19.09

Abgeordnete Sabine Schatz (SPÖ): Herr Präsident! Werte Regierungsmitglieder! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Herr Innenminister steht wahrlich vor großen Heraus­forderungen: nicht nur, dass der islamistische Terroranschlag vor einem Jahr große Mängel im Sicherheitsbereich sichtbar gemacht hat, die dringend behoben werden müssen, wir verzeichnen in den letzten Jahren außerdem eine erschreckende Häufung von großen Waffenfunden im rechtsextremen Milieu und ein Hoch an rechtsextremen Straftaten. (Zwischenruf des Abg. Deimek.) Dazu kommt aktuell eine bedrohliche Situ­ation, die von den Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen ausgeht.

Dort beobachten wir eine zunehmende Zuspitzung, Drohungen und Übergriffe auf Poli­zistinnen und Polizisten, auf Medienvertreter und Medienvertreterinnen. Wir sehen untragbare antisemitische Verschwörungstheorien und eine grobe Verharmlosung der Verbrechen der Nationalsozialisten. Die rechtsextreme Szene hat sich von Beginn an auf diese Coronademonstrationen gesetzt, hat versucht, diese zu vereinnahmen, und hat diese zum Teil auch angeführt. (Zwischenruf des Abg. Hafenecker.)

Herr Innenminister, ich erwarte mir von Ihnen an dieser Stelle, dass Sie in aller Deutlich­keit die Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht, benennen und dagegen auch entsprechend vorgehen. (Beifall bei der SPÖ.) Das heißt, dass Sie den beschlossenen Nationalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus so schnell wie möglich und trans­parent mit Expertinnen und Experten auf den Weg bringen müssen. (Abg. Hafenecker: Das sagen Sie dem Herrn mit dem Dollfuß-Museum ...!) Ebenso erwarte ich mir von Ihnen, Herr Innenminister, ein klares Bekenntnis zur Demokratie, und das heißt, dass es eine deutliche Abgrenzung und Distanzierung vom Austrofaschismus und dessen we­sentlichen Vertreter Engelbert Dollfuß braucht. (Beifall bei der SPÖ.)

Dollfuß hat 1933 die Demokratie ausgeschaltet. Er hat politische Parteien verboten und eine austrofaschistische Diktatur in Österreich errichtet. Bei den Februarkämpfen 1934 hat er auf Gemeindebauten schießen lassen und politische Gegner wie Karl Münichreiter, Josef Ahrer oder Anton Bulgari standrechtlich erschießen lassen. Eine Würdigung von Engelbert Dollfuß in nur irgendeiner Weise geht sich mit einem demokratiepolitischen Bild, das ich mir von einem Innenminister erwarte, einfach nicht aus. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Genau das passiert aber im Dollfuß-Museum in Texingtal, für das Sie als Bürgermeister zuständig gewesen sind. Ein Blick in das dort aufliegende Gästebuch unterstreicht das. Ich zitiere: „Ein Hoch dem Austrofaschismus!“, „Nieda mit dem roten Pack!“, „Es lebe der Ständestaat!“, kann man dort lesen.

Um jedenfalls sicherzugehen, dass für dieses Dollfuß-Museum keine weiteren Bundes­mittel mehr eingesetzt werden, bringe ich einen Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Sabine Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Keine Kultur­förderung für das Dollfuß-Museum“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport wird aufgefordert sicherzustellen, dass in Zukunft das Dollfuß-Museum als unkritische, den Austro­faschis­mus verherrlichende parteipolitische Pilger- und Werbestätte von der Kunst- und Kultur­förderung ausgeschlossen ist.“

*****

Sehr geehrte Damen und Herren von ÖVP und Grünen! Ihre Zustimmung zu diesem Antrag ist das Mindeste. Herr Innenminister, wenn Sie tatsächlich alle Zweifel in Bezug auf Ihre Einstellung zur Demokratie und auf eine Distanzierung von Dollfuß und dem Austrofaschismus ausräumen wollen (Ruf bei der ÖVP: ...Che-Guevara-Büste? ... Che Guevara in Wien!), dann sorgen Sie dafür, dass das Dollfuß-Museum künftig geschlos­sen wird. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

19.13

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Sabine Schatz,

Genossinnen und Genossen

betreffend: Keine Kulturförderung für das Dollfuß-Museum

eingebracht im Zuge der Debatte zur Erklärung des Bundeskanzlers und des Vize­kanzlers gemäß § 19 Abs. 2 GOG-NR anlässlich des Amtsantritts des neuen Bundes­kanzlers, des Bundesministers für europäische und internationale Angelegenheiten, des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft und Forschung, des Bundesministers für Finanzen, des Bundesministers für Inneres und der Staatssekretärin für Jugend (TOP 1)

