18.59

Abgeordneter Mag. Wolfgang Sobotka (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Vor allem werte Damen und Herren zu Hause vor den Fernsehgeräten! Sie erle­ben eine Debatte, die für Österreich vielleicht sehr, sehr entscheidend ist; entscheidend deshalb, weil es auf der einen Seite darum geht, wie wir mit unserer Geschichte umgehen – dass wir noch nicht fertig sind, können wir anhand der aktuellen Beiträge letzten Endes erfahren. Ersparen Sie mir, dass ich auf einzelne Debattenbeiträge, auch wenn sie herabwürdigend und abschätzig sind, eingehe. Ich glaube, es tut nämlich dem Inhalt nicht gut, denn die Frage ist: Warum haben wir – da waren durchaus auch alle dabei – diesen Preis ins Leben gerufen? – Weil es um ein ganz wesentliches demo­kratisches Grundprinzip geht: den Kampf gegen den Antisemitismus.

Der Kampf gegen den Antisemitismus ist nicht eine Sache des überzogenen Natio­nalismus, des Rassismus, nein: Es ist ein Kampf – wie es Monika Schwarz-Friesel, eine ganz beachtenswerte deutsche Antisemitismusforscherin an der TU Berlin, sehr, sehr klar in ihren Ergebnissen detektiert hat – gegen eine jahrhundertelange Tradition, eine negative Tradition, die den Juden als das per se Schlechte darstellt und allem anderen, das vertraut ist, dem eigenen Bereich, entgegensetzt.

Haben Sie schon einmal ein jüdisches Gebetsbuch gelesen, in dem diese Menschen ein klares Bekenntnis zu dem Staat, in dem sie leben – egal ob in Frankreich, in Deutsch­land, in Luxemburg, in Holland oder in Österreich – abgeben? Es sind Österreicher und Österreicherinnen und es ist unsere Aufgabe, die wir nicht Jüdinnen und Juden sind, sie zu schützen und diesen Kampf voranzutreiben, da er ein Kampf für die Demokratie ist! (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

Und der Kampf gegen den Antisemitismus – und auch das ist bemerkenswert – beginnt nicht an den extremen Rändern, er beginnt in der Mitte der Gesellschaft. Er beginnt in der Mitte der Gesellschaft und entwickelt sich zu den Rändern hin, ihnen entgegen. Schwarz-Friesel sieht das ganz deutlich, weil er dort am deutlichsten zugenommen hat, im Internet. Es ist ein Kampf, der nur dann gelingen wird, wenn wir alle dagegen auf­stehen.

Darum ist dieser Preis ins Leben gerufen worden. Es ist vollkommen unerheblich, ob dieser Preis mit dem Namen Sobotka, mit Blimlinger, mit wem auch immer hier, mit Engelberg, mit Bures oder sonst jemandem verbunden ist. Es geht um Österreich und nicht um einen Namen, der zufällig dort die Initiative ergriffen hat, meine Damen und Herren. (Beifall bei ÖVP, Grünen und NEOS sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es ist ärgerlich, wenn wir heute letzten Endes nicht das Wesen des Preises erkennen, sondern uns um Namen streiten und hier Erklärungen abgeben, von welcher Seite auch immer. Aber eines: Es war doch klar, warum wir diesen Namen wählten! Wiesenthal steht nicht nur für die Frage der Aufklärung des Holocausts, Wiesenthal steht auch für einen Namen, der unbequem gewesen ist – und jetzt verstehe ich Ihre Argumentation –, unbequem im Sinne eines bürgerlichen Engagements. Keinen Auftrag – er hatte ihn sich selbst gegeben. Wiesenthal war beseelt davon, weil er seinen verstorbenen Verwandten Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte und weil er dieses Österreich, das er geliebt hat, davor bewahren wollte, dass es wieder so wird! (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

Er wollte das, weil er klar gesehen hat: Wenn wir hier nicht umkehren, gehen wir in eine Richtung, die für dieses demokratische Österreich schlecht ist.

Ich habe mir meine Geschichte, meine Familiengeschichte – jeder kennt sie – im Doku­mentationsarchiv des österreichischen Widerstandes abgeschrieben. Es war leidvoll, zu bekennen, dass in der Familie auch Mittäter gewesen sind. Es war leidvoll, zu erkennen, dass wir nicht nur Opfer gewesen sind – auch die gab es in meiner Familie. Es ist heute unser Auftrag, dass das nie wieder passieren kann, und das kann nur dann nicht mehr passieren, wenn wir alle dagegen aufstehen. Das können wir nicht an die Polizei delegieren, nicht an Gesetze und nicht an Gerichte, sondern wir können es nur an uns selbst delegieren. Das ist unsere Aufgabe! (Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

Erst wenn wir alle aufstehen, erst dann, wenn jeder im Wirtshaus aufsteht, wenn er hört, dass ein Witz gemacht wird oder dass verächtlich geredet wird, erst dann, wenn er aufsteht und dagegen auftritt, dann wird es uns gelingen, den Antisemitismus einzu­dämmen. Ich bin kein Illusionist, er wird als Bodensatz – und das hat die Studie des Parlaments bewiesen – immer vorhanden bleiben, leider Gottes, weil sich eine 2000 Jahre alte Kultur hält. Schauen Sie sich nur die verfemten Wörter an, wie wir sie gebrauchen, wie gedankenlos wir sie gebrauchen! Es gibt einen harten Kern, den gibt es links, rechts und es gibt ihn letzten Endes im Bereich der Migranten, die aus dem arabischen Raum zu uns kommen. – Schauen wir uns an, wie wir diese Wörter verwenden!

Es wird an uns liegen, damit auch sorgsam umzugehen. Es wird an uns liegen, jeden daran zu erinnern – nicht nur immer mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern in der Diskussion, in der Bereitschaft, zu reflektieren und umzukehren. Darum ersuche ich Sie, im Sinne eines Österreichs, das sich diese Demokratie hart erkämpft hat, leidvoll seine 75-jährige Geschichte aufgearbeitet hat, wobei viele sich entschuldigen mussten, viele Verantwortung auf sich genommen haben, das auch in die Breite zu bringen.

Tun Sie es, um denen gerecht zu werden, und versuchen Sie doch, ein gemeinsames Ganzes zu finden – für dieses österreichische Parlament, wo Simon Wiesenthal einer derjenigen ist, der mit einem dementsprechenden persönlichen Auftreten vorangegan­gen ist, dafür zu kämpfen. Und ihm wollen wir diesen Preis widmen. (Anhaltender, teil­weise stehend dargebrachter Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)

19.07