16.58

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Frau Präsidentin! Herr Bundes­kanzler! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank, insbesondere die neuen Mitglieder der Bundesregierung! Herzlich willkommen und viel Kraft und viel Glück für Ihre Arbeit! Ich habe mit der Übernahme des Kanzleramts durch Karl Nehammer zwei Zäsuren mitbekommen, wobei ich angesichts der einen Zäsur sehr positiv gestimmt bin, angesichts der zweiten, zu der ich später komme, nicht ganz so positiv.

Das Positive vorweg: Herr Bundeskanzler, Sie haben heute hier gesagt – und auch die anderen Regierungsmitglieder bisher, auch der Herr Finanzminister und der Herr Bil­dungsminister, und ich hoffe, die Nachkommenden werden es dann auch noch machen –, dass Ihnen der Respekt vor dem Parlament sehr wichtig ist, dass Ihnen der Diskurs, der Dialog sehr wichtig ist. Das ist eine Zäsur, die ich als sehr positiv empfinde. Ihr Vorg- -, Ihr Vorvorgänger – man kommt immer wieder durcheinander – Sebastian Kurz hat ja den Diskurs mit dem Parlament nicht sonderlich gesucht, und der Respekt dem Parla­ment gegenüber war auch nicht übertrieben groß.

Das ist einmal etwas sehr Positives. Ich werde mich freuen, wenn das so bleibt. Ich glaube, die Verhandlungen zur Impfpflicht zeigen, wie gut es ist, wenn mehrere Parteien mit unterschiedlichen Zugängen versuchen, ihre Ideen einzubringen, und man am Schluss zu einem guten Ergebnis kommt. (Beifall bei den NEOS sowie bei Abgeordneten von ÖVP und Grünen.)

Was natürlich schon ein bisschen skurril ist, ist, dass wir gefühlt im Wochentakt hier sind und neue Regierungen mit neuen Bundeskanzlern begrüßen müssen. Man kommt ein wenig durcheinander, das habe ich schon gesagt, und es entsteht ein bisschen der Eindruck, dass wir nur dazu da sind, diese Mächteverschiebungen und Kräfteverschie­bungen in der ÖVP irgendwie nachzuvollziehen und zu diskutieren – das vor dem Hin­tergrund, dass doch eigentlich so viel zu tun wäre. Ich finde auch, dass es nicht nur um die Bewältigung der Pandemie geht, sondern um viele andere Dinge, die in Wirklichkeit schon über Jahrzehnte insbesondere von der ÖVP aufgeschoben wurden.

Jetzt lassen wir das einmal hinter uns, und ich spreche Ihnen ohne Weiteres nicht ab, dass Sie ein Bundeskanzler sein wollen, der Interesse daran hat, das Land zu verän­dern – wahrscheinlich nicht in allen Bereichen mit den gleichen Ideen wie ich, aber das sei jetzt einmal dahingestellt. Ich finde es schon einmal positiv, wenn jemand da ist und sagt, er habe eine Vision, auch wenn sie nicht meine ist.

Die große Frage – da komme ich jetzt zur zweiten Zäsur, und das ist die, die in meiner Wahrnehmung ein bisschen negativ ist und die mich ein bisschen ängstlich zurücklässt – ist, ob Sie denn überhaupt die Macht und den Mut haben, diese Reformen durchzu­führen. Wenn man sich anschaut, was in den letzten Wochen so passiert ist – Sie erinnern sich, der ehemalige Bundeskanzler Schallenberg und der Gesundheitsminister wurden von den Landeshauptleuten nach Tirol zitiert, wo mit ihnen einigermaßen Schlit­ten gefahren wurde –, dann habe ich die Sorge, und das ist die zweite Zäsur, dass das Machtzentrum insbesondere der ÖVP wieder in die Bundesländer zurückgewandert ist. Wenn ich mir die Fernsehauftritte von Landeshauptmann Schützenhöfer und von diver­sen anderen Landeshauptleuten anschaue, dann macht mir das ein wenig Sorge. Das macht mir deswegen Sorge, weil es in den letzten Jahrzehnten nicht unbedingt die Landeshauptleute waren, die vor Reformeifer gestrotzt hätten. Deswegen glaube ich, dass das einigermaßen schwierig sein könnte.

Herr Bundeskanzler, weil Sie den gestrigen Gipfel mit den regionalen Differenzierungen als etwas Positives angesprochen haben: Ich bin auch der Meinung, dass regionale Differenzierungen in der Coronapolitik Sinn machen können. Es wäre nur sinnvoll, dass man die regionalen Unterschiede so einsetzt, wie sie eigentlich gedacht waren. Das, was wir jetzt haben, ist, dass das Bundesland mit der höchsten Inzidenz aufsperrt und das Bundesland mit der niedrigsten Inzidenz die Menschen weiterhin im Lockdown lässt. Das kann ja wohl nicht der Sinn von regionalen Differenzierungen sein! Das macht keinen Sinn, und die Leute da draußen verstehen es vor allem auch nicht mehr. (Beifall bei den NEOS.)

Die Leute wundern sich insgesamt über die Politik. Man kann den Menschen ja schlicht­weg nicht mehr erklären, wieso das so sein soll, wenn man ursprünglich von etwas ganz anderem ausgegangen ist.

Erinnern wir uns: Die Landeshauptleute zitieren vor drei Wochen den damaligen Bun­deskanzler und den Gesundheitsminister nach Tirol, beschließen dort einen bundes­weiten Lockdown – zwei Landeshauptleute, die das davor noch komplett ausge­schlos­sen haben –, und der damalige Bundeskanzler, der zwei Tage davor von diesem Platz aus gesagt hat, er garantiert, dass es keinen Lockdown für Geimpfte geben wird, unter­schreibt das Ganze. Jetzt geht es mir gar nicht darum, ob die Maßnahme richtig oder falsch ist, sondern darum, dass die Menschen doch kein Vertrauen mehr in die Politik haben können, wenn heute A gilt, morgen B, übermorgen C und – ohne jetzt böse zu sein – wenn am Freitag ein Bundeskanzler dasitzt, am Montag ein anderer und kein Mensch weiß, wer in drei Wochen dasitzen wird. Das ist das grundlegende Problem, wieso die Menschen kein Vertrauen in die Politik haben. (Beifall bei den NEOS.)

Ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihre Arbeit. Ich weiß nicht, ob ich persönlich der Mei­nung bin, dass ich mich freue, wenn Sie länger da sind, oder nicht, das werden wir dann sehen und an Ihren Taten messen. Kümmern Sie sich aber um die Arbeit, die vor uns liegt, kümmern Sie sich um die Probleme und schauen wir, dass wir vor allem das Ver­trauen der Bevölkerung in die Politik wiederherstellen können! (Beifall bei den NEOS.)

17.03

Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Sibylle Hamann. – Bitte.