18.56

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Zunächst möchte ich sehr klar sagen, Herr Bundeskanzler: Jeder von uns, der Verantwortung für die Pandemiebekämpfung gehabt hätte, hätte Fehler gemacht. Na selbstverständlich! Ich bin nicht böse, dass Sie Fehler gemacht haben. Was mich aber aufbringt, ist erstens, dass immer die anderen schuld sind, und zweitens, dass Sie Fehler nicht eingestehen können und auch immer wieder sagen, die anderen haben etwas falsch gemacht, und vor allem auch, dass Sie nicht bereit waren, Vorschläge anzunehmen.

Ich möchte Kollegen Loacker zitieren. Er hat im April gesagt, wir brauchen eine Test­strategie, wir müssen die Risikogruppen schützen. Es ist heute schon gesagt worden: Wir haben in Österreich doppelt so viele Tote wie in Deutschland, und das ist so, weil eben die Altenheime nicht geschützt wurden. Er hat auch gesagt, wir brauchen mehr Schutzbekleidung für die Risikogruppen, für die Pflegerinnen und Pfleger. All das ist nicht erfolgt, und das ist natürlich ein Riesenproblem.

Da wäre es nett, einmal zu sagen: Ja, wir haben Fehler gemacht! – Ich werfe es Ihnen nicht vor, aber dass noch immer die anderen schuld sind, das geht nicht. – Punkt eins.

Punkt zwei: Wenn Sie sagen, ich und Herr Kickl – im Gegensatz zu Herrn Kickl bin ich sehr froh, dass es die Impfung gibt. Ich möchte mich so schnell wie möglich impfen las­sen, und ich halte das für die Bekämpfung der Pandemie für ganz wichtig. Damit das einmal klar ist. Ich möchte aber auch, dass die Maßnahmen, die in diesem Land getroffen werden, in einem Rechtsstaat getroffen werden, dass die Verordnungen so gemacht werden, dass sie die Menschen verstehen.

Ich komme zu einem Interview, das Sie gegeben haben. In einem langen Interview im Fernsehen haben Sie zu Herrn Bürger zwei Dinge gesagt, die ich erwähnen möchte. Erstens einmal zur Wissenschaft; da haben Sie gesagt: Na ja, sieben Wissenschaftler, zehn Meinungen! – Das ist ein Herabwürdigen der Wissenschaftler! Den Wissen­schaft­lern verdanken wir jetzt diese Impfung! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und FPÖ. – Zwischenruf bei der ÖVP.)

Wissen Sie, den Spruch kenne ich von meinem Jusstudium: drei Juristen, sieben Mei­nungen. – Wenn das alles ist, was Sie sich vom Jusstudium gemerkt haben, ist das zu wenig, und es ist ein Herabwürdigen der Wissenschaftler, denen wir in dieser Zeit sehr, sehr viel verdanken.

Das Zweite ist: Sie haben gesagt, die Medien schreiben irgendwelche Sachen, Sie wissen auch nicht, was das ist. – Da kann ich Ihnen schon sagen: Ich weiß, was passiert, und erzähle ein kurzes Beispiel aus meiner Zeit:

Als Sie vom Sparen im System gesprochen und die Sozialversicherung umgestellt haben, haben Ihre Presseleute angerufen und Mails geschrieben: Ihr müsst schreiben, dass die so viele Dienstautos haben und dass die so viel Geld kriegen. – Dann war von der Funktionärsmilliarde die Rede. Dann haben wir recherchiert und sind drauf­gekom­men, das stimmt alles nicht. Wir haben das Gegenteil geschrieben. Und was ist pas­siert? – Anrufe der Pressesprecher des Bundeskanzlers in den Redaktionen, beim Chefredakteur, beim Eigentümer. Druck ist gemacht worden. Erzählen Sie bitte den Menschen draußen nicht, dass die Medien dann irgendwo Informationen bekommen! Sie füttern gezielt die Medien, versuchen, ein Bild zu erzeugen, das oft ein falsches ist, und das ist ganz schlecht! (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von SPÖ und FPÖ.)

„Die Herrschaft der Lüge“ ist ein ganz wichtiges Buch. (Der Redner hält das genannte Buch von Jean-François Revel in die Höhe.) Die Demokratie wird zerstört, wenn die Regierenden und die Medien nicht mehr darauf achten, dass das, was sie schreiben, auch stimmt.

Und jetzt komme ich zum Nächsten, nämlich zur Inszenierung. (Der Redner hält ein Bild in die Höhe, auf dem Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Kogler zu sehen sind, die einem mit einem Elefantenkostüm bekleideten Kind Süßigkeiten und ein Stofftier über­reichen.) Ich hoffe, wenn Sie sich dieses Bild anschauen, genieren Sie sich inzwischen. Bei Vizekanzler Kogler verstehe ich sowieso nicht, warum er da mitgemacht hat.

Wissen Sie, worum es geht? – Ich weiß, worum es geht. Es geht um Ihre Markenführung. Dazu habe ich mir einen Artikel von Frau Mei-Pochtler von 2003 herausgesucht. Sie schreibt: „Geliebt wird nicht der Abklatsch eigener Banalitäten, sondern der Abglanz fremder Träume.“ Sie konzentrieren sich immer nur auf Ihre Markenführung, im Moment muss aber das Land geführt werden, die Pandemie muss bekämpft werden. Ihre Marke ist im Moment wurscht, unser Land ist wichtig, und dafür müssen Sie kämpfen! (Beifall bei NEOS und SPÖ sowie bei Abgeordneten der FPÖ.)

