19.37

Abgeordneter Mag. Ernst Gödl (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesminister! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine geschätzten Damen und Herren! Gestern vor 26 Jahren, am 1. Juli 1993 wurde zum ersten Mal ein öster­reichweites Bundespflegegeldgesetz in Kraft gesetzt, und es war tatsächlich ein Meilenstein in der Sozialpolitik. (Die Abgeordneten Vogl und Muchitsch: Danke!) Die Zielsetzung war und ist auch heute noch, zum einen bei Pflegebedürftigen die Kosten, die durch den Pflegebedarf entstehen, diese Mehraufwendungen zu decken, und zum anderen damit auch ein möglichst selbstständiges Leben und Disponieren über das eigene Lebensumfeld zu gewährleisten. Es steht also beim Aspekt des Pflegegeldes durchaus dieser Grundsatz der Entscheidungsfreiheit für den Pflegebedürftigen ganz stark im Vordergrund.

Als das Pflegegeld 1993 eingeführt wurde, waren es von Beginn an circa 230 000 Be­zieherinnen und Bezieher. Im Mai dieses Jahres waren es 463 000, also ziemlich genau doppelt so viele wie zum Zeitpunkt der Einführung, und wir wissen aus allen Statistiken, dass diese Pflegegeldbezieherinnen und -bezieher im großen Ausmaß auch nach wie vor zu Hause, im häuslichen Umfeld, im Kreise der Familie gepflegt werden. Etwa 950 000 Menschen in Österreich erbringen für ihre Angehörigen Pflege­leistungen im Rahmen der Familie.

Faktum ist auch, dass seit der Einführung des Pflegegeldes natürlich auch in vielen anderen Bereichen in die Pflege investiert wurde. Gemeinden, Sozialhilfeverbände, Länder und auch der Bund haben in vielen Bereichen investiert, um auch Pflegedienst­leistungen vermehrt anzubieten. Es wurden nicht nur stationäre Einrichtungen, sondern zum Beispiel auch alternative Wohnformen oder auch die mobilen Dienste auf die Beine gestellt.

Wir können, glaube ich, mit Fug und Recht behaupten – auch wenn wir immer wieder sehr umfangreich diskutieren –, wir haben in Österreich ganz sicher nach wie vor eines der besten Pflegesysteme der Welt. Was das Pflegegeld betrifft – wir beschließen heute ja die jährliche Valorisierung ab 2020 –, so habe ich zumindest nicht heraus­gefunden, ob es überhaupt irgendwo in der Welt ein Land gäbe, das mehr Pflegegeld direkt an Pflegebedürftige vergibt, als es Österreich tut.

Sehr gut lässt es sich mit der Bundesrepublik Deutschland vergleichen. Die hat auch eine ähnliche Demografie, hat eine ähnliche soziale und familiäre Struktur, hat auch eine stark alternde Bevölkerung. Auch dort hat man ein Pflegegeldsystem eingeführt, allerdings nicht mit sieben Stufen, wie bei uns, sondern nur mit fünf Stufen. Bei uns ist es so: In der ersten Stufe erhält man derzeit 157 Euro, in der siebenten Stufe fast 1 700 Euro pro Monat. In Deutschland ist es anders. Es gibt nur fünf Stufen, wobei man bei der ersten Stufe gar kein Geld bekommt, sondern nur eine halbjährliche Pflegeberatung garantiert ist. Bei der fünften, also bei der höchsten Stufe bekommt man 901 Euro, also etwas mehr als die Hälfte dessen, was es bei uns in Österreich gibt. Was in Deutschland noch anders ist: Dort beziehen nur 2,6 Prozent der Bevöl­kerung Pflegegeld, in Österreich ist es genau das Doppelte, nämlich 5,2 Prozent.

Das allein zeigt, dass Österreich und dieses Pflegegeldsystem in Österreich sich weltweit messen können und unser Pflegegeldsystem auf jeden Fall zu jenen Systemen gehört, die für die Pflegebedürftigkeit auch am meisten finanzielle Mittel in die Hand nehmen und für diese Selbstversorgung, für diese Eigenverantwortung eben auch Pflegegeld gewähren.

