14.15

Abgeordneter Dr. Reinhold Lopatka (ÖVP): Herr Präsident! Herr Außenminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! (Der Redner stellt eine Tafel auf das Redner­pult, auf der unter der Überschrift „Violations of the human rights of MPs in 2020“ eine Weltkarte mit eingezeichneten Zahlen und Diagramme dargestellt sind.) Ich verstehe Kollegin Petra Bayr: Wenn man sich mit menschlichen Schicksalen auseinandersetzt und Amnesty International davon spricht, dass in Myanmar das Vorgehen des Militärs Hinrichtungen gleichkommt, die bei siebenjährigen Kindern beginnen – wer ist davon nicht berührt? (Beifall bei ÖVP, FPÖ und Grünen.)

Als Politiker sind wir aber gefordert, alles zu tun, um zu Verbesserungen zu kommen, und diese Pandemie verstellt uns, um das ganz offen zu sagen, manchmal den Blick, wenn es um demokratiepolitische Fragen geht. Am Mittwoch haben wir uns den ganzen Tag mit den gesundheitlichen Herausforderungen auseinandergesetzt. Gestern sind wirtschaftliche Fragen im Blickpunkt gestanden. Wenn wir heute diesen Tagesordnungs­punkt nützen, um auch auf die demokratiepolitischen Gefahren hinzuweisen, so ist das meines Erachtens auch zutiefst notwendig, denn die dritte Dimension dieser Pandemie dürfen wir niemals vergessen.

Die Coronakrise hat autoritäre Tendenzen in Staaten, die schon gefährdet waren – und die gibt es vor allem in Afrika, in Lateinamerika, aber auch in Asien –, massiv verstärkt. Andersdenkende, Oppositionspolitiker und vor allem Minderheiten sind stark unter Druck gekommen. China hat mehr als eine Million Uiguren und Vertreter anderer muslimischer Minderheiten in Anhaltelager gebracht. Sie werden mit kommunistischer Ideologie indok­triniert, und es gibt auch schreckliche Berichte von exzessiver Gewalt. Die Fakten­lage ist eindeutig. Wäre sie nicht so eindeutig, hätte die EU, glaube ich, nicht den Mut gehabt, deutlich dazu Stellung zu nehmen.

Selbst China hat letzte Woche das Militär von Myanmar aufgefordert, Akte der Gewalt einzustellen. Was dort passiert, ist brutal und grausam: 275 Tote, darunter mehr als 20 Kinder. Ich habe es schon gesagt: Amnesty International spricht von außergericht­lichen Hinrichtungen. Dieses Vorgehen ist auch durch Filmmaterial dokumentiert, muss man dazusagen.

Wir haben jetzt Sanktionen gesetzt, wobei sich immer die Frage stellt, ob sie wirken oder nicht. Fakt ist, von den 2 800 Inhaftierten sind bisher immerhin 600 wieder freige­kom­men. Das Schicksal der mit überwältigender Mehrheit wiedergewählten Aung San Suu Kyi, einer 75-jährigen, im Lande sehr beliebten und, wie alle objektiven Berichterstatter sagen, untadeligen Frau, auch Friedensnobelpreisträgerin, ist ungewiss. Sie ist eine mutige Frau. Vor 2010 war sie schon 15 Jahre unter Hausarrest gestellt.

Myanmar ist aber nur eines von vielen Beispielen. Ich habe hier vor mir eine Tafel, eine sehr traurige Tafel, die Parlamentarier betrifft. Seit 1977 beobachtet die internationale Parlamentarierunion im Rahmen eines eigenen Ausschusses, wie es den Mandataren in den 192 Mitgliedstaaten, die in der internationalen Parlamentarierunion vertreten sind, geht. Wir haben einen negativen Rekordstand seit 1977, was die Verfolgung von Manda­taren betrifft: Im letzten Jahr waren es 552 Mandatare in 42 Staaten, die in der Ausübung ihres Mandats behindert sind, die verfolgt sind, die das Land verlassen mussten, die verschwunden oder inhaftiert sind – 552 frei gewählte Abgeordnete in 42 Staaten! Jemen, Venezuela, die Türkei und eben Myanmar zählen zu diesen Staaten.

Was ich hier sagen möchte, ist: Es ist gut, dass wir über Myanmar diskutieren. Es gibt eine lange Liste solcher Staaten, über die zu diskutieren wir nicht fertigwürden, aber wir sollten natürlich auch, was unsere unmittelbare Nachbarschaft betrifft, einen besonders scharfen Blick haben. Im nächsten Tagesordnungspunkt werden wir uns mit der Situation in Russland auseinandersetzen.

Ein anderer wichtiger und großer Nachbar ist die Türkei. Für mich ist dort nun seit letzter Woche – neben dem Niedergang der Währung, neben dem Niedergang der Börse – eben auch diese demokratiepolitische Frage in den Blickpunkt gerückt. Das angedrohte Verbot der prokurdischen Partei HDP hat uns, die Grünen und die ÖVP, veranlasst, mit einem Entschließungsantrag noch einmal klar darauf hinzuweisen, dass wir auch diesbezüglich nicht schweigen wollen. Daher darf ich folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend „menschenrechtliche Situation in der Türkei“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und interna­tionale Angelegenheiten, wird ersucht

- sich gegenüber der türkischen Regierung weiterhin für eine Beendigung der politischen Verfolgung von Oppositionellen, aber auch anderen RegierungskritikerInnen, einzuset­zen sowie auf bilateraler und multilateraler Ebene auf die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien sowie Grundrechte zu drängen sowie sich auch in Zukunft für eine Verbesserung der Situation der Zivilgesellschaft und der Betroffenen einzu­setzen;

