9.09

Abgeordneter Hermann Weratschnig, MBA MSc (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Abgeordnete! Ein Green Deal für den Güterverkehr, die Transitfrage damit lösen, die Bevölkerung entlasten: Wir haben die­ses Thema für heute vorgeschlagen, weil wir überzeugt sind, dass es diesbezüglich ei­nen österreichischen Schulterschluss, einen Schulterschluss hier im Parlament braucht. Es braucht eine europäische Verkehrswende, es braucht eine Wende im Güterverkehr.

30 Jahre Transitwiderstand nahmen ihren Ausgang in Tirol (Abg. Wurm: Was haben die Grünen erreicht, Herr Kollege? Was haben die Grünen in Tirol erreicht?), das wird in dieser schönen Publikation (eine Ausgabe des Buchs „Transit-Saga. Bürgerwider­stand am ‚Auspuff Europas‘“ in die Höhe haltend) der Professoren Sickinger und Hussl dargelegt. (Abg. Wurm: 1 Million Lkw mehr!) Breite Bevölkerungsschichten haben die Politik damals vor sich hergetrieben, Bürgerinnen und Bürger haben, Herr Abgeordne­ter Wurm, um ihre Versammlungsfreiheit (Abg. Wurm: Da war ich dabei!), für ihren Le­bensraum, für ihre Zukunft gekämpft; das taten sie vor dem EU-Beitritt, mit ganz neuer Dynamik und berechtigter Skepsis gegenüber der EU in dem Wissen, dass der freie, ungezügelte Warenverkehr eine Bedrohung für Regionalwirtschaft und Lebensqualität sein kann. Der Transitwiderstand und der BürgerInnenprotest – erst später unterstützt von der Politik – zeigten die Perversion eines Binnenmarktes ohne ökosoziale Schran­ken beziehungsweise mit zu wenigen Spielregeln, an die sich alle im Interesse des Allgemeinwohls halten, auf. Die jüngsten Reportagen zu Tiertransporten zeigen uns diese Perversion der Märkte: Rücksichtslosigkeit und Respektlosigkeit. (Beifall bei den Grünen.)

Diese grauenhaften Bedingungen sind europäisch, national und regional abzustellen, werte Abgeordnete. Wir sollten uns vor den nächsten Generationen schämen (Abg. Bösch – in Richtung ÖVP –: ... Regierungsprogramm! Ihr solltet aufpassen!), wenn am Opferaltar des Binnenmarktes Tiere zu Tode gequält und gepeinigt werden, bis sie auf unseren Tellern landen. So ist dieser Markt realisiert und organisiert (Zwischenruf des Abg. Hörl), und da müssen wir auch als österreichisches Parlament dagegenhalten. Ich danke an dieser Stelle Herrn Bundesminister Rudi Anschober, der sich dieses The­mas sofort angenommen hat und zu einem runden Tisch ruft (Abg. Wurm: ... in Tirol, oder?!), um weitere mögliche Sofortmaßnahmen abzuklären und diese auch abzustim­men. (Beifall bei den Grünen.) An dieser Stelle appelliere ich an die Regierung, alle uns möglichen Maßnahmen für eine tiergerechte Haltung zu ergreifen. (Abg. Wurm: Ihr seid in der Regierung, Kollege! Ihr seid in der Regierung!)

Ja, in Österreich sind wir in vielen Bereichen vorbildlich, aber ich erkenne noch viele Handlungsspielräume, wie wir uns verbessern und uns auf Europaebene starkmachen können. Ja, wir sind in der Regierung (Abg. Wurm: In Tirol auch!), und ja, lieber Herr Abgeordneter, wir sind auch Parlamentarier, und ich erwarte mir vom Parlament ein selbstbewusstes Auftreten (Abg. Wurm: Das tun wir!) im Allgemeinen – das zu Ihnen gesagt. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Zurück zum Brenner: Der raue Wind am Brennersee beim Besuch der EU-Kommis­sarin war spürbar: eisige Stimmung (Abg. Hörl: Die Ministerin war auch da!) und voll­ständiges Unverständnis (Abg. Hörl: Die Ministerin war auch dabei!), Unverständnis einer Politik, die eigene Vereinbarungen ignoriert. An dieser Stelle danke ich Frau Bun­desministerin Leonore Gewessler (neuerlicher Zwischenruf des Abg. Hörl), dass sie einen Lokalaugenschein organisiert hat, schon zwei Mal in Tirol war und sich die Si­tuation vor Ort angeschaut hat. – Danke, Frau Ministerin! (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Wurm: Dann ist ja alles in Ordnung! – Abg. Bela­kowitsch: Aktuelle Stunde erledigt!)

