09.28

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Herr Präsident! Herr Außenminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ein gutes Zeichen, dass sich die erste Aktuelle Stunde in dieser Legislaturperiode mit der Zukunft Europas beschäftigt, denn die Europäische Union ist unsere gemeinsame Zukunft. Ich bin unserem Außen­minister für die klare Positionierung, die er für die österreichische Bundesregierung vorgenommen hat, sehr dankbar, denn wir sind tatsächlich auf einem Scheideweg.

In der neuen Ausgabe des „Economist“ gibt es ein großes Interview mit dem fran­zö­sischen Präsidenten Macron, in dem er die Europäische Union, wie er es formuliert, am Abgrund sieht. Er führt aus, Europa, die Europäische Union müsse endlich auf­wachen, weil eine erhebliche Gefahr bestünde, dass Europa auf lange Sicht geopolitisch ver­schwinden werde oder zumindest unser Schicksal nicht mehr unter unserer Kontrolle sei. Und er fügt dann hinzu, dass er davon fest überzeugt ist.

Er nennt hierfür mehrere Gründe. Als ersten Grund: Wir finden uns zum ersten Mal mit einem amerikanischen Präsidenten wieder, der unsere Vorstellung vom europäischen Projekt nicht teilt. Neben der Abkehr Amerikas hätten der Aufstieg Chinas, die auto­ritären Führer, wie er es nennt, vor unserer Haustür diese außergewöhnliche Fragilität der EU verursacht. Europa verliere seine europäische Souveränität. Die kollektive Fähigkeit, die Interessen Europas, unsere Sicherheit, die Privatsphäre, künstliche Intelligenz, Umwelt und Handel selbst bestimmen zu können, gehe unwiederbringlich verloren.

Eine gegenteilige Meinung hat letzte Woche die neu gewählte Präsidentin der Euro­päischen Kommission Ursula von der Leyen in Berlin geäußert, nämlich anlässlich 30 Jahre Fall der Berliner Mauer. Sie sagte, für Verzagtheit gebe es keinen Grund, solange wir Europäer zusammenstehen und unsere unbestrittenen Fähigkeiten selbst­bewusst nutzen. Europa sei heute attraktiver, als wir selbst oft glauben. Wir mögen zwar älter werden in Europa, das gelte aber genauso auch für Russland und China, und wir mögen auch weniger werden, aber das, was wir haben, sei einzigartig und von unschätzbarem Wert: Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Demokratie, Offenheit für neue Lebensentwürfe – das fänden junge Menschen in China und Russland ganz sicher nicht.

Sie sagt weiters: „Europas offene Gesellschaften verbinden Unternehmergeist und Frei­heitsdrang. Sie bieten Stabilität und soziale Marktwirtschaft. Bei uns finden For­scher nicht nur Fördergelder für ihre Projekte, sondern auch gute Schulen für ihre Kin­der“, ohne dass sie Schulgeld zahlen müssen. Und – ein ganz wichtiger Punkt –: Es gibt saubere Luft, es gibt reine Gewässer, es gibt hohe Umweltstandards.

Das sind zwei Erzählungen, die gegenteiliger nicht sein könnten. Wo steht Europa nun tatsächlich? – Ja, Europa steht vor großen Herausforderungen, und wenn wir diese annehmen, haben wir es noch in unserer Hand, dass wir sie auch bewältigen können.

Von der Leyen hat sechs Punkte für die nächsten fünf Jahre für die neue Kommission festgeschrieben: erstens: ein europäischer Grüner Deal; zweitens: eine Wirtschaft, deren Rechnung für die Menschen in Europa aufgeht; drittens: ein Europa, das für das digitale Zeitalter gerüstet ist; viertens: schützen, was Europa ausmacht, unsere euro­päischen Werte; fünftens: ein stärkeres Europa in der Welt; sechstens: neuer Schwung für die Demokratie in Europa – ja, auch das ist notwendig.

Österreich hat schon im letzten Regierungsprogramm erklärt: Wir sind ein verlässlicher und aktiver Partner in der Europäischen Union. Wir seitens der Volkspartei werden alles tun, dass auch im nächsten Regierungsprogramm genau diese Grundhaltung wie­der festgeschrieben wird: ein verlässlicher und aktiver Partner in der Europäischen Union.

Kollege Blümel hat es ausgeführt: Europa hat Fehler gemacht. Dass wir die Briten verloren haben, tut mir und, wie ich glaube, uns allen weh, und daher müssen wir uns wieder besinnen, was die Grundtugenden der Europäischen Union sind. Diese Grund­tugenden können nur Kompromissbereitschaft und Solidarität sein.

Die erste diesbezügliche Nagelprobe haben wir da schon beim Mehrjährigen Finanz­rahmen. Ich war diese Woche in Brüssel, wo ich mit Parlamentariern aller 27 Mitglied­staaten und Europaabgeordneten dieses Thema ausführlich besprochen habe. Es ist schon gesagt worden, wir sind für eine faire Lastentragung, wir sind auch für eine Ver­knüpfung mit Spielregeln, was die Rechtsstaatlichkeit betrifft genauso wie die Ein­haltung einer sparsamen Haushaltspolitik. Wir sehen die rechtsstaatlichen Probleme hier genauso – in Polen, Ungarn und Rumänien – wie auch die finanziellen Probleme – ich denke dabei an Italien.

Stark ist die Europäische Union dann, wenn die Mitgliedstaaten stark sind. Daher müs­sen wir gemeinsam alles tun, dass Österreich stark und an der Spitze der EU bleibt. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

9.34

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Abgeordneter Leichtfried ist zu Wort gemel­det. – Bitte.