10.52

Abgeordneter Mag. Dr. Martin Graf (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Frau Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung! Ich denke nicht, dass wir uns heute hier in einer Feierstunde über 70 Jahre Europarat befinden, sondern ich denke, dass wir eine Debatte anlässlich 70 Jahre Europarat oder Parlamentarische Versammlung des Europarates hier im Hause führen, die etwas abgeglitten ist – bis hin zu Grußbotschaften an die Bezirks­partei und vieles andere mehr. (Heiterkeit der Abgeordneten Belakowitsch und Wurm.)

Herr Präsident, die beiden scheidenden Abgeordneten durften 1, 2 Minuten überzie­hen, weil sie Grußbotschaften an alle möglichen Bezirksorganisationen ausgerichtet haben. Ich hätte etwas in der Sache zu sagen, ich hoffe, Sie sind bei mir auch so nach­lässig und geben mir die eine oder andere Minute mehr.

In diesem Zusammenhang wurde schon viel Gutes und Richtiges gesagt: 70 Jahre Europarat, auch Stätte des Dialogs, das ist wichtig. Mein Eindruck ist aber auch, dass in den letzten 30 Jahren der real existierende Sozialismus, von dem ich geglaubt habe, dass wir ihn in Europa überwunden haben, über die Hintertür wieder in die Gremien der Parlamentarischen Versammlung hineinkommt, zumindest der Geist der Ausgren­zung und des Nichtdialogs.

Eine Diskussion oder eine Debatte über 70 Jahre Europarat kann man nicht führen, ohne auch die eine oder andere Krise, in der sich der Europarat tatsächlich befindet, anzusprechen. Wir erleben eine politische Krise des Europarates insgesamt, Stich­worte wurden schon genannt: Russland-, Türkei-, Ukraineproblem, Minderheiten­proble­matiken, Wahlproblematiken; viele Werte – Core Values – werden in vielen Staaten des Europarates nicht eingehalten, man muss immer wieder darauf hinweisen. Diese politische Krise geht bis dahin, dass Mitglieder nicht entsenden, es Retourkutschen gibt, man weg vom Dialog mehr in die Auseinandersetzung geht und vieles andere mehr.

Das geht auch so weit, dass sich der Europarat nachhaltig in einer strukturellen und organisatorischen Krise befindet. Allein wenn wir uns ansehen, dass die Anwesenheit der Parlamentarier in der Parlamentarischen Versammlung in diesen Wochen in Straß­burg mehr als zu wünschen übrig lässt: Bei nahezu 640 Mitgliedern, davon 50 Prozent Ersatzmitgliedern, also derzeit rund 320 ordentlichen Mitgliedern, die sich auch vertreten lassen können, gehen die Entscheidungen des Europarates über Berichte oder Ähnliches in der Regel bei einem Anwesenheitsquorum zwischen 20 und 25 Pro­zent der Abgeordneten durch. Es ist keine Seltenheit, dass wesentliche Entschei­dungen an einem Freitagvormittag oder -nachmittag bei einer Anwesenheit von 35, 40 Parlamentariern getroffen werden, weil die anderen schon nach Hause gefahren sind.

Es werden auch strukturell und organisatorisch einige Dinge letztlich nicht gut be­wältigt. Es gibt keine Anwesenheitsquoren für wichtige Entscheidungen – dazu komme ich auch noch –, zum Beispiel bei inneren Angelegenheiten, wenn man die Geschäfts­ord­nung ändern möchte oder ändert.

Zudem gibt es eine veritable budgetäre Krise, weil einerseits Russland seine Beitrags­zahlungen seit Jahren aussetzt und andererseits auch die Türkei ihre freiwilligen Beiträge als Großzahler eingestellt hat, dadurch 20 Prozent der budgetären Mittel fehlen und man natürlich versuchen muss, diese irgendwie einzusparen, aufzutreiben oder Sonstiges.

Da ist natürlich schon auch das, was mein Kollege Haider gesagt hat – ob es zumutbar ist, dass man einfach die Beiträge erhöht oder mehr bezahlt –, bei allen grundsätzlich positiven Zielsetzungen zu überlegen. Da meine ich derzeit auch: Nein, dafür sind wir nicht. Wir sollten diese Krisen als Chancen sehen und diesbezüglich entsprechende Dinge ändern, speziell auch im Bereich der Transparenz.

