10.27

Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Liliane Maury Pasquier (in deutscher Simultandolmetschung): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erlaube mir jetzt, auf Französisch zu Ihnen zu sprechen, und bedanke mich für Ihr Verständnis.

Zunächst einmal möchte ich einige Worte zur Kritik sagen, die geäußert wurde, einer­seits am Europarat und andererseits an der Parlamentarischen Versammlung. Es wurde gesagt, dass wir mit zweierlei Maß messen, mit zwei verschiedenen Standards. Ich höre diese Kritik, möchte aber zunächst einmal etwas sagen, was Sie alle wissen: Keine Organisation, keine menschliche Konstruktion ist jemals perfekt, und der Euro­parat behauptet auch nicht, das zu sein.

Der Europarat aber basiert vor allem auf dem Dialog, dem Austausch, dem Zusam­menkommen verschiedener Behörden, Völker und Nationen, ausgehend vom Prinzip, dass es besser ist, zu diskutieren und sich auszutauschen, sogar und vor allem auch dann, wenn man mit etwas nicht einverstanden ist. Das ist besser als auszuschließen, zu urteilen und Menschen oder Länder, mit denen man nicht einverstanden ist, auszustoßen. Durch diesen Austausch kann man aufbauen statt zu zerstören.

Es geht um die Verteidigung von gemeinsamen Werten für alle Bevölkerungen und Länder unseres Kontinents. Das basiert auf dem Dialog, auf dem Versuch, Möglich­keiten für den Dialog zu suchen und ein Maximum an Ländern – nach Möglichkeit alle europäischen Länder – an unserem gemeinsamen Konstrukt zu beteiligen, sodass wir alle gemeinsam Fortschritte machen können.

Wenn man hört, dass dieses oder jenes Land das Recht in gewissen Bereichen nicht einhält, dann ist es wichtig, unsere Werte hochzuhalten. Es ist wichtig, zu verfolgen, was in diesem Land stattfindet, auch die Fortschritte festzustellen, feststellen zu kön­nen, wo dieses Recht nicht eingehalten wird.

Dabei aber sollte man immer im Kopf behalten, dass Dialog besser als Ausschluss ist und dass die Beteiligung dieser Länder die Bevölkerungen und die Demokratien dieser Länder schützt. Das hilft uns – allen Europäerinnen und Europäern –, auf einem Kon­tinent zu leben, wo wir meistens nicht unter Konflikten zu leiden haben, auch wenn natürlich nicht immer alles perfekt sein kann.

Es wurde auch ein anderes Problem angesprochen, ein Problem, das die Organisation wirklich durcheinandergeschüttelt hat, nämlich die Korruption. Ich bin stolz, sagen zu können, dass die Parlamentarische Versammlung dieses Problem gut ausgelotet hat und die richtigen Maßnahmen getroffen hat, um diesen Fluch zu bekämpfen.

Zunächst einmal wurde diese Arbeit unter den eigenen Mitgliedern geleistet, und das führte zum Ausschluss eines Kollegen; auch einer meiner Vorgänger war davon be­troffen. Es ging nicht nur darum, die Vergangenheit in Ordnung zu bringen, es ging auch um die Zukunft, und für die Zukunft haben wir ein System aufgestellt, in dem die Interessen der jeweiligen Parlamentarier offengelegt werden müssen. Dadurch wurde viel mehr Transparenz bezüglich der Einkommen, bezüglich der Geschenke, die die Parlamentarier vielleicht bekommen könnten, geschaffen, und dadurch kann man viel aufmerksamer verfolgen, was im Rahmen der Verhütung von Korruption stattfindet.

Natürlich ist der Europarat eine bescheidene Institution. Er kostet nicht viel Geld, weder Österreich noch die anderen Mitgliedstaaten. Wenn man ihn mit der Europäischen Union vergleichen will – auch wenn Vergleiche immer hinken –, dann sind wir viel billiger. Wir haben bescheidene Mittel, und wir versuchen, sie so sinnvoll wie möglich einzusetzen. Wir brauchen auch die Zivilgesellschaft und die Medien, um zum Beispiel diese Offenlegung der Interessen der Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung zu überprüfen. Die Möglichkeiten für solche Überprüfungen haben wir in unserer be­scheidenen Organisation nicht immer, daher bauen wir auf die Medien und auf die Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten, um gemeinsam gegen die Korruption zu kämp­fen.