Wenn es um unser Land geht, geht es um Europa, geht es um unsere Werte, geht es um unsere Kinder. Das sind Kinder, die jetzt in Europa sind. Da geht es nicht um Hilfe vor Ort. Ich bin auch dafür, dass wir, wenn es andere Länder betrifft, diese mittels EZA unterstützen, aber das sind Menschen, die in Europa sind. Die Menschen sind in Moria, sie sind in Kara Tepe. Das sind keine Bilder, das sind Menschen, die dort verrecken! Das sind Menschen, die dort von Ratten gebissen werden! Ich finde es absurd, worüber wir hier reden, ich finde es absurd, wenn wir uns hier zusammenstellen und beten, uns aber nicht um diese Menschen kümmern. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

Da geht es um unsere Würde, da geht es auch um die Würde unseres Landes und um die Würde dieses Hauses. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, es geht auch um Artikel 56 Bundes-Verfassungsgesetz, das ist das freie Mandat. Sie können schon zustimmen, wenn Sie der Meinung sind, dass es richtig ist.

Ich bringe folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Auf­nahme von Familien mit Kindern aus Lagern auf den griechischen Inseln“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, Ländern, Städten, Gemeinden, kirchlichen Insti­tutionen und der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, Kinder und Familien aus den Lagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen. Dafür möge die Bundesregierung die Einreise derart vulnerabler Personen ermöglichen.“

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Es sind nicht Bilder, es sind Menschen, es ist die Würde Europas, es geht dabei auch um unser Land. Bekämpfen wir die Pandemie, lassen wir uns impfen und nehmen wir die armen Menschen auf, die es jetzt ganz dringend brauchen! – Danke schön. (Beifall bei NEOS und SPÖ.)

19.02

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Aufnahme von Familien mit Kindern aus Lagern auf den griechischen Inseln

eingebracht im Zuge der Debatte in der 75. Sitzung des Nationalrats zur Dringlichen Anfrage der FPÖ

Seit Jahren hausen Asylwerber_innen unter unwürdigsten Bedingungen in Lagern in Griechenland. Aufgrund des Versagens der EU-Mitgliedsstaaten – mitverantwortet von der österreichischen Bundesregierung, die Reformen mit Vetos bedroht – eine men­schenwürdige und funktionierende gemeinsame Asylpolitik zu schaffen, verschlimmert sich die Situation von Woche zu Woche. Seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr diesen Jahres war klar, dass es eine schleunigste Evakuierung der menschen­unwür­digen Lager braucht, um insbesondere Kinder und andere vulnerable Personen aus dieser unerträglichen Lebenssituation zu holen. Die Regierung Kurz verweigerte den ent­sprechenden Anträgen der NEOS seit März 2020 die Zustimmung und setzte auf vermeintliche „Hilfe vor Ort“- eine sinnentfremdete Anwendung des Begriffes für Unter­stützung bei Katastrophenfällen außerhalb der EU. Diese Zusicherungen durch die Bundesregierung sind eine Farce angesichts der Tatsache, dass

• Güter mit hohen Kosten und mit großem Medienspektakel angeliefert wurden, um dann monatelang in griechischen Lagerhallen verbleiben;

• die von Österreich zugelieferten Zelte bei jedem Regen unter Wasser stehen;

• internationale Hilfsorganisationen weiterhin feststellen, dass die häufigste medizinische Intervention bei Kindern mittlerweile Rattenbisse sind, die die Kinder im Schlaf erleiden;

• Kinder unter 14 Suizidgedanken äußern und deswegen zu Dutzenden bei Ärzte ohne Grenzen in diesem Jahr behandelt wurden;

• die renommierte österreichische, in 136 Ländern tätige Organisation „SOS Kinderdorf“, für die Regierung für unrealistische Projekte zum Kalmieren der sich mehrenden kritischen Stimmen hätte herhalten sollen.

Nach dem Brand des Elendslagers Moria am 9. September wurden 7.500 Menschen, ein Drittel davon Kinder, in das keinesfalls sicherere (Kriegsgerät wird weiterhin gefun­den), nicht windgeschützte und zu Überflutungen neigende Lager Kara Tepe verlegt. Auch in diesem Lager sind die sanitären Verhältnisse absolut unzureichend, Menschen leben ohne Hygienevorsorge dicht gedrängt, Kälte und Nässen sind die Zelte nicht gewappnet.

In Österreich unterstützen Städte, Gemeinden, Orte, christlich-soziale Bürgermeister, kirchliche Institutionen sowie deren Vertreter_innen wie Michael Chalupka und Kardinal Schönborn die Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Menschen, d.h. insbeson­dere Familien und Kindern. Die Ausrede von Bundekanzler Kurz und Innenminister Nehammer, dass Aufnahme irgendwen zu Migration motivieren würde, hat sich bereits mehrfach als falsch erwiesen: Es wurden nach dem Brand in Moria Kinder und auch ganze Familien im Rahmen eines Programmes der EU-Kommission in menschlich agierende EU-Länder transferiert – Migration ist ausgeblieben.

Mittlerweile erhöht sich die Zahl jener Kinder und anderen vulnerablen Personen in den Lagern auf den griechischen Inseln, denen Asyl gewährt wurde, d.h. deklariert Flücht­linge sind. Selbst von diesen Menschen hat die Bundesregierung bisher nicht vor, einen einzigen aufzunehmen.

Es ist höchste Zeit, ein weiteres Versagen der Bundesregierung bei der Vermeidung von Folter und unmenschlicher Behandlung auf europäischem Boden zu verhindern.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, Ländern, Städten, Gemeinden, kirchlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, Kinder und Familien aus den Lagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen. Dafür möge die Bundesregierung die Einreise derart vulnerabler Personen ermöglichen."

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