11.29

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Wir haben die heutige Aktuelle Europastunde bewusst mit dem Titel „Die großen Herausforderungen der neuen Europäischen Kommission“ versehen. (Der Redner legt die Tafel mit der Aufschrift „Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555 www.gewalt­schutzzentrum.at × Polizei 133“ umgedreht vor sich auf das Rednerpult.)

Warum haben wir sie mit dieser Überschrift versehen? – Weil innerhalb der Europäi­schen Union die einzelnen Mitgliedstaaten vor großen Herausforderungen stehen und es die Europäische Union als Gemeinschaft zunehmend mit Nachbarn zu tun hat, die komplizierter und herausfordernder werden.

Was meine ich damit? – Mit Abstand der wichtigste und wirtschaftlich stärkste Mitglied­staat der Europäischen Union, Deutschland, hat eine Bundesregierung, die durch den Niedergang der SPD zunehmend mit sich selbst beschäftigt ist.

Frankreich ist die zweitgrößte Volkswirtschaft in der Europäischen Union; Präsident Emmanuel Macron will eine notwendige Pensionsreform umsetzen und ist damit kon­frontiert, dass nach den Gelbwesten jetzt auch Hunderttausende andere Demonstran­ten auf die Straße gehen. Er will, wie er gesagt hat, eine gerechte Pensionsreform um­setzen. Privilegierte Gruppen, die vorzeitig in Pension gehen können, wie die Eisen­bahner, sehen das nicht ein. Diese Pensionsreform wird erst heute präsentiert, aber schon am Wochenende war Frankreich zum Stillstand gekommen.

In Italien haben wir die neue Regierung gerade erst einmal 100 Tage – eine Regierung, die von zwei Parteien, die bisher eigentlich Erzfeinde waren, gebildet wird. (Abg. Kickl: Das steht euch auch noch bevor!) Das Einzige, das diese Regierung zusammenhält, ist die Angst vor der Lega und vor Matteo Salvini. Die Regierung streitet jetzt schon, weil sie erstmals gemeinsam etwas umsetzen muss, nämlich das Budget – wahrlich keine leichte Aufgabe. (Abg. Meinl-Reisinger: Ja, aber kehren wir vor der eigenen Tür!) – Nein, das müssen wir schon sehen! (Abg. Meinl-Reisinger: Ja, natürlich, aber die schwierige ... zu besprechen!)

Von der Leyen hat es nicht einfach – und der Rat kommt in dieser Woche noch zusam­men –, wenn die nationalstaatlichen Regierungschefs solche Steine im Rucksack ha­ben. Das hat die österreichische Regierungschefin nicht; Österreich ist in einem ande­ren Zustand! Das sage ich Ihnen schon, Frau Abgeordnete. (Beifall bei der ÖVP – Neu­erlicher Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.) Das ist der große Unterschied: Wenn unser Regierungschef in Brüssel ist, dann waren wir in der Vergangenheit nicht davon geplagt und werden es auch in Zukunft nicht sein, dass eine in Wirklichkeit so zer­strittene oder so geschwächte Regierung in Brüssel am Tisch sitzt. (Abg. Meinl-Re­isinger: Jetzt ist es ...! Jetzt wird es wirklich spannend!)

Oder schauen Sie sich Spanien an, wo man vier Mal innerhalb von vier Jahren gewählt hat! Dann gibt es noch ganz andere Fragen, die man sehr ernst nehmen sollte: Die Journalistenmorde in Malta oder bei unserem Nachbarn, der Slowakei. Darüber kann man nicht einfach hinwegturnen, da verstehe ich die Menschen. (Abg. Meinl-Reisin­ger: Wer tut denn das?) – Nein, wir sollten das nicht tun, sondern wir sollten einfach die Probleme sehen (Abg. Kogler: Genau!), die wir innerhalb von Europa haben, wenn es um Rechtsstaatlichkeit geht, wenn es um Korruption geht, und wir müssen bei uns im Land alles tun, dass wir uns da positiv abheben. Das ist es, was ich Ihnen sagen möchte, nicht mehr und nicht weniger. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Meinl-Reisinger – Beifall spendend –: Da kann man nur klatschen! – Abg. Kogler: ... in Europa?)

Warum sehe ich das so? – Weil auch außerhalb von Europa die Herausforderungen größer werden. Die Türkei hat sich in den letzten zehn Jahren weiter von der EU ent­fernt – und auch Russland. Vielleicht war vor wenigen Tagen in Paris eine Gegenbe­wegung zu sehen; ganz sicher bin ich mir nicht. Ich habe unmittelbar vor meiner Rede die Möglichkeit gehabt, mit dem ukrainischen Botschafter zu reden, der hier im Haus war. Der sieht einen Hoffnungsschimmer. Mehr als 12 000 Menschen haben in unserer unmittelbaren Nähe in diesen kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine das Leben verloren.

Ein Nachbar, der für uns zunehmend wichtig wird, ist Afrika, und da vor allem Nord­afrika. Auch dort ist von Demokratie eigentlich wenig zu sehen. Rund um uns herum sind autoritär geführte Staaten, und die, die geografisch weiter weg liegen, kommen, wenn ich an China denke, näher, sind nicht nur wirtschaftlich mitten in Europa, sondern versuchen, auch politisch auf die Weiterentwicklung der Europäischen Union Einfluss zu nehmen. Auf der anderen Seite haben sich die USA, unser wichtigster Partner welt­weit, mit dem jetzigen Präsidenten relativ weit von Europa entfernt.

