15.50

Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne): Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kollegen und Kolleginnen! „Es sind zweifellos turbulente Zeiten“, heißt es im Vorwort des Außen- und Europapolitischen Berichtes 2020. Diese Einschätzung ist nicht nur zutref­fend, sondern wir erleben mehr oder weniger tagtäglich, wie sich dieser Zustand selbst überholt; und wir wissen, mit welchen Herausforderungen wir heutzutage zu kämpfen haben. In 5 Minuten würde es sich kaum ausgehen, auf alle Herausforderungen einzu­gehen, ich möchte aber zwei besonders aktuelle herausgreifen.

Zum einen geht es um die Grenze von Belarus. Wir wissen, dass die Haltung der Euro­päischen Union in Grundrechtsfragen durch diese Situation an der Grenze tatsächlich ins Wanken gebracht wurde. Das Zweite betrifft die volatile Situation an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine, die uns natürlich viele Sorgen macht, weil wir wissen, dass sich dort sogar ein offener Krieg abzeichnen könnte, wenn es der inter­nationalen Staatengemeinschaft – der Europäischen Union, aber natürlich auch Russ­land, der Ukraine und uns in der Östlichen Partnerschaft – nicht gelingt, diesen Konflikt entsprechend aufzulösen.

Zu Belarus ist auf jeden Fall wichtig zu sagen, dass die Situation im Land nach wie vor eine repressive ist. Erst gestern wurde der Mann Swjatlana Zichanouskajas zu 18 Jahren Lagerhaft verurteilt, und der Pressesprecher von A1 – wir wissen, A1 ist durch staatliche österreichische Anteile durchaus entsprechend involviert – wurde nicht nur verhaftet, sondern angeblich unter Folter zu wirklich drastischen Bekenntnissen aufgefordert.

Auch an der Grenze zwischen Polen und Belarus gibt es nach wie vor keine Ent­span­nung, nicht wegen der großen Anzahl der Schutzsuchenden in den Wäldern, sondern wegen der humanitären Situation für die paar Tausend Menschen und wegen der Leichtfertigkeit sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Europäischen Union selbst, mit der die menschenrechtlichen Standards, die eigentlich die Basis für unsere Menschen­rechte, unsere Demokratie und unser Verständnis der Europäischen Union sind, dort nach und nach ausgehebelt werden.

Allzu viele vergessen gerade im Moment, dass diese Standards deshalb geschaffen worden sind, um eine verbindliche Vorgabe für unser aller politisches Handeln zu haben, und nicht, um sie aus Gründen der Opportunität beliebig nach unten zu nivellieren, was im Moment gerade passiert.

Was tun mit all diesen Bedrohungen? Wie mit diesen Bedrohungen umgehen? Was können wir aus all dem lernen? Zum einen begrüße ich sehr, dass Österreich, aber natürlich die gesamte Europäische Union die Östliche Partnerschaft mit der Ukraine, aber auch mit den anderen östlichen Staaten nicht nur weiterhin forciert, sondern dass es konkrete Projekte und Überlegungen gibt, um eben Staaten wie die Ukraine zu unter­stützen, beispielsweise dadurch, dass bis zu 2,3 Milliarden Euro in die Bereiche Wirt­schaft, gute Regierungsführung, Sicherheit, Umwelt, Klima und digitale Transformation fließen sollen. Dies soll am Ende dazu führen, dass weitere 17 Milliarden Euro an staat­lichen und privaten Investitionen freigesetzt werden.

Was begrüße ich noch?  Ich begrüße die Überlegungen, Russland aus dem inter­nationalen Finanztransaktionssystem auszuschließen. Wir wissen, das hat beim Iran schon funktioniert, und das ist auch da weiterhin eine wichtige Überlegung, genauso wie die Überlegungen bezüglich Nord Stream 2. Wir wissen, dass das eine wichtige, nicht­militärische Waffe Europas gegenüber Russland ist, weil der gesamte Machtapparat von Putin ja genau darauf basiert, dass es diese wirtschaftlichen Beziehungen über die Gas­pipelines gibt.

Zuletzt, Kollege Lopatka hat das schon angekündigt, können wir uns als Österreich nicht nur auf europäischer und internationaler Ebene in den Gremien aktiv für eine De­eskalation der Situation einsetzen, sondern wir bringen heute auch im österreichischen Parlament einen Entschließungsantrag ein. Die unterfertigten Abgeordneten stellen folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend „russische Truppenkonzentration an der ukrainischen Grenze“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und interna­tionale Angelegenheiten, wird ersucht, sich bilateral und gemeinsam im Verband der EU-Mitgliedstaaten bestimmt und nachdrücklich um eine rasche und nachhaltige De­eska­lation zu bemühen, und sich weiterhin für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine einzusetzen.

