12.56

Abgeordneter Dr. Johannes Margreiter (NEOS): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Mi­nisterinnen! Geschätzter Herr Gesundheitsminister! Hohes Haus! Am Anfang stand der Schulterschluss. Den Schulterschluss haben wir hier herinnen praktiziert, wir haben relativ einhellig Anfang März, Mitte März diese ganzen Covid-19-Gesetze beschlossen. Da sind natürlich im Übereifer Fehler passiert.

Eines der heutigen Vorhaben korrigiert einen dieser Fehler: Da ist also tatsächlich, was die Verwaltungsgerichte betrifft, die Maskenpflicht in das Gesetz geschrieben worden, was per se eigentlich Unfug war. Jetzt ändert man das; das begrüßen wir, das macht die Arbeit dann viel leichter.

Den Schulterschluss haben aber nicht nur wir hier im Hohen Haus geübt, auch die Be­völkerung ist mitgegangen. Auch die Bevölkerung hat am Anfang alles akzeptiert, was im Zuge dieses Lockdowns angeordnet worden ist. Jetzt, Monate später, bekommt die Bevölkerung doch irgendwie die Rechnung präsentiert, und zwar in einer Form, die mei­nes Erachtens vollkommen unverhältnismäßig ist.

Es hat sich herausgestellt, dass tatsächlich sowohl im Bereich der Gesetzgebung, aber insbesondere auch im Bereich der Verordnungen gepfuscht worden ist, da ist sehr viel Unsicherheit geschaffen worden. Ich erinnere an den Ostererlass, als es plötzlich ge­heißen hat: Ja, jetzt kommt die Polizei und wird daheim kontrollieren, wie viele Personen sich privat treffen. (Zwischenruf der Abg. Steinacker.) Dann hat es immer geheißen: Ja, Freunde treffen ist überhaupt nicht möglich. – Heute wissen wir, dass das anders ist. Die Landesverwaltungsgerichte werden also wahnsinnig viel Arbeit haben.

Wir haben in der Zwischenzeit aus einer Anfragebeantwortung die Zahlen: Im Zeitraum vom 16. März bis 10. Juni dieses Jahres – das sind 86 Tage – wurden 34 443 Anzeigen erstattet; das sind pro Tag über 400 Anzeigen wegen Verstößen gegen Covid-19-Ver­ordnungen. Das ist eine Riesenarbeit für die Verwaltungsgerichte, und diese werden, wie ja das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich und auch das Landesverwal­tungsgericht Wien bereits vorexerziert haben, sehr vielen Beschwerden stattgeben müssen.

Die Blöden sind dann die, die zunächst einmal einfach brav bezahlt haben, und das sind ja nicht wenige. Es spricht sich aber Gott sei Dank immer mehr herum, dass man sich natürlich mit Rechtsmitteln behelfen kann. Ich habe jetzt folgenden Fall hereinbekom­men – das müssen Sie sich vorstellen! –: Zwei Schüler, 14 und 16 Jahre alt, sitzen an­geblich zu nahe nebeneinander auf einer Parkbank im Freien. Jeder dieser Schüler hat eine Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft bekommen: 360 Euro pro Schüler. (Zwischenruf des Abg. Schnedlitz.)

Herr Bundesminister Anschober, haben Sie das gemeint, als Sie die Verordnungen un­terschrieben haben, dass Schüler, die kein Einkommen haben, mit 360 Euro gestraft werden sollen, weil sie auf einem Bankerl angeblich zu nahe beieinander sitzen? – Das kann es ja wirklich nicht sein! (Beifall bei den NEOS sowie des Abg. Schnedlitz.)

Wir haben hier als der Gesetzgeber, der dieses COVID-19-Maßnahmengesetz be­schlossen hat, doch eine Bringschuld. Ich würde aber auch meinen, dass wir – die Re­gierung als Verordnungsgeber – da doch zusammenfinden und eine Amnestie beschlie­ßen, damit nicht nur die, die sich zu wehren wissen, die Beschwerden einbringen, son­dern dass jeder, der eine derartige Covid-19-Strafe ausgefasst hat, amnestiert wird.

Das ist relativ einfach möglich. Das Verwaltungsstrafrecht sieht in § 52a eine Möglichkeit vor, wie im Aufsichtswege gesetzwidrige Bescheide – und die sind gesetzwidrig – beho­ben werden können.

