9.08

Abgeordneter Ing. Martin Litschauer (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Frau Ministerin! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Fernsehern und via Livestream! Am 5. November 1978 fand eine Volksabstimmung in Österreich über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf statt. Wie wir alle wissen, hat eine knappe Mehrheit dafür gesorgt, dass Österreich nicht in die Nutzung der Atom­energie eingestiegen ist. Das Atomkraftwerk ist ein Museum – und das ist gut so. Wir haben unseren Kindern nicht Tonnen von abgebrannten hochradioaktiven und giftigen Brennstäben zur Entsorgung hinterlassen. Das war eine mutige Entscheidung, wir haben Mut bewiesen, darauf können wir stolz sein, denn in vielen Ländern ist das nicht so. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Dort führt man jetzt, 60 Jahre nach dem Einstieg in die Atomindustrie, Debatten, wie man die Tausenden Tonnen hochradioaktiven Mülls in Endlagern unterbringen kann, und hat dafür immer noch keine Lösung. Die Probleme der Atomkraft sind seit dem letzten Jahrtausend ungelöst.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Atomkraft ist heute noch immer so gefährlich und so schädlich wie zu deren Beginn. Wir haben noch immer keine Antworten auf diese Fragen. Eines ist klar: Diese radioaktive Suppe wurde in den Atomstaaten den nächsten Generationen eingebrockt, und die müssen sie dann auslöffeln – ob sie wollen oder nicht.

An einigen Standorten – mittlerweile an wenigen – werden diese Atommeiler abgebaut. Die ersten Erfahrungen zeigen, es wird alles viel teurer und es dauert vor allem wesent­lich länger, als man ursprünglich geplant hat. Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden dann schon in Pension sein – und daher die Arbeiten gar nicht abschließen können –, bevor so ein Standort gesäubert ist, weil das Jahrzehnte dauern wird. Es ist zu befürchten, dass der Abriss eines AKWs länger als dessen Errichtung dauert.

Die Belastungen durch die Atomindustrie haben ein unzumutbares Ausmaß erreicht, vor allem für unsere Kinder und Enkelkinder, die sich dann damit herumschlagen müssen. Gleichzeitig hat die Atomlobby mit falschen Versprechungen jahrzehntelang den Ausbau der erneuerbaren Energien und nachhaltigen Klimaschutz behindert. Das muss man hier deutlich sagen: Die Atomkraft ist kein Beitrag zum Klimaschutz und wird nie ein Beitrag zum Klimaschutz sein. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir können die Herausforderungen der Zukunft mit einer Technologie aus dem letzten Jahrtausend nicht lösen. Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, das Ergebnis der Volksabstimmung zu Zwentendorf wäre wesentlich deutlicher ausgefallen, wenn davor schon bekannt gewesen wäre, dass in Bohunice, nur 120 Kilometer von Wien entfernt, bereits eine Kernschmelze eingetreten war. Statt darauf einzugehen wurde 1978 im Werbefilm für die Inbetriebnahme des AKWs Zwentendorf noch behaup­tet, dass ein Atomkraftwerk nicht explodieren kann. 1986 hat der Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl aber gezeigt, dass genau das passiert ist, was die Atomphysiker in ihrem Werbesujet ausgeschlossen haben. Tschernobyl hat uns vor Augen geführt, was wir in Österreich schon vorher wussten: Atomkraft ist nicht sicher und wird nicht sicher sein – egal, wie oft das behauptet wird, egal, wie es verpackt wird. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Anstatt daraus zu lernen, hat man jedoch vor 20 Jahren die Renaissance der Atom­energie ausgerufen und mit den EPRs eine neue Reaktorgeneration versprochen. Die sollten sicherer, besser, billiger sein. Milliardenförderungen sind dort reingeflossen – und erneuerbare Energieträger wurden ausgebremst. In Flamanville in Frankreich wurde 2007 mit dem Bau des ersten EPR begonnen, aber 2022 werden diese Arbeiten noch immer nicht abgeschlossen sein. Das ursprüngliche Fertigstellungsdatum wird dann zehn Jahre zurück liegen. Statt 3 Milliarden Euro werden die Baukosten dann unvorstell­bare 19 Milliarden Euro betragen haben. Das ist nicht besser, das ist nicht billiger, das ist vor allem auch langsamer und genauso unsicher.

In Taishan in China wurde ein weiterer EPR gebaut, der 2019 in Betrieb gegangen ist. Im April gab es dort einen Zwischenfall mit Austritt von radioaktiven Gasen aus dem Reaktorbehälter. Der Reaktor wurde im Juli abgeschaltet. Nun berichten Medien von einem Whistleblower, der von einem Konstruktionsfehler im EPR spricht, der zu diesen Schäden geführt hat. Wenn sich das bestätigt, könnte das nicht nur das Aus für den EPR in Taishan bedeuten, sondern es wirft vor allem auch die Frage auf: Liegt dieser Konstruktionsfehler auch bei den anderen EPR-Projekten vor? Bisher hüllt sich die EDF in Schweigen, was diesen Konstruktionsfehler betrifft. Der Fehler könnte auch das Ende der EPR-Projekte in Frankreich, in Finnland und in England bedeuten, und zwar ohne dass jemals eine Megawattstunde Strom produziert worden ist. Statt der Renaissance wartet dann am Ende möglicherweise ein Milliardengrab und kein Beitrag zum Klimaschutz.