Der neue ÖVP-Innenminister Gerhard Karner ist in seiner bisher kurzen Amtszeit vor allem dadurch aufgefallen, dass er als Bürgermeister von Texingtal u.a. für den Betrieb des Dollfuß-Museums verantwortlich war. Zu der Entstehung des Museums haben neben der niederösterreichischen Landesregierung und dem Bauernbund auch die Fa­milie Karoline Dollfuß sowie das damalige Bundesministerium für Unterricht und kultu­relle Angelegenheiten beigetragen. Texing selbst ließ sich die vollständige Renovierung des Geburtshauses von Engelbert Dollfuß 1,5 Millionen Schilling kosten. Laut Kultur­bericht 1998 hat das Ministerium 200 000 Schilling in Form eines Zuschusses an die Gemeinde zur Errichtung des Museums beigetragen.

Beschlossen wurde die Errichtung des Museums vom Texingtaler Gemeinderat mit den Stimmen der ÖVP. Es wurde im Jahr 1998 von Landeshauptmann Erwin Pröll und vielen weiteren ÖVP-Funktionären feierlich eröffnet. Pröll bedankte sich in seiner Eröffnungs­rede für das dargebotene „objektive Bild auf wissenschaftlicher Basis“ und in einem Appell an Toleranz und Frieden lobte er das Museum als eine „Stätte der Begegnung, des Dialoges und des ‚Aus-der-Geschichte-Lernens’“. Er betonte, Dollfuß sei zwar „aus gegenwärtiger Sicht“ kein Demokrat gewesen, „aber sicher kein faschistischer Diktator, sondern unbestritten ein großer und mutiger Patriot im verzweifelten Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus.“ Neben Pröll nahmen auch zahlreiche Ehrengäste vor allem von der ÖVP teil, z.B. der Bauernbunddirektor und Landtagspräsident Johann Penz oder Ex-Außenminister Alois Mock.1 Schon damals gab es Kritik an der Verherrlichung eines Diktators – beispielsweise vom damaligen Vorsitzenden der SJ-Niederösterreich And­reas Kollross –, daher betonte man die angebliche Objektivität und Neutralität der Darstellung und hob hervor, dass es „um ein reines Aufzeigen der historischen Fakten“ (Bauernbund-Direktor Johann Penz) ginge.

Expert*innen wie Lucile Dreidemy, der Schriftsteller Ludwig Laher2 oder der Kultur- und Sozialanthropologe Georg List und der Politikwissenschaftler Michael Gruber3 haben anschaulich ihren Museumsrundgang geschildert. Das Dollfuß-Museum ist in vier kleine Räume aufgeteilt, in denen man anhand von ca. 100 Ausstellungsstücken, 230 Photos und Texten die Hauptstationen von Dollfuß’ Leben und Wirken, nämlich „Kindheit und Jugend“, „Student, Soldat, Agrarfachmann“, „Der Bundeskanzler“ und „Gedenken an Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß“ chronologisch nachverfolgen kann.

Gleich neben der Eingangstüre wird man mit: „Geburtshaus des großen Bundeskanzlers und Erneuerers Österreichs Dr. Engelbert Dollfuß“ begrüßt. Es folgen unkommentiert Ausstellungsgegenstände wie die goldene Uhr, die Lederaktentasche, die studentischen Verbindungsmützen und die Orden, die Uniform und die Totenmaske des von den Nazis ermordeten ersten Kanzlers. Hinzu kommen Biergläser und Kaffeetassen mit dem aufgedruckten Dollfuß-Bildnis in einer Vitrine. Ein Kistchen mit zertifizierter Grabeserde seiner letzten Ruhestätte in Wien-Hietzing gehört fraglos zu den Höhepunkten der unkri­tischen Betrachtung des umstrittenen Politikers: „Österreichische Erde, die den größten Sohn des Vaterlandes barg“.

Nicht fehlen darf eine „Erinnerung an den 70. Todestag von Märtyrerkanzler“ Dollfuß 2004 ebenso wie die vielstrophige dichterische Umsetzung seines Heldentodes: „Wir hatten einen Kanzler / Der war so lieb und gut / Daß Östreich glücklich werde / Daß frei die Heimaterde / Gab er sein Herzensblut. // Er war ein Mann des Glaubens / Ein Märtyrer und Held / Ob seiner letzten Stunden / Mit ihren Todeswunden / Klagt nun die ganze Welt.“4 Zuletzt wird der Besucher mit den Worten „Du bist für uns nicht tot“ auf einem in Stein gehauenem Relief verabschiedet.5

