ich glaube auch, dass es hoch an der Zeit ist, dieses unsinnige Gerede von einer Über­gangsregierung oder einer Expertenregierung oder auch einer Regierung des Vertrau­ens zu beenden. Wir haben eine Bundesregierung, die um nichts weniger oder mehr demokratisch legitimiert ist als alle anderen Bundesregierungen der Zweiten Republik. Auch die Mitglieder dieser Bundesregierung wurden vom Herrn Bundespräsidenten an­gelobt. Auch viele, viele Ministerinnen und Minister vormaliger Regierungen wurden nicht als Abgeordnete zuvor in den Nationalrat gewählt.

Auch das ist tatsächlich ideologische Nebelbildung, und es trägt vielleicht – und viel­leicht ist das ja auch der Sinn dieser ganzen Sache – dazu bei, bei den Mitgliedern dieser Bundesregierung eine Art Mentalreservation nach dem Motto zu bilden: Na ja, wir sind ja eh nur Übergang, wir sind ja eh nur Stellvertreter. – Das ist politisches Kal­kül.

Zum Glück habe ich im Hinblick auf die personelle Besetzung unserer derzeitigen Bun­desregierung keine Sorge, dass ihre Mitglieder ihr Amt nicht als das wahrnehmen, was ihre Aufgabe entsprechend der Verfassung ist. Clemens Jabloner, unser neuer Vize­kanzler, ist leider schon aus dem Saal abgegangen. In einem Punkt würde ich ihn näm­lich gerne korrigieren wollen: Tatsächlich hat diese Bundesregierung das Vertrauen des Nationalrates. Es ist nicht so, dass, solange dieses Vertrauen nicht ausgesprochen wäre, Misstrauen herrscht, sondern es ist, dem österreichischen Verfassungskonzept folgend, genau umgekehrt. Wir haben in unserem Verfassungsrecht die Formulierung, dass der Nationalrat der Bundesregierung oder einzelnen Mitgliedern das Vertrauen versagen kann. Bis es nicht versagt ist, besteht es. Daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben.

Die jetzige Situation ist, empirisch gesprochen, sicher außergewöhnlich, einfach schon deshalb, weil wir sie noch nie hatten und es dafür keine Routinen gibt. Sie ist aber und das haben meines Erachtens zu Recht alle Beteiligten vom Bundespräsidenten bis zur neuen Bundeskanzlerin ausgesprochen – weder eine Staatskrise noch eine Verfas­sungskrise. Sie ist eine große Chance, und diese Chance sollte der Nationalrat nüt­zen – in zwei, drei Punkten hat er damit schon begonnen. Ich glaube, dass es eine Ge­legenheit wäre, dass dieses Haus, die Mitglieder dieses Hauses hier endlich einmal zeigen, dass sie nicht willenlose Marionetten an den Strippen der einzelnen Partei­zentralen sind, sondern dass sie tatsächlich Abgeordnete sind, die im Sinne der Ver­fassung auch für dieses Land arbeiten.

Um nochmals auf Jürgen Habermas zu sprechen zu kommen: Wenn wir das, was bis­her war, einfach fortsetzen, dann haben wir keinen Verfassungspatriotismus, sondern wir setzen einen Parteienpaternalismus fort. Ich glaube, dass es dem Haus gut anstün­de, das zu ändern. (Beifall bei JETZT.)

Ein letztes Wort zu dem Plakat von Sebastian Kurz, das ich einleitend erwähnt habe: Nicht nur, dass er auf diesem Plakat wie der junge Enver Hoxha ausschaut, der in die Ferne blickt (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPÖ), sondern das, was da als wahlpro­pagandistischer Spruch formuliert ist, nämlich: „Unser Weg hat erst begonnen.“, das ist wirklich übler Phrasenklau. Genau mit dieser Formulierung hat Präsident Januko­wytsch 2011 in der Ukraine tausendfach sein Land zugepflastert, und wir wissen, wer Herr Janukowytsch ist. Er ist jemand, dem nachgesagt wird, dass er seinem Land 40 Milliarden Dollar abgenommen hat. Wir wissen von einem Hochverratsprozess und wir wissen von einem internationalen Haftbefehl, der einmal ausgeschrieben gewesen ist. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, dass man sich in Österreich derartige Wahlpro­pagandaformeln von einem derartigen Mann ausleiht. – Danke. (Beifall bei JETZT.)

13.16

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Gerstl. – Bitte schön, Herr Abgeordneter.