Daher stelle ich namens unserer Fraktion folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak‚ MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Ge­neralamnestie bei Corona-Strafen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, ehestmöglich Maßnahmen zu setzen, die sicherstellen, dass alle aufgrund von § 3 Abs 3 und § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 1 der Verordnung gem § 2 Z 1 des COVID-19 Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020 idjgF, eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren eingestellt, bereits verhängte Strafen nachgesehen und bereits bezahlte Strafen rückerstattet werden.“

*****

Ich denke, das wäre ein sehr, sehr wichtiges Signal, mit dem man die Bereitschaft, mit dem man den Schulterschluss, den die Bevölkerung bereit war mitzugehen, vergütet, damit nicht das Gefühl groben Unrechts bestehen bleibt. Danke schön. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Mühlberghuber.)

13.01

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Nikolaus Scherak, MA, Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Generalamnestie bei Corona-Strafen

eingebracht im Zuge der Debatte in der 38. Sitzung des Nationalrats über den Bericht und Antrag des Justizausschusses über den Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz geändert wird (207 d.B.) – TOP 8

Durch den Antrag des Justizausschusses (207 d.B.) wird das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz geändert. Damit wird festgelegt, dass in Zeiten der Covid-19-Pandemie die Vorschriften von gemäß § 2 Z 1COVID-19-Maßnahmengesetz erlassenen Verordnungen bei Verwaltungsverfahren einzuhalten sind. Auch die Verordnung, in der die sogenannten "Ausgangsbeschränkungen" festgelegt wurden, wurde aufgrund § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes erlassen. Es geht also sowohl in der unter TOP 8 behandelten Vorlage als auch im vorliegenden Antrag um in Folge der Covid-19-Pandemie vorgeschriebene Verhaltenspflichten an öffentlichen Orten - wie das Abstand­halten und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes - und die daraus resultierenden Konsequenzen, wie z.B. Strafen bei Nichtbefolgung. Da in den letzten Wochen über 20.000 Anzeigen nach § 3 Abs 3 COVID-19-Maßnahmengesetz erstattet wurden, ist die im vorliegenden Antrag vorgesehene Generalamnestie eine wichtige und dringend zu setzende Maßnahme.

Im Zuge der Corona-Pandemie wurde das COVID-19-Maßnahmengesetz beschlossen, dessen § 2 vorsieht, dass beim Auftreten von COVID-19 das Betreten von bestimmten Orten durch Verordnung untersagt werden kann, soweit dies zur Verhinderung der Ver­breitung von COVID-19 erforderlich ist. Gemäß § 3 Abs 3 COVID-19-Maßnahmengesetz begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3.600 Euro zu bestrafen, wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß § 2 leg cit untersagt ist.

Am 15. März 2020 erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Kon­sumentenschutz eine Verordnung gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020. Darin ist in § 1 vorgesehen, dass zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 das Betreten öffentlicher Orte verboten ist. In § 2 der Verordnung des BMSGPK wurden folgende Ausnahmen vom Verbot des Betretens öffentlicher Orte nor­miert:

"§ 2. Ausgenommen vom Verbot gemäß § 1 sind Betretungen,

1. die zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum erfor­derlich sind;

2. die zur Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen dienen;

3. die zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der Deckung des Bedarfs zwischen den Perso­nen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann;

4. die für berufliche Zwecke erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der be­ruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann;

5. wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist da­bei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten."

Gemäß § 2 Z 5 der Verordnung des BMSGPK sind Betretungen vom Verbot gemäß § 1 ausgenommen, wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemein­samen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich ganz eindeutig, dass das Betreten öffentlicher Orte nicht auf bestimmte Zwecke beschränkt war. Private Räumlichkeiten wurden im gegenständlichen Verbot gar nicht angesprochen. Diese Auffassung bestätigen nicht nur namhafte Jurist_innen, sondern mittlerweile liegt auch entsprechende Judikatur der Ver­waltungsgerichte vor (siehe unten). Dennoch wurde im Widerspruch zur geltenden Rechtslage von verschiedenen Regierungsmitgliedern bei Pressekonferenzen und an­deren öffentlichen Erklärungen vertreten, dass es etwa nur zum "Luftschnappen", "Spa­zierengehen" oder für "Sport" gestattet sei, öffentliche Orte zu betreten und Besuche in privaten Wohnungen verboten seien.

