9.19

Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Vizekanzler Dr. Dr. h.c. Clemens Jabloner: Herr Präsident! Hohes Haus! Seit einem guten Jahr­zehnt müssen wir ein Ansteigen der Wohnungsmietzinse beobachten, das deutlich über dem Anstieg der sonstigen Lebenshaltungskosten und der einschlägigen Indizes liegt. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Zu den wichtigsten Faktoren gehören jedenfalls das nach der Finanzkrise zum Teil ex­orbitant gestiegene Grundpreisniveau, das auf die Mietzinse durchschlägt, der hinter der Nachfrage zurückbleibende Neubau sowie der starke Zuzug, insbesondere in die Städte. Eine der Ursachen liegt auch im österreichischen Mietrecht. Unser Mietrecht kennt zwar gesetzliche Beschränkungen des höchstzulässigen Mietzinses, es sieht diese Beschränkungen jedoch nur für einen gewissen Teil des Wohnungsmarktes vor. Nur im Vollanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes kommen seine Regelungen über den Mietzins zum Tragen. Für jene Wohnungen, die nur dem Teilanwendungs­bereich oder gar nur dem ABGB-Bestandsrecht unterliegen, gilt keine gesetzliche Zins­beschränkung, und das zentrale Regulativ der Zinsbegrenzung, nämlich das Richtwert­system, gilt nur für vor dem Jahre 1945 errichtete Gebäude und Wohnungen.

In weiten Teilen des Wohnungsmarktes bildet sich der Mietzins also auf Basis des öko­nomischen Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage, und das führt bei einem strukturell knappen Gut wie dem Wohnraum und dem daraus resultierenden Nachfra­geüberhang selbstverständlich zu einem Preisanstieg. Wir sehen dieses Ansteigen der Mietzinse nicht etwa nur in Wien, sondern im ganzen Bundesgebiet, und Innsbruck ist nur das prominenteste Beispiel dafür. Das sehr hohe Mietzinsniveau ist in Österreich also ein nahezu flächendeckendes Phänomen. Dieses Phänomen verwehrt jungen wohnungssuchenden Menschen den Einstieg in ein eigenständiges Leben und ist da­her von äußerst wichtiger gesellschaftlicher Relevanz.

Einer solchen Entwicklung kann die Politik nicht gleichgültig gegenüberstehen, sie muss Konzepte entwickeln. Freilich gehen diese Konzepte diametral auseinander: Während man auf der einen Seite für eine Ausdehnung der heutigen Mietzinsregeln grundsätzlich auf den gesamten Wohnungsmarkt setzt und diese Regeln noch klarer und enger fassen will, wird von der anderen Seite vorgeschlagen, das Mietrecht zu li­beralisieren, die Mietzinsbeschränkungen aufzuheben, um auf diese Weise Anreize zu schaffen und leere Wohnungen auf den Markt zu bringen.

Die eine Seite setzt also auf einen stärkeren und weiter gehenden Eingriff in die Privat­autonomie, die andere Seite spricht sich für eine Zurückdrängung gesetzgeberischer Interventionen aus und vertraut auf den Markt. Zugrunde liegen unterschiedliche welt­anschauliche und politische Positionierungen und unterschiedliche Interessen.

Meiner Überzeugung nach wäre es zu wenig, auf die Wirksamkeit von Marktmecha­nismen zu setzen und die heute Wohnungssuchenden darauf zu verweisen, dass es der freie Markt schon für sie richten werde. Wohin eine prinzipiell unbeschränkte, allein den Marktkräften überlassene Mietzinsbildung in urbanen Ballungsräumen führt, zeigt uns ein Blick ins Ausland. In den großen europäischen Metropolen können sich junge Menschen ein Leben im urbanen Bereich schlechthin nicht mehr leisten – das gilt für Städte wie München und Hamburg, von Paris oder London ganz zu schweigen. Das sind doch Entwicklungen, die wir für Österreich nach bestem Bemühen vermeiden soll­ten.

Freilich kann leistbares Wohnen nicht allein durch mietrechtliche Maßnahmen sicher­gestellt werden, dazu braucht es auch die engagierte Schaffung von zusätzlichem Wohnraum, die Bereitstellung von Wohnraum durch öffentliche Vermieter und die miet­zinsdämpfende Wirkung der gemeinnützigen Bauvereinigungen. Dazu kommt da mei­ner Überzeugung nach auch den zivilrechtlichen Mietzinsbegrenzungen eine große Be­deutung zu. Allerdings müsste auch hinsichtlich solcher Begrenzungsregelungen die derzeit vorherrschende Zersplitterung des Mietrechts überwunden werden.

Es scheint mir also ein Gebot der Stunde zu sein, in Richtung eines möglichst ein­heitlichen Mietrechts zu gehen. Dieses einheitliche Mietrecht muss freilich auch deutli­che Akzente für die Abmilderung des Mietzinsniveaus enthalten, die ihre Wirkung auch für solche Segmente des Wohnungsmarktes entfalten, die heute nicht ausreichend ge­regelt sind – dies mit gewissen Ausnahmen für frei finanzierte Bau- und Sanierungs­projekte.

Lassen Sie mich einen weiteren Gedanken hinzufügen, es geht um die Konstanz der Wohnversorgung: In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten hat sich aufgrund entspre­chender Änderungen im Mietrechtsgesetz die Entwicklung ergeben, dass immer mehr Mietverhältnisse bloß auf bestimmte Zeit abgeschlossen werden. Das führt in weiterer Folge dazu, dass Mieter entweder zu häufigem Wohnungswechsel gezwungen werden oder in ihrem Wunsch auf Verbleib in der bisherigen Wohnung vom guten Willen des Vermieters abhängen. Das schwächt die Rechtsposition von Mietern und widerspricht ihrem Bedürfnis nach einer eigenständigen Entscheidung darüber, wie lange sie in ei­ner Wohnung bleiben wollen und wann sie diese wechseln wollen.

Ich glaube daher, dass man bei künftigen Reformbemühungen im Bereich des Miet­rechts auch die Befristungsmöglichkeiten überdenken und gesetzliche Maßnahmen da­für setzen sollte, dass unbefristete Mietverhältnisse wieder der Regelfall werden. In diesem Zusammenhang sollte man sich auch davor hüten, die derzeit bestehenden Eintrittsrechte zu beschränken, zu erschweren oder mit allzu starken Zinserhöhungen zu belegen. Mir ist schon klar, dass diese Eintrittsregelungen auch zu Verzerrungen und Privilegien führen, aber es ist niemandem gedient, wenn es allen gleich schlecht geht.

Die Gestaltung des Mietrechts ist freilich eine fundamental politische Frage. Bei einer künftigen Mietrechtsreform dürfen aber die essenziellen Bedürfnisse und berechtigten Anliegen von Wohnungssuchenden und Mietern nicht aus dem Blick verloren gehen. – Ich danke. (Beifall bei der SPÖ.)

9.25

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf darauf aufmerksam machen, dass die weiteren Redner in der Aktuellen Stunde nur mehr 5 Minuten Redezeit haben.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Singer. – Bitte.