Wenn wir uns die Atomstaaten in Europa ansehen, dann stellen wir fest, dass nirgends ein konkreter Ausbau der Atomenergie stattfindet. Selbst in Frankreich geht man bereits davon aus, dass der Atomstromanteil trotz der angepeilten Projekte von aktuell 70 auf 50 Prozent sinken wird. Weltweit können wir ein Schrumpfen des Atomsektors beobach­ten, weil neue Atomprojekte teurer sind und zu spät kommen. 2020 wurde 17-mal so viel Geld in erneuerbare Energie investiert, weil diese billiger und rascher verfügbar ist.

Die Gefahr der Atomkraft lauert also nicht nur in den Reaktoren, sie lauert auch in ihrer Lobby, die sich dieser alten Technologien mithilfe von Greenwashing weiter bedienen will.

Ja, es gibt auch noch einen anderen Grund. Präsident Macron hat einmal gesagt: ohne zivile Atomkraft keine militärische Atomkraft, ohne militärische Atomkraft keine zivile Atomkraft. Viele Projekte, wie zum Beispiel die Small Modular Reactors, die SMR, dienen auch militärischen Zwecken. Ich möchte nicht, dass diese Atomtechnologie in viele Länder verbreitet wird und wir die Geschichte, die wir im Iran erleben, ein weiteres Mal erleben müssen. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Wöginger.)

In der EU ist eine heiße Debatte darüber entbrannt, ob die Atomenergie in die Taxonomie aufgenommen werden soll, also eine nachhaltige Investitionsform darstellen soll. Angeheizt wird diese Debatte genau von dieser Lobby, die uns vor dem Unglück von Tschernobyl erklärt hat, dass die Atomkraft sicher sei, die uns erklärt hat, dass die EPRs die Lösung bringen.

Ich bin froh darüber, dass wir hier in Österreich eine klare Position haben und auf die Zukunft und nicht auf die Vergangenheit setzen, denn wenn ich mir anschaue, unter welchen Umweltbedingungen Uran abgebaut wird, wenn ich mir ansehe, wie in Frankreich radioaktives Wasser ins Meer abgeleitet wird, obwohl in der Ospar-Konven­tion versprochen worden ist, das bis 2020 nicht mehr zu tun, wenn ich sehe, dass die Zwischenlager übergehen und noch immer keine Atommüllendlager da sind, dann sage ich, Atomenergie ist nicht nachhaltig und deswegen hat Atomkraft in der Taxonomie nichts verloren. (Beifall bei den Grünen, bei Abgeordneten der ÖVP sowie der Abg. Herr.)

Liebe Ministerin, von meiner Seite gibt es die volle Unterstützung, diese Position auch gegenüber der EU-Kommission durchzusetzen. Wenn es rechtliche Schritte braucht, dann macht es Sinn, diese zu setzen. Wir müssen einen Schlussstrich ziehen, wir müs­sen aufhören, ständig Geld in eine Technologie, die die Marktreife nicht erreicht hat, zu pumpen, denn es gibt auch andere Lösungen.

Fotovoltaik ist weltweit die billigste Form, Strom zu produzieren. Die Erneuerbaren sind heute schneller, besser, einfacher zu bauen. Die Erneuerbaren machen uns unabhän­gig, sie machen uns resilient und sie helfen uns in der Klimakrise. Ja, dafür braucht es Mut – wir werden also nur klimaneutral werden können, wenn wir mutig sind.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir in Österreich haben diesen Mut schon einmal ge­zeigt, wir haben uns gegen das AKW Zwentendorf ausgesprochen und wir zeigen, dass Energiewende auch ohne Atomkraft geht. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ich habe vor 21 Jahren auch die Demonstrationen gegen die Inbetriebnahme des AKWs Temelín organisiert. Ich bin stolz darauf, dass wir in Österreich gemeinsam gegen grenznahe Atomkraftwerke und auch für Umweltschutz auf die Straße gehen. Wir haben gezeigt, dass das friedlich funktionieren kann und wir so gemeinsam unsere Ziele vertreten und für den Klimaschutz eintreten können.

Dukovany, Mochovce, Paks, Krško und viele andere solcher Projekte und Kraftwerke sind eine Bedrohung für uns. Wir dürfen da also nicht lockerlassen und – ich bin davon überzeugt, dass wir da hier im Haus einer Meinung sind und auch die Unterstützung aus dem Ministerium haben – müssen uns dagegen aufbäumen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Raus aus den Fossilen heißt rein in die Erneuerbaren – daran wird auch die Atomlobby mit dem Versuch des Greenwashings nichts mehr ändern können. Jetzt ist es aber an der Zeit, dass auch in der EU dieser Mut, der auch in Österreich vorhanden ist, bewiesen wird. Ich möchte dazu aufrufen, dass wir der EU-Kommission etwas Mut zusprechen, denn eine Taxonomie ist nur ohne Atomkraft vorstellbar, weil sie nur so zukunftsfähig ist. Setzen wir auf Sicherheit und echten Klimaschutz! – Danke. (Beifall bei den Grünen, bei Abgeordneten der ÖVP sowie der Abg. Herr.)

9.18

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Punktlandung! – Zu einer einleitenden Stellung­nahme zu Wort gemeldet ist die Frau Bundesminister. Ich darf ihr das Wort erteilen. – Frau Minister, bitte sehr.