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Bundesminister für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss noch ein bissel an mir arbeiten, nicht direkt zu reagieren, sondern sehr sachlich beim Thema zu bleiben.

Ich habe ein bissel den Eindruck, wir sind in diesen Debatten über Mindestsicherung hin und her gerissen. Es geht um Mindestsicherung, es geht um die Ärmsten der Ar­men, die es in diesem System am schwersten haben. Ich habe den Eindruck, dass es eigentlich eine Gnade ist, dass wir in einem der reichsten Staaten der Welt geboren wurden. Viele Menschen haben eine Leistung dafür erbracht, dass der Wohlstand in diesem Land so groß ist. Das gibt uns aber auch eine Verantwortung, für jene zu sor­gen und ein Netz herzustellen, die es nicht so leicht haben und die in einer schwierigen Lebenssituation stehen. (Beifall bei den Grünen, bei Abgeordneten der ÖVP sowie des Abg. Keck.)

Als eines der reichsten Länder der Welt ist es, glaube ich, ein Handlungsauftrag für uns, wenn wir sehen, dass es 55 000 akut armutsgefährdete Kinder in diesem Land gibt, tätig zu werden und dem entgegenzuwirken. Wenn wir wissen, dass es viele, viele Frauen gibt, die im Alter durch ein System, das Ungerechtigkeiten provoziert und durchsetzt, in eine akute Armutsfalle hineingeschoben werden, dann müssen wir han­deln. Das ist unser Auftrag und so empfinde ich meinen Auftrag als Sozialminister. Manche mögen da skeptisch sein, ich und viele andere sind durchaus optimistisch. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ich glaube auch nicht, dass wir das Thema dadurch lösen, dass wir auf das Land Tirol, das ich sehr, sehr schätze, auf die Tiroler Landesregierung, die ich sehr schätze, oder auf die Stadt Wien, deren Sozialpolitik ich sehr, sehr schätze, hinhacken. Damit lösen wir keine Probleme. In Wirklichkeit werden wir diese Probleme, die jetzt genannt wur­den, nur durch gemeinsame Kraftanstrengung lösen, und genau in diesem Sinn habe ich für die nächsten Tage bereits die SozialreferentInnen aller Bundesländer zu mir ein­geladen, damit wir Lösungswege suchen und finden und damit wir die Chance, die der Verfassungsgerichtshof uns gerade beim Thema Bekämpfung der Kinderarmut durch das Entschärfen eines Giftzahns in diesem Gesetz eröffnet hat, bestmöglich gemein­sam nützen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Schüren von Neid, Schüren von Angst kann uns vielleicht politische Ablenkung ermög­lichen, es bringt uns aber der Lösung nicht näher. Ich bin überzeugt davon, dass es um eine Grundsatzfrage geht. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder diese These vernommen: Wenn es dem anderen schlechter geht, geht es dir besser! – Das stimmt nicht. Diese Rechnung stimmt nicht. Uns geht es besser, wenn wir eine solidarische Gemeinschaft sind. Uns geht es besser, wenn es dem anderen auch besser geht. Dann geht es uns gut.

Deswegen habe ich versucht, das Ziel dieses neuen Sozialministeriums auch mit ei­nem Überbegriff zu umschreiben, nämlich dass wir uns hin zu einem Sozialministerium für Zusammenhalt entwickeln wollen, und dazu braucht es auch eine Grundsicherung, eine Mindestsicherung, wie sie eigentlich in einem der reichsten Länder der Welt selbstverständlich sein sollte. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

Ich freue mich deswegen sehr über diesen eingebrachten Antrag zur Halbierung des Anteils armutsgefährdeter Menschen. Das wird ein schwieriges Unterfangen, deswe­gen braucht es ein Miteinander aller, die an diesem Weg mitarbeiten wollen, genau in diesem politischen Stil, mit dem wir vorgehen wollen, ein Mitarbeiten daran, auch etwa durch engagierte Institutionen wie die Armutskonferenz, mit der ich bereits die ersten Gespräche gehabt habe, und NGOs, die im Sozialbereich eine tolle Arbeit realisieren. Wir werden da Lösungen finden.

Zuallererst werden wir jetzt daran arbeiten, dass die Länder die zukünftige Sozialhilfe Neu nach diesem VfGH-Urteil in ihrem Bereich bestmöglich umsetzen, und dazu er­öffnet uns der Urteilsspruch konkrete zusätzliche Handlungsmöglichkeiten. Wer sich die Mühe machen will, ist eingeladen, die Seiten 80 bis 88 in der Urteilsbegründung zu studieren. Da wird nämlich zusätzlich zu den drei aufgehobenen Bereichen dezidiert ausgeführt, dass die Länder aufgerufen sind, mit noch mehr Kreativität und Fantasie das bestehende Gesetz zu nützen, diese Vorgabe zu nützen, weil in Richtung Armuts­gefährdung deutlich mehr Handlungsspielräume vorhanden sind, als man auf den ers­ten Blick glauben würde. Genau daran werden wir in nächster Zeit arbeiten. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Wir hatten letzte Woche unsere erste Sozialausschusssitzung. Ich habe das sehr ge­nossen, es war sehr positiv, finde ich, nach den ersten – wie soll ich sagen – parteipoli­tischen Proklamationen, die irgendwie in der Natur der Sache sind. Kollege Loacker lächelt, wir wissen offensichtlich, was wir meinen. Das ist absolut okay gewesen, es war ein spannender Disput, der von einer gegenseitigen Wertschätzung geprägt war. Genau so sollten wir gemeinsam arbeiten, und ich strecke meine Hand allen entge­gen – wirklich allen, das ist ernst gemeint –, damit wir gemeinsam Ideen finden und ge­meinsame Stoßrichtungen argumentieren, die nicht auf Auseinanderdividieren aufbau­en, sondern auf einer gemeinsamen Arbeit gegen Armutsgefährdung in Österreich. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordneten der NEOS.)

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