Weiters wird der Bundesminister ersucht, sich im Falle einer erneuten Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine für eine gemeinsame und deutliche EU-Reaktion, inkl. der Verhängung weiterer restriktiver Maßnahmen, einzusetzen.

Weiters wird der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten ersucht, sich weiterhin mit Nachdruck für eine vollständige Umsetzung der Verein­ba­rungen von Minsk durch alle Beteiligten und für die Rückkehr zu bestehenden Konflikt­lösungsformaten einzusetzen.“

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Alles in allem: Wir sind womöglich ein kleines, aber ein neutrales Land mit sehr viel Know-how, mit sehr viel Expertise, gerade was Friedenspolitik anbelangt, gerade was Deeskalation oder internationale Gespräche anbelangt, wie zuletzt auch am Beispiel Belarus zu sehen war. Österreich darf im Fall der Ukraine genauso wenig wegschauen, und ich erhoffe eine breite Zustimmung zu diesem Antrag. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

15.56

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic,

Kolleginnen und Kollegen

betreffend russische Truppenkonzentration an der ukrainischen Grenze

eingebracht im Zuge der Debatte zu TOP 16 Außen- und Europapolitischer Bericht 2020 der Bundesregierung (III-482/1263 d.B.)

Seit mehreren Wochen haben die Spannungen an der ukrainisch-russischen Grenze aufgrund des erneuten Zusammenziehens einer hohen Anzahl russischer Truppen ein bedenkliches Maß erreicht. Berichten zufolge wurden mehr als hunderttausend Streit­kräfte und schweres militärisches Gerät in den Regionen Russlands, die an die Ukraine grenzen, zusammengezogen. Angesichts der völkerrechtswidrigen Annexion der Auto­nomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol durch die Russische Föderation im Jahr 2014 sowie der fortgesetzten russischen Unterstützung für die Separatisten in der Ostukraine ist die russische Truppenkonzentration entlang der ukrainischen Grenze sehr besorgniserregend und hat Potential zur gefährlichen Eskalation.

Die wachsende Bedrohungslage auf europäischem Boden betrifft die Europäische Union unmittelbar und tangiert somit auch österreichische Sicherheitsinteressen. Österreich hat seit 2014 voll und ganz die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine inner­halb international anerkannter Grenzen unterstützt und sich im Rahmen von bilateralen und multilateralen Kontakten sowie mit Beiträgen zur OSZE-Mission in der Ukraine für eine dauerhafte politische Lösung der Krise in der Ostukraine eingesetzt. Weiters hat Österreich auf Ministerebene an der Gründungsversammlung der Krim-Plattform im August 2021 in Kiew teilgenommen. Nicht zuletzt setzt sich Österreich im Rahmen der Östlichen Partnerschaft der EU für die Resilienz der Ukraine ein.

Die EU hat bereits ein umfangreiches Sanktionsregime gegen Russland angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen etabliert, welches von Österreich mitgetragen wird. Weiters wurden Wirtschaftssanktionen gegen den Handelsaustausch mit Russland in be­stimmten Wirtschaftszweigen verhängt. Zuletzt wurden beim Rat der EU-Außenminis­terInnen am 13. Dezember 2021 aufgrund von schweren Menschenrechtsverletzungen und destabilisierenden Aktivitäten, inklusive im Donbass (Ukraine), restriktive Maßnah­men gegen die Wagner-Gruppe, ein in Russland ansässiges privates Militärunter­neh­men ohne eigene Rechtspersönlichkeit, beschlossen.

Für eine Deeskalation und eine politische und diplomatische Lösung des Konflikts braucht es eine vollständige Implementierung der Vereinbarungen von Minsk und eine rasche Rückkehr zu produktiven Gesprächen im Rahmen der trilateralen Kontaktgruppe und des Normandie Formats.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und inter­nationale Angelegenheiten, wird ersucht, sich bilateral und gemeinsam im Verband der EU-Mitgliedstaaten bestimmt und nachdrücklich um eine rasche und nachhaltige De­eskalation zu bemühen, und sich weiterhin für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine einzusetzen.

Weiters wird der Bundesminister ersucht, sich im Falle einer erneuten Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine für eine gemeinsame und deutliche EU-Reaktion, inkl. der Verhängung weiterer restriktiver Maßnahmen, einzusetzen.

Weiters wird der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten er­sucht, sich weiterhin mit Nachdruck für eine vollständige Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk durch alle Beteiligten und für die Rückkehr zu bestehenden Konfliktlösungs­formaten einzusetzen.“

Der inhaltliche Zusammenhang ist dadurch gegeben, dass der Außen- und Europa­politische Bericht 2020 der Bundesregierung sämtliche Themen und Tätigkeiten des Bundesministers für europäische und internationale Angelegenheiten umfasst, auch den Konflikt in der Ostukraine.

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Antrag ist ordnungsgemäß eingebracht, aus­reichend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordnete Bayr. – Bitte sehr.