Das Urteil der Expert*innen ist eindeutig: Für geschichtsinteressierte Personen hat das Museum keinen Mehrwert, da Hintergründe und differenzierte Auseinandersetzung fehlen. Die Behandlung der Ideologie des Austrofaschismus und die Thematisierung der Verantwortung von Dollfuß für die Ausschaltung der Demokratie wurde komplett aus­gespart. Viel mehr wird nach wie vor an der historisch längst widerlegten Darstellung einer „Selbstausschaltung des Parlaments“ festgehalten. Im Museum heißt es lediglich, dass sich das Parlament selbst auflöste und Dollfuß mit Notstandsverordnungen ohne Parlament weiter regierte. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass die Parlamentarier*innen einen Tag nach der Auflösung wieder zusammentreten wollten, allerdings von der Polizei daran gehindert wurden.6

Die Historikerin Lucile Dreidemy führt abschließend aus, dass das Dollfuß-Museum „die Unvereinbarkeit zwischen einer kritisch-distanzierten Informationsstelle und einer persönlichen bzw. politischen Gedenk- bzw. Andachtstätte“ verkörpert. Schon allein die Auswahl des Ortes für die Errichtung des Museums ist nicht neutral, sondern dient der Würdigung. Das Dollfuss-Museum ist Erinnerungs- und Pilgerstätte und letztlich auch „parteipolitische Werbestätte“.7

Das Dollfuß-Museum steht bildhaft für das Geschichtsverständnis der ÖVP und ihre Weigerung, Verantwortung für die Ausschaltung der Demokratie im Jahr 1933 zu über­nehmen. Auch den Bürgerkrieg 1934, in dem Dollfuss mit Kanonen auf den Karl-Marx-Hof in Wien schießen ließ, die Hinrichtungen von Sozialdemokrat*innen und die Schaf­fung von „Anhaltelagern“ blendet die ÖVP wissentlich aus. Eine kritische Auseinandersetzung der ÖVP mit Dollfuß fehlt bis heute, bis zum aktuellen Umbau des Parlaments zierte sein Porträt das Sitzungszimmer des ÖVP-Klubs. „Die Rolle von Dollfuß und der Charakter des Herrschaftssystems wurden so lange übertüncht und verharmlost. Es ist ja nicht so, dass sich die ÖVP bislang um Klarheit bemüht hätte“ fasste Emmerich Tálos in einem Interview zusammen.8 Es fehlen daher klare Äußerungen darüber, dass es sich beim Austrofaschismus um eine ausgeformte repressive Diktatur handelte. Hier braucht es eine unmissverständliche Distanzierung des neuen Innenministers und ein Bekenntnis zu den österreichischen und europäischen Werten.

Die Unterstützung des Dollfuß-Museums durch Republik ist aber auch ein Beispiel für ein Versagen der Förderpolitik des Bundes, die in diesem Fall auch im Widerspruch zu den geltenden Richtlinien des International Council of Museums (ICOM) steht. Ein Museum hat eine bildungspolitische Verantwortung, der in diesem Fall auf keinen Fall Rechnung getragen wird. Auch wenn der Betrag im Vergleich zu anderen Förderungen gering ist, so ist es dennoch abzulehnen, mit öffentlichen Mitteln die Schaffung einer „parteipolitischen Pilger- und Werbestätte“ (Dreidemy) für einen austrofaschistischen Diktator, der für die Ausschaltung der Demokratie in Österreich verantwortlich zeichnete und die erste Republik 1933 abschaffte, zu unterstützen. Es sind daher geeignete Vorkehrungen zu schaffen, um zu verhindern, dass sich ein solches Vorgehen in Zukunft wiederholt.

Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport wird aufgefordert sicherzustellen, dass in Zukunft das Dollfuß-Museum als unkritische, den Austrofaschis­mus verherrlichende parteipolitische Pilger- und Werbestätte von der Kunst- und Kulturförderung ausgeschlossen ist.“

1 Lucile Dreidemy: „Aus der Geschichte lernen … und gegen die Rotfront kämpfen!“ Das Dr. Engelbert Dollfuß-Museum in Texingtal, Niederösterreich, in: Dirk Rupnow, Heidemarie Uhl (Hrsg.): Zeitgeschichte ausstellen in Österreich. Museen – Gedenk­stätten – Ausstellungen, Wien 2011, S.369 ff.

2 Ludwig Laher: Kommentar der anderen: Erneuerer Österreichs, in: Der Standard vom 7.12.2021.

3 Georg List/Michael Gruber: Engelbert Dollfuß – Texings einziger Promi, www.progress-online.at (abgerufen am 7.12.2021)

4 Ludwig Laher: Erneuerer Österreichs

5 Georg List/Michael Gruber: Engelbert Dollfuß

6 Ebd.

7 Lucile Dreidemy: „Aus der Geschichte lernen…

8 Der Standard: Historiker Tálos zu Dollfuß: "ÖVP kann Kritik nicht einfach wegwischen", 8.12.21.

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Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß einge­bracht und steht somit auch in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Mag. Hannes Amesbauer. – Bitte, Herr Abgeordneter.