Die Aussagen der Kommissarin waren ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Bür­gerInnen. Ich fühlte mich, ehrlich gesagt, in die Zeit Ende der Achtzigerjahre zurück­versetzt – verzweifelt, verärgert, betrogen, ohnmächtig. So fühlen sich die TirolerInnen entlang der Transitstrecken am Brenner, an der Tauernroute, so fühlen sich die Men­schen in anderen Bundesländern, in denen der Ost-West-Transit eine große Rolle spielt.

Der Unterschied zu den Achtzigerjahren ist allerdings, dass sich jetzt Landesregierun­gen, Landesparlamente und, so hoffe ich, auch das österreichische Parlament partei­übergreifend in vielen Punkten einig sind, was zu tun ist, um diese Transithölle zu be­enden. Es gibt Vereinbarungen, es gibt das Weißbuch 2011; gerade darin ist festge­legt, dass der Transitverkehr um 30 Prozent reduziert werden soll. Es gab einen Ber­liner Gipfel, daraus folgte das Zehnpunkteprogramm der Staaten Österreich, Deutsch­land und Italien. Es gibt Bekenntnisse, es gibt Prozesse wie den Zürichprozess, I-Moni­traf und viele andere, man bekennt sich klar dazu, dass das ein Problem ist (Zwischen­ruf des Abg. Wurm), dass wir im Bereich des Güterverkehrs vermindern, vermeiden und verlagern müssen.

Trotzdem ist die Anzahl der Transitfahrten auf Tiroler Seite auf 2,5 Millionen angestie­gen. Nicht zu vergessen sind die anderen Transitrouten: die Tauernstrecke, die Routen in Oberösterreich, der Ost-West-Transit im Burgenland und in Niederösterreich. (Abg. Leichtfried: Die Steiermark gibt’s auch noch!) Daher: Bei jedem Straßenprojekt in je­dem Bundesland – völlig richtig – ist zu prüfen, ob wir damit nicht eine neue Transit­schneise aufmachen. (Abg. Wurm: Was tun wir jetzt, Hermann? Was tun wir jetzt?) Das ist ein wesentlicher Punkt bei allen zukünftigen Projekten.

Ich will mir nicht ausmalen, welche Situation wir hätten, wenn NGOs wie das Transitfo­rum, wie die Arge Stop Transit, wie die Cipra, all diese NGOs nicht Druck auf die Politik machen, den Druck erhöhen würden – damals wie heute –, damit es – Beispiel Tirol – ein Nachtfahrverbot, Tonnagebeschränkungen, Tempolimits, ein dichtes Kontrollnetz, ein sektorales Fahrverbot für Fahrzeuge bestimmter Schadstoffklassen und für solche, die gewisse Güter transportieren, Wochenendfahrverbote, Fahrverbote auf Landes- und Bundesstraßen gibt. (Abg. Wurm: Was macht ihr jetzt, Hermann? – Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) All das sind wichtige Maßnahmen, die gesetzt wurden, und dafür hat es eine starke Zivilgesellschaft gebraucht. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Wurm.)

An dieser Stelle danke an alle BeamtInnen und ExpertInnen, die stets im Fokus hatten, dass all diese Maßnahmen vor den Höchstgerichten halten! Danke auch an alle Frak­tionen, auch jene hier im Hohen Haus, die in der Vergangenheit entsprechende Initiati­ven gesetzt haben! (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Pfurtscheller.)