Der Europarat und die Mitgliedschaft im Europarat machen – wie Frau Bures gesagt hat – einen Unterschied. Sie machen einen Unterschied hinsichtlich der Ausübung von Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und für die Verteidigung der Grundrechte.

Sehr oft stützt man sich auf Beispiele von Ländern, in denen die Demokratie vielleicht nicht so entwickelt ist wie in Ihrem oder in meinem Land, aber ich möchte betonen, welche Chance der Europarat auch für die Bevölkerung des eigenen Landes ist. Man muss nicht unbedingt auf die Türkei, nach Aserbaidschan oder nach Russland blicken, denn auch wir haben das Glück, Teil des Europarates zu sein, und unsere Bürger und Bürgerinnen haben das Glück, dass unsere Länder Mitglieder sind und dass daher ihre Rechte auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verteidigt werden.

Diese Mitgliedschaft bedeutet für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger einen Unter­schied im Land selber. Zum Beispiel lebt in meinem Land eine Hausfrau, die invalide geworden ist, und ihre Rechte wurden dank einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte voll anerkannt. Es gab auch den Fall eines Arbeiters, der Asbest ausgesetzt gewesen ist, und auch seine Berufserkrankung wurde dank einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aner­kannt.

Das heißt, dieser Gerichtshof ist nichts Abstraktes. Auch der Europarat ist nichts Abstraktes, wo man in der schönen Stadt Straßburg schöne Reden hält. Es gibt einen Mehrwert, es ist ein fundamentaler Zugewinn für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Wir müssen anerkennen, dass die Menschenrechtskonvention, aber auch die Euro­päische Sozialcharta die Wurzeln darstellen, die es uns ermöglichen, als europäischer Kontinent gemeinsam zu wachsen, mit gemeinsamen Werten, mit Werten, die alle Menschen schützen, die auf diesem europäischen Kontinent leben, ob es uns nun passt oder nicht: Migranten, Minderheiten, aber auch Menschen mit Kindern, deren Familien seit Generationen Österreicher oder Schweizer sind.

Wir arbeiten für den Schutz der nationalen Minderheiten und der nationalen Sprachen. Wir arbeiten gegen den Missbrauch von und die Gewalt an Kindern und gegen die Ge­walt an Frauen. Wir kämpfen gegen entwürdigende Behandlung, wir kämpfen gegen den Missbrauch von personenbezogenen Daten und gegen Cyberkriminalität. Wir arbeiten auch am Thema Aggressivität im Sport und an einer europäischen Bildung auf Basis demokratischer Grundsätze.

Heute haben wir es natürlich mit neuen Herausforderungen zu tun. Wir haben es mit der modernen Sklaverei zu tun, mit steigenden Ungleichheiten in vielen Gesell­schaf­ten, und es geht auch um den Schutz vor Umweltproblemen und den Kampf für eine gesunde Umwelt. Wir müssen einen Kontinent aufbauen, auf dem alle miteinander reden, auch wenn wir verschiedene Meinungen über das, was zu tun und was nicht zu tun ist, über das, was nicht den Kriterien der Rechtsstaatlichkeit entspricht, haben, denn der Schutz der 830 Millionen Europäerinnen und Europäer verlangt von uns, dass wir alle gemeinsam in diesem Haus Europa zusammenbleiben. (Beifall bei ÖVP, SPÖ, NEOS und JETZT sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)

10.36

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Vielen herzlichen Dank für Ihre Anmerkungen und Antworten, insbesondere für den Appell, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen.

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, darf ich die ÖVP-Frauen aus Lannach herzlich willkommen heißen. (Allgemeiner Beifall.)

Als Erklärung (in Richtung Besuchergalerie): Wir haben als Gast die Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates hier, die jetzt französisch ge­sprochen hat.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Berlakovich. – Bitte.