- gegenüber der türkischen Regierung auf Einhaltung ihrer internationalen Verpflich­tungen im Rahmen des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention zu bestehen;

- sich auch auf europäischer Ebene für einen verstärkten Austausch mit der türkischen Zivilgesellschaft, unabhängigen JournalistInnen, WissenschafterInnen und Menschen­rechts­aktivistInnen einzusetzen.“

*****

Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben der weltweiten Gesundheits- und Wirt­schaftskrise sollten wir jedenfalls auch die weltweite Demokratiekrise beachten – das ist ganz wichtig, wir haben hier die Möglichkeit. Diese Pandemie ist eine weltweite Polypan­demie: eine Gesundheitskrise, eine Wirtschaftskrise, aber auch eine massive Demo­kratiekrise. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

14.22

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Reinhold Lopatka, Ewa Ernst-Dziedzic

Kolleginnen und Kollegen

betreffend menschenrechtliche Situation in der Türkei

eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 5: Bericht des Außenpolitischen Ausschusses über den Antrag 1272/A(E) der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Situation in Myanmar

Am 17. März stellte die türkische Generalstaatsanwaltschaft beim Verfassungsgericht einen Antrag auf Auflösung der pro-kurdischen HDP, einer der größten Oppositions­parteien in der Türkei. Begründet wurde dies u.a. mit dem Vorwurf der „Beteiligung an terroristischen Aktivitäten“. Zugleich entzog das türkische Parlament HDP-Abgeordneten Immunität und Mandat aufgrund einer Verurteilung von PKK-Propaganda. Mit diesen drastischen Schritten hat die regressive Umbaupolitik der türkischen Regierung aus AKP und ihrer Koalitionspartei MHP eine neue Qualität erreicht. Bereits zuvor wurde gegen Mitglieder und Mandatsträger der Partei massiv vorgegangen.

Die Abgeordneten stellen mit großer Besorgnis diese sich weiter verschlechternde Situation von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundfreiheiten in der Türkei fest. In der Folge eines gescheiterten Militärputsches am 15./16. Juli 2016 wurde bis Juli 2018 der Ausnahmezustand verhängt und die Europäische Menschenrechtskonvention aus­ge­setzt. Gewisse Grundrechtseinschränkungen wurden allerdings in ordentliche Gesetze überführt. Vor allem das Verfassungsreferendum vom April 2017 weitete die Befugnisse des Präsidenten gegenüber dem Parlament aus. Ebenso sind die Antiterrorgesetze be­sonders weitreichend, während die Unabhängigkeit und Effizienz der Justiz einge­schränkt ist. Willkürlich verhängte Untersuchungshaften auf fast unbestimmte Zeit und unter unzumutbaren Bedingungen nahmen zu.

Es kommt verstärkt zu einem besonders repressiven Vorgehen gegen regierungs­kriti­sche Personen und Organisationen, wie oppositionelle BürgermeisterInnen, Jour­nalistInnen, WissenschafterInnen, StudenInnen oder KurdInnen. Zudem sind Frauen, LGBTIQ-Personen und MigrantInnen besonders von Diskriminierung und Gewalt betrof­fen. Die Femizidrate in der Türkei ist höchst besorgniserregend. Vergangenes Jahr wur­den über 300 Frauen getötet. Es wird angenommen, dass die Dunkelziffer viel höher ist. Neben dem fatalen Austritt der Türkei aus der Istanbul Konvention, lässt sich be­obachten, dass die Diskriminierung von LGBTIQ-Personen in der Türkei ebenfalls zunimmt. Erst kürzlich sagte Erdogan abwertend “LGBT gibt es nicht” und sprach ihnen ab, “nationalen und moralischen Werten der Türkei” zu entsprechen.

Die Türkei ist Mitglied der Vereinten Nationen, Vertragsstaat des Internationalen Pakts für bürgerliche und politische Rechte sowie anderer internationaler Menschenrechts­verträge. Zudem ist die Türkei Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechts­konven­tion und Mitglied im Europarat. Unter Verstoß der sich aus diesen Mitgliedschaften ergebenen Verpflichtungen werden in der Türkei systematisch Grundrechte missachtet und verletzt. Diese äußerst besorgniserregenden Entwicklungen in der Türkei sind nicht mit europäischen Werten vereinbar. Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Men­schenrechte werden von türkischen Behörden ignoriert.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und inter­nationale Angelegenheiten, wird ersucht

•           sich gegenüber der türkischen Regierung weiterhin für eine Beendigung der politischen Verfolgung von Oppositionellen, aber auch anderen RegierungskritikerInnen, einzusetzen sowie auf bilateraler und multilateraler Ebene auf die Einhaltung demo­kratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien sowie Grundrechte zu drängen sowie sich auch in Zukunft für eine Verbesserung der Situation der Zivilgesellschaft und der Betrof­fenen einzusetzen;

•           gegenüber der türkischen Regierung auf Einhaltung ihrer internationalen Ver­pflichtungen im Rahmen des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention zu bestehen;

•           sich auch auf europäischer Ebene für einen verstärkten Austausch mit der türki­schen Zivilgesellschaft, unabhängigen JournalistInnen, WissenschafterInnen und Men­schenrechtsaktivistInnen einzusetzen.

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Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, er ist ordnungsgemäß eingebracht und steht somit auch in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Dr. Ewa Ernst-Dziedzic. – Bitte, Frau Abgeordnete.