10.18

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Ja, ich glaube, wir alle sind uns einig, dass wir in bewegten Zeiten leben und dass die Frage, die wir beantworten müssen, lautet: Welche Rolle haben wir dabei in Österreich?

Gernot Blümel hat Francis Fukuyama angesprochen, und auch ich meine, dass man, wie auch Fukuyama, nicht nur einen Problemaufriss machen sollte, sondern Hand­lungs­anleitungen vorschlagen und Thesen weiterentwickeln sollte. „Das Ende der Ge­schichte“ ist so, wie Fukuyama sich das vorgestellt hat, nicht eingetreten. Er widerlegt ja seine These auch selbst in seinem Buch „Identität“ und gibt dort eine ganz klare Handlungsanleitung.

Wir haben von den Problemen gehört, die vermeintlich zum Brexit geführt haben, nämlich von der Angst vor Kontrollverlust, vor Migration, vor Wohlstandsverlust. Mit dieser Angst kann man natürlich spielen, wie das Populistinnen und Populisten sehr oft tun. Man kann aber auch Lösungen präsentieren, und Fukuyama hat eine ganz klare Lösung in seinem Buch „Identität“ präsentiert, nämlich mehr Europa, mehr Zusam­menarbeit, bessere Zusammenarbeit. Dabei geht es sicherlich nicht um das weitere Spielen mit Ängsten, um den Populistinnen und Populisten den Boden aufzubereiten. (Beifall bei den NEOS.)

Wir merken ja jetzt gerade – und das ist wieder spannend bei der Diskussion um den Mehrjährigen Finanzrahmen –, dass wir in diesem Zusammenhang ein sehr unter­schiedliches Bild haben. Herr Bundesminister, Sie haben angesprochen, dass wir nicht mehr Mittel brauchen, weil Großbritannien aus der Europäischen Union austritt. –Wenn man also davon ausgeht, dass die Angst vor Kontrollverlust, die Angst vor Wohl­standsverlust, die Angst vor Migration dazu geführt hat, dass Großbritannien austreten wird, dann ist doch, wenn man diese großen Herausforderungen hat, die logische Antwort darauf, dass man in Zukunft mehr Mittel verwendet, um diesen Herausfor­derungen zu begegnen, und nicht, dass man sagt: Ich stecke den Kopf in den Sand und schaue, dass vielleicht auch noch die nächsten Staaten austreten. – Das ist doch ganz klar! (Beifall bei den NEOS.)

Bei den Thesen, den großen Herausforderungen, die es gibt, sind wir uns ja alle einig: das sind die Fragen, wie wir als Europa handlungsfähig sein können, wie wir ent­scheidungsfähig sein können, wie wir die Wettbewerbsfähigkeit stärken, wie wir dem Klimawandel etwas entgegensetzen, wie wir die Migrationsfrage lösen beziehungs­weise klären und den Außengrenzschutz garantieren können. Es kann doch niemand ernsthaft glauben, dass Lösungen dazu ohne mehr Mittel umgesetzt werden können. Es kann auch niemand glauben, dass diese Antworten nationalstaatlich funktionieren können. Wie kann man denn den Gedanken haben, dass Österreich den Außengrenz­schutz in irgendeiner Art und Weise alleine wird garantieren können oder die Migra­tionsfrage wird lösen können?! Die Antwort kann nur in einem Mehr an Europa liegen, und das braucht auch mehr Mittel, um diese Probleme entsprechend zu lösen. (Beifall bei den NEOS.)

Es ist schon angesprochen worden: Gerade wenn wir die Welt anschauen, wenn wir die globalen Fragen sehen, dann sehen wir, dass sich ganz viele Länder vom Multila­teralismus verabschieden, und umso mehr müssen wir als Europa stärker auftreten und schauen, dass wir entsprechend vorangehen.

In diesem Zusammenhang ist auch eines spannend, und ich kann da nur die Rede von Timothy Snyder am Judenplatz anlässlich der Wiener Festwochen empfehlen, der klar sagte, dass genau diejenigen, die ein Interesse an einer Schwächung der Europä­ischen Union haben, jene Staaten sind, die dem Nationalismus das Wort reden. Das sind die USA, das ist China, das ist Russland, und genau auf diese sollten wir nicht hereinfallen, sondern viel eher stärker zusammenarbeiten und versuchen, die Fragen entsprechend zu beantworten.

Mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen ist jetzt natürlich die erste Nagelprobe da. Wenn wir einen gemeinsamen Außengrenzschutz haben wollen, wenn wir dem Klimawandel etwas entgegensetzen wollen, dann werden wir das finanzieren müssen. Alles andere ist illusorisch, wie zu glauben, dass wir mit den gleichen Mitteln die immer größer werdenden Herausforderungen bewältigen können.

Die umgekehrte Lösung, die ja manchmal vorgeschlagen wird, insbesondere von der ÖVP, ist das Prinzip der Subsidiarität. Das Spannende an der Frage ist Folgendes: Mir hat noch kein einziger ÖVP-Politiker erklären können, welche Kompetenz denn wieder zurück an die Mitgliedstaaten kommen soll. Der Grund dafür ist ja auch ganz klar: weil man bei den großen Fragen Kompetenzen nicht wieder Richtung Mitgliedstaaten zurückgeben kann, sondern weil man sie gemeinsam lösen muss. Das heißt, wir müssen mehr Gemeinsames in Europa haben.

Mein letzter Punkt ist einer der wenigen Punkte, bei denen ich mit Kollegen Lopatka übereinstimme. Eine große Chance in der Frage des Mehrjährigen Finanzrahmes ist, wie wir das Thema Rechtsstaatlichkeit dort besser abbilden. Ich bin wirklich überzeugt davon, dass irgendwann einmal klar sein muss, dass wir, wenn sich Mitgliedstaaten nicht an die Grundwerte der Europäischen Union halten, auch mit finanziellen Sank­tionen werden arbeiten müssen, weil sie alles andere offenbar nicht spüren. Und wenn sie es nicht spüren und nicht darauf hören, dann gibt es nur diese Chance, und es ist eine große Chance, die wir jetzt haben, und da sollten wir auch als Österreich gemein­sam in der Europäischen Union auftreten.

Zusammenfassend muss ich Folgendes sagen: Wenn wir als Österreich bei der meiner Meinung nach eher kleingeistigen Haltung bleiben, dass wir sagen: Nur ja nicht mehr Mittel für die Europäische Union!, dann kann ich Ihnen garantieren, dass wir die großen Herausforderungen weiterhin nicht werden bewältigen können, dass wir die Probleme nur größer machen werden und nicht versuchen, die Ängste der Menschen in irgend­einer Art und Weise zu bekämpfen und ihnen auch mit echten Lösungen etwas ent­gegenzusetzen. (Beifall bei den NEOS.)

10.23

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Damit ist die Debatte geschlossen.