Trotzdem: Der Befund ist eindeutig, der Anstieg im Bereich des Schwerverkehrs hat ein unerträgliches Ausmaß erreicht, das für die transitgeplagte Bevölkerung nicht mehr tragbar ist. Zwei Punkte möchte ich herausgreifen und ansprechen, was die Möglich­keiten sind, welche Lösungen möglich sind, um die Situation zu verbessern.

Punkt eins – das wird von dem angesprochenen Beispiel, dem Treffen mit der Kommis­sarin am Brenner, illustriert –: Arbeiten wir weiter intensiv an einem Verständnis für den sensiblen Alpenraum, an einem Verständnis dafür, dass Straßengütertransit die Bevöl­kerung schwerer belastet als der Güterverkehr mit der Bahn! Konkret: Viel Geld in ei­nen Bahntunnel wie den BBT zu stecken und gleichzeitig die Zügel auf der Straße zu lösen ist kontraproduktiv, das ist ein Anschlag auf die österreichischen SteuerzahlerIn­nen. Umso mehr sind die diesbezüglichen Aussagen der Kommissarin zu hinterfragen.

Zweitens: Arbeiten wir intensiv für eine Kostenwahrheit betreffend Bahn und Straße un­ter Berücksichtigung von Lärm, Staub und klimaschädlichen Schadstoffen! Am Beispiel eines Mautvergleiches wird ganz klar, wie wichtig die Korridormaut am Brenner ist. Wenn wir Gotthard- und Brennerroute vergleichen, so haben wir folgende Kostensitua­tion: Auf der Gotthardroute kostet es 0,82 Euro pro Kilometer, demgegenüber kostet es auf der Brennerroute 0,36 Euro pro Kilometer. Ja welche Route wird der europäische Frächter da wählen? – Ganz klar und eindeutig die Route über den Brenner! Dazu kommt noch die Verbilligung aufgrund des Treibstoffs, des Dieselprivilegs, das wir hier auch ganz offen ansprechen müssen. (Abg. Wurm: Hermann, aber jetzt ...!) Für ein Fünftel dieser Verbilligung sind die günstigen Treibstoffpreise beziehungsweise auch die Vertragstankstellen verantwortlich – Stichwort Tanktourismus; auch darüber wer­den wir heute reden. Zum Zweiten sind natürlich die günstigen Mauten dafür verant­wortlich, nämlich zu vier Fünfteln. (Beifall bei den Grünen.)

Werte Abgeordnete, es braucht einen österreichweiten Schulterschluss, aber nicht ge­gen die EU, sondern für eine europäische Verkehrswende, für einen gemeinsamen Green Deal, für rasche Notwehrmaßnahmen, wenn das erforderlich ist. Es braucht ei­nen österreichweiten Schulterschluss, und dazu braucht es eine österreichische Bun­desregierung mit Gewicht. Ich bin überzeugt, dass wir mit gemeinsamen Beschlüssen hier im Parlament das schaffen werden, was viele in den letzten Jahren nicht geschafft haben.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Schlusssatz bitte!

Abgeordneter Hermann Weratschnig, MBA MSc (fortsetzend): Ich sehe hier klar den Herrn Bundeskanzler, die Bundesregierung in der Verantwortung (Abg. Wurm: Sehr lauwarme Rede! Sehr lauwarme Rede von den Grünen!), all jene Punkte, die in Tirol versprochen wurden, entsprechend umzusetzen. (Abg. Wurm: Acht Jahre ...! Acht Jahre Schwarz-Grün in Tirol!) Wir werden die Partner sein, wir werden das Beste ver­suchen.

In diesem Sinne: Es lebe der Parlamentarismus! Es braucht ein starkes Parlament, um diese Verkehrswende einzuleiten. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

9.20

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich darf recht herzlich die Schülerinnen und Schüler der HTL Hallein bei uns begrüßen. Herzlich willkommen im österreichischen Parlament! (Allgemeiner Beifall.)

Zu Wort gemeldet ist Ministerin Gewessler. – Bitte.