Daraufhin wurden in den Wochen der Geltung der sogenannten "Ausgangsbeschrän­kungen" zahlreiche Fälle bekannt, in denen Menschen für Handlungen bestraft wurden, die gar nicht verboten waren. Zu zwei Sachverhalten, in denen Personen zu Unrecht bestraft wurden, weil sie Freunde in deren Privatwohnung besuchten, liegen mittlerweile Entscheidungen der Verwaltungsgerichte vor.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich stellte in seinem Erkenntnis vom 12. Mai 2020, GZ: LVwG-S-891/001-2020, fest:

"Der Beschwerdeführer hat mit seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehefrau den öffentlichen Ort betreten, um Freunde zu besuchen. Die Verordnung sieht keine Be­schränkung des Zweckes für ein Betreten des öffentlichen Ortes nach der Ausnah­mebestimmung des § 2 Z 5 vor, auch wenn medial immer nur das „Luftschnappen“ oder „Sport“ als zulässig dargestellt wurden. [...]

Der Aufenthalt in der Wohnung des befreundeten Ehepaares ist von den gegenständ­lichen Bestimmungen nicht umfasst, da diese Wohnung kein „öffentlicher Ort“ ist.

Der Aufenthalt in privaten Räumen unterlag zu keinem Zeitpunkt einem Verbot durch die gegenständliche Verordnung."

Das Verwaltungsgericht Wien führte in seinem Erkenntnis vom 5. Juni 2020, GZ: VGW-031/047/5718/2020-2, aus:

"Insofern die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme vom 29.5.2020 die Auffassung vertritt, dass bei Auslegung des § 2 Z. 5 der genannten Verordnung danach zu diffe­renzieren sei, welchem Zweck das Betreten des öffentlichen Ortes im Freien nach dem Willen des Betretenden dienen solle, ist zunächst darauf zu verweisen, dass sich dem Verordnungstext nicht annähernd entnehmen lässt, zu welchen (bloß eingeschränkten) Zwecken dies gestattet sein sollte. Dazu kommt, dass die Nichteinhaltung der genannten Bestimmung unter Strafsanktion steht, sodass der einzelne Normunterworfene bereits zum Zeitpunkt seines Handelns klar erkennen können muss, durch welches Verhalten er sich allenfalls strafbar macht. Dies wäre jedoch dann nicht gegeben, wenn erst im Nachhinein seitens der Strafbehörde (oder des Verordnungsgebers) der genannte Aus­nahmetatbestand dahingehend einschränkend ausgelegt wird, dass das Betreten des öffentlichen Ortes nur zu bestimmten - im Normtext selbst nicht näher genannten – Zwe­cken gestattet sei. [...]

Angesichts des dargestellten unzweifelhaften Auslegungsergebnisses ist dem Umstand, dass der zuständige Verordnungsgeber (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pfle­ge und Konsumentenschutz) allenfalls in Presseerklärungen oder dergleichen eine da­von abweichende Auffassung vertreten hat, keine rechtserhebliche Bedeutung beizu­messen."

Der Umstand, dass über das Ausmaß des Betretungsverbots öffentlicher Orte in der Bevölkerung und bei den Sicherheits- und Gesundheitsbehörden große Unklarheit herrschte, ist maßgeblich auch Mitgliedern der türkis-grünen Bundesregierung zuzu­schreiben. Diese haben mit der geltenden Rechtslage widersprechenden Behauptungen Verwirrung gestiftet, sodass ein Großteil der Normunterworfenen nicht mehr erkennen konnte, was nun verboten ist und was erlaubt. Außerdem kam es in der Folge auch zu zahlreichen Strafen für eigentlich erlaubtes Verhalten, viele in der Höhe von mehreren hundert Euro. Nicht alle Betroffenen haben jedoch ein Rechtsmittel ergriffen oder hatten die Möglichkeit dazu. Damit die die Rechtslage verkennenden Darstellungen der Regie­rung nicht zulasten der Bürgerinnen und Bürger gehen, ist eine Generalamnestie im Zu­sammenhang mit Corona-Strafen geboten. Im Konkreten sollen alle aufgrund von § 3 Abs 3 und § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 1 der Verordnung gem § 2 Z 1 des COVID-19 Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020 idjgF, eingeleiteten Verwaltungs­strafverfahren eingestellt, bereits verhängte Strafen nachgesehen und bereits bezahlte Strafen rückerstattet werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, ehestmöglich Maßnahmen zu setzen, die si­cherstellen, dass alle aufgrund von § 3 Abs 3 und § 2 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 1 der Verordnung gem § 2 Z 1 des COVID-19 Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020 idjgF, eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren eingestellt, bereits verhängte Strafen nachgesehen und bereits bezahlte Strafen rückerstattet werden."

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht auch mit in Verhandlung.

Als Nächste hat sich Frau Bundesministerin Alma Zadić zu Wort gemeldet. – Bitte Frau Ministerin.