Ich nenne jetzt nur ein Beispiel, denn das ist schon ein Thema, wenn ein Korrup­tionsbericht aus dem Jahre 2018 – nicht einmal ein Jahr alt – über ein einziges Land, Aserbaidschan, diskutiert wurde, während 18 Mitglieder der Parlamentarischen Ver­sammlung, also europäische Mitglieder, in die Kaviardiplomatie involviert gewesen sind, wie in diesem Bericht (besagten Bericht in die Höhe haltend), 200 Seiten stark, geschrieben wird, während Schmiergelder bis 10 Millionen Euro von einzelnen Ver­tretern angenommen wurden, unter anderem von Ihrem (in Richtung Präsidentin Maury Pasquier) Vorgänger von der Europäischen Volkspartei, muss man in diesem Punkt sagen, Agramunt, und dieser Bericht die Öffentlichkeit außerhalb der Parlamen­ta­rischen Versammlung am Ende überhaupt nicht tangiert.

Es waren 18 Mandatare aus zwölf Ländern involviert – bei einem einzigen unter­suchten Land –, davon acht Mitglieder der Europäischen Volkspartei, drei Mitglieder der Sozialisten, ein Mitglied der Europäischen Linken, drei Mitglieder der Alde, der Liberalen, und von den Europäischen Konservativen waren ebenfalls drei Abgeordnete dabei. Ersparen Sie mir, die Namen zu nennen, es sind alle hier in diesem Bericht aufgeführt! Leider gibt es auch einen Vertreter aus Österreich, von der sozialdemo­kratischen Fraktion, der in diesem Bericht aufgezählt wird.

Der Europarat hat die Empfehlung ausgesprochen, dass dieser Bericht in den natio­nalen Parlamenten diskutiert wird, denn Folgen gab es keine – mit der Ausnahme, dass die Leute zum Teil ihre Mandate nicht mehr haben. Drei haben ihre Mandate immer noch und sitzen im Europarat, andere haben ihre nationalen Mandate immer noch. Zudem wurde es in keinem einzigen Mitgliedsland diskutiert oder der Strafver­folgung zugeführt. – Wenn wir so zahnlos bleiben, dann macht das wenig Sinn, Frau Präsidentin.

Auf der anderen Seite haben Sie unter Ihrer Vorsitztätigkeit in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vor wenigen Tagen die Geschäftsordnung mit einem Anwesenheitsquorum von 20, 25 Prozent der Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung geändert, um es zu erschweren, dass zum Beispiel die Freiheitlichen und ihre Gesinnungsgemeinschaft dort eine eigene Fraktion gründen. Dazu hat man die Spielregeln geändert. Das wird alles nichts helfen, wir haben alle formalen Voraussetzungen erfüllt, und trotzdem hat man nach langen Beratungen nicht dem Recht Genüge getan und diese Fraktion zugelassen, sondern hat diese Fraktion schlussendlich nicht zugelassen.

Damit schafft man zwei Arten, zwei Klassen von Abgeordneten: nämlich die, die parla­mentarische Rechte haben, und die, die keine haben. Ich erinnere daran: 85 Abgeord­nete sind fraktionslos – das ist der derzeitige Stand in der Parlamentarischen Ver­sammlung. Sie diskutieren in einem politischen Establishment der Sozialisten mit der Volkspartei, mit den Liberalen, wollen aber den Dialog mit den anderen Mitgliedern am Ende nicht pflegen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir nehmen den Dialog gerne auf. Sie haben eingeladen und Sie sagen, Sie rechnen mit unserer aktiven Teilnahme. Diese wollen wir auch leisten, aber dazu müssen Sie uns die gleichen Rechte zugestehen – keine Ausgrenzung leben – wie allen anderen etablierten Fraktionen. Ansonsten verhindern Sie das Tätigwerdendürfen und leisten damit einen Bärendienst hinsichtlich Transparenz, Pluralismus, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sonstiger anderer Core Values. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

11.02

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter, ich darf Sie nur daran erinnern: Ich bin nicht nachlässig mit der Zeit, sondern tolerant, und habe Ihnen mehr Redezeit eingeräumt. Ich möchte auch gleichzeitig anmerken, dass wir in dieser Form auch inhaltlich jedem die gleiche Möglichkeit gegeben haben und dass es bei Abgeord­neten, die sich nach langer Zeit aus dem Parlament verabschieden, nur recht und billig ist, ein Dankeschön ihrer Parteien und der nominierten Delegierten auszudrücken. Ich glaube, das ist legitim. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Frau Abgeordnete Griss gelangt als Nächste zu Wort. – Bitte.