Das ist der Rahmen, den die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ihre Arbeit vorfindet. Ich war gestern und vorgestern in Brüssel. Von der Leyen hat ihre Schwerpunkte in einer interparlamentarischen Gruppe vorgestellt, und ich bin optimis­tisch, was diese Kommission betrifft, weil sie mit ihren Arbeitsschwerpunkten sehr, sehr nahe bei dem ist, wovon wir immer reden, nämlich diese Europäische Union näher zu den Bürgern zu bringen.

Was sind ihre Arbeitsschwerpunkte? – Der erste Schwerpunkt, und das spüren die Menschen ganz deutlich, ist, im Klimaschutz etwas zu erreichen. Ich habe heute bei unserer EU-Hauptausschusssitzung mit Kollegin Köstinger, die lange im Europaparla­ment war, gesprochen, und sie hat mir gesagt, in den neun Jahren, in denen sie in Brüssel war, hat sie ein Mal eine Sondersitzung miterlebt. Heute Nachmittag gibt es wieder eine solche Sondersitzung des Europäischen Parlaments, weil von der Leyen das Klimathema so wichtig ist und sie es an die Spitze ihrer Agenda gesetzt hat. In „Meine Agenda für Europa“ nennt sie das: „Ein europäischer Grüner Deal“.

Der zweite Schwerpunkt – hoffentlich nicht zu spät; manche sagen, das ist nur mehr ein Match zwischen China und den USA – ist die Digitalisierung. Es ist ganz wichtig, dass wir da nicht ins Hintertreffen kommen. (Abg. Kogler: Schreiben wir die Von-der-Leyen-Rede ins Regierungsprogramm hinein!) – Die Rede ist zu wenig, Kollege Kogler! Ich glaube, das Entscheidende ist, wie die nächste Bundesregierung als starke Regie­rung von der Leyen da unterstützen kann. Von der Leyen braucht starke Regierungen und insbesondere starke proeuropäische Regierungen. (Abg. Meinl-Reisinger: Ja!) Und auch ohne Mithilfe der Grünen, Kollege Kogler, haben wir im letzten Regierungs­programm festgeschrieben, dass wir ein verlässlicher und aktiver Partner der Europäi­schen Union sind. So haben wir die letzte Bundesregierung gesehen und so sehen wir auch die nächste. (Beifall bei der ÖVP.)

Wenn Sie das auch so sehen, ist es umso einfacher, da zu konkreten Ergebnissen zu kommen. (Abg. Kogler: Sie haben nicht hineingeschrieben, dass Ibiza eine Vulkanin­sel ist! – Zwischenruf der Abg. Meinl-Reisinger.) – Eine andere Vulkaninsel, weit weg von uns, hat jetzt die Öffentlichkeit mehr beschäftigt, und auch auf Ibiza ist ein Vulkan ausgebrochen, aber ein politischer.

Ich sage Ihnen, es ist nicht unser Problem, proeuropäisch an die Sache heranzuge­hen – proeuropäisch heißt für uns aber, dass die richtigen Schwerpunkte gesetzt wer­den. Das Neue – etwas, was ich von Jean-Claude Juncker nicht gehört habe – ist, dass Ursula von der Leyen davon spricht, dass sie die Europäische Union – und sie nimmt das Wort in den Mund! – zu einer Weltmacht machen möchte. Sie möchte sie dadurch zu einer Weltmacht machen, indem wir mehr Glaubwürdigkeit erhalten, wenn es um Klimafragen geht, wenn es um Fragen der Rechtsstaatlichkeit geht.

Sie möchte in einer Zukunftskonferenz grundsätzlich darüber diskutieren, wie es in Eu­ropa weitergehen soll. Ich habe sie gestern direkt gefragt, ob sie auch die national­staatlichen Parlamente miteinbinden möchte. – Mich hat es gefreut, dass sie ganz klar gesagt hat, sie will nicht nur die nationalstaatlichen Parlamente miteinbinden, sondern sie muss das tun, denn sonst hat das Projekt keine Chance, erfolgreich zu sein. Wol­len wir nämlich die Europäische Union bei den großen Herausforderungen, die ich an­gesprochen habe, näher zu den Bürgern bringen, müssen auch wir hier im Haus uns stärker mit europäischen Fragen beschäftigen, weil sie uns natürlich auch unmittelbar betreffen, und der Green Deal, den sie an der Spitze ihrer Tagesordnung hat, ist ein ganz wichtiger Punkt.

Ich hoffe sehr, dass von der Leyen die Europäische Union offen halten kann. Was mei­ne ich mit offen halten? – Dass Frankreich doch zustimmt, dass die Westbalkanstaa­ten, dass Südosteuropa eine realistische Beitrittsperspektive bekommen. Die Enttäu­schung bei diesen Staaten ist riesengroß. Seit 2003 haben wir – damals hat es noch Mazedonien geheißen, jetzt heißt es Nordmazedonien – Nordmazedonien immer wie­der vertröstet. Jetzt ist endlich dieser Namensstreit beigelegt worden und wir schlagen vorerst die Tür zu. Dabei geht es nicht um den Beitritt, es geht einmal darum, Beitritts­verhandlungen aufzunehmen.

Für uns, für Österreich und auch für die neue Bundesregierung, ist es ganz wichtig, al­les zu tun, dass diese Europäische Union für neue Mitglieder offen bleibt, und alles zu tun, dass die Europäische Union wieder an Glaubwürdigkeit gewinnt. Mit diesem Pro­gramm von von der Leyen kann das gelingen. (Beifall bei der ÖVP.)

11.40

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf die ÖVP-Frauen aus der Steiermark, an der Spitze die Landtagspräsidentin, recht herzlich hier im Hohen Haus begrüßen. (All­gemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet hat sich der Herr Außenminister. Das Wort steht bei ihm. – Bitte.