Wenn wir diese jährliche Valorisierung heute beschließen, ist das sehr gut und richtig, es soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir trotzdem – und das ist auch Aufgabe der nächsten Regierung – an einem umfassenden Pflegekonzept arbeiten müssen. Die bisherige türkis-blaue Regierung hat sich das ja zum Ziel gesetzt gehabt. Wir haben jetzt über ein Jahr auch intern intensiv an den verschiedenen Themen­bereichen gearbeitet, denn es muss klar sein – und es ist, glaube ich, auch allen in diesem Raum klar –: Die umfassende Pflege ist ein großes Bild mit vielen Mosaik­steinchen. Das eine ist das Pflegegeld, andererseits geht es um die pflegenden Ange­hörigen. Wie können diese – mit Pflegekarenz, mit Krankenversicherung, mit Pensions­versicherung und dergleichen, mit Pflegeteilzeit – unterstützt werden? Es sind also viele Aspekte im Bereich der pflegenden Angehörigen.

Weiters geht es auch darum, wie wir in Zukunft besser die sogenannte Über­gangspflege organisieren, also wenn jemand aus dem Spitalsbereich entlassen wird, bis die Pflege organisiert ist. Welche Zwischenmodelle gibt es? Oder wie organisieren wir noch verstärkt die Kurzzeitpflege, wenn pflegende Angehörige zum Beispiel auf Urlaub gehen, damit die pflegebedürftige Person auch eine Möglichkeit hat, eine zeitweilige stationäre Pflegedienstleistung in Anspruch zu nehmen? Wie tun wir zum Beispiel mit betreuten Wohnformen weiter? Wie geht es mit der 24-Stunden-Betreuung weiter? Wie machen wir dort die Qualitätssicherung? Schlussendlich: Wie sollen auch stationäre Heime ausgestattet sein? Welche Kriterien der Hygiene und dergleichen muss es dort geben? Wie wird auch dort die Qualitätssicherung vorgenommen?

Wir haben also eine Vielzahl an kleinen Steinchen, die zusammen dann das Mosaik einer gesamtheitlichen Pflege ergeben müssen.

Unser Bundesparteiobmann und Spitzenkandidat für die Nationalratswahl Sebastian Kurz hat vor etwa einer Woche anhand dieser vielen Gespräche, die wir bereits in den vergangenen Monaten geführt haben, ein Pflegekonzept vorgestellt, in dem wir uns über viele Punkte und natürlich auch über die Finanzierung Gedanken machen. (Zwischenruf des Abg. Matznetter.) Auch da müssen wir völlig ergebnisoffen in die Diskussion einsteigen. Wer soll das finanzieren? Wir werden sehr viel Geld, wir werden noch sehr viel mehr Geld für die Pflege brauchen. Wie soll dieses Geld aufgebracht werden? Ganz wichtig wird sein: Wie können wir in Zukunft auch die Finanzströme bündeln?

Da ist unser Vorschlag, dass wir die AUVA mit dieser Pflegeaufgabe eben verstärken, damit in Zukunft eine Finanzierungseinheit gewährleistet sein soll und es nicht so ist wie jetzt, dass viele, viele verschiedene Finanziers von den Gemeinden über die Länder, über den Bund, über die Sozialhilfeverbände und dergleichen agieren. Daran müssen wir auf jeden Fall in der nächsten Zeit ganz intensiv arbeiten, um ein umfassendes Konzept auf die Beine zu stellen.

Das wird auf jeden Fall die Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein. Heute beschließen wir, wie gesagt, die jährliche Valorisierung des Pflegegeldes. Wie gesagt, es ist aber nur ein kleines Mosaiksteinchen in einem großen Bild der Pflege. Dieses große Bild der Pflege müssen wir in Zukunft wieder ganz genau neu zusammenstellen. Dabei wird uns die Arbeit auch in der nächsten Gesetzgebungsperiode auf keinen Fall ausgehen. – Glück auf! (Beifall bei der ÖVP.)

19.44

Präsidentin Anneliese Kitzmüller: Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Heinisch-Hosek. – Bitte, Frau Abgeordnete.