1581/AB-BR BR
Die Bundesräte Konecny und Genossen haben am 8. Mai 2000 unter der Nr. 1707/J -
BR/2OOO an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Neuvertei -
lung der Sitze im Europäischen Parlament gerichtet.
Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu den Fragen 1 bis 3:
Seitens des portugiesischen Ratsvorsitzes wurde erstmals anläßlich der 7. Tagung
der Gruppe der Regierungsbeauftragten am 16. Mai 2000 das Thema der Sitzver -
teilung im Europäischen Parlament im Hinblick auf die Erweiterung der EU auf die
Tagesordnung gesetzt. Diskussionsgrundlage war das Konferenzdokument
CONFER 4740/00. Dieses Dokument wurde der Parlamentsdirektion in Wahrneh -
mung der Verpflichtung gemäß Art. 23e Abs. 1 Bundes - Verfassungsgesetz mit ge -
meinsamen Schreiben des Bundeskanzleramtes, ZI. 405.885/27 - IV/B/5/2000, und
des Bundesministeriums für auswärtigen Angelegenheiten, ZI. 901.001/0044e -
III.1/2000, vom 11. Mai 2000 übermittelt.
Zur Gliederung der Diskussion hat der Vorsitz im genannten Dokument folgende
Optionen für eine künftige Sitzverteilung vorgeschlagen:
Nach dem Modell 1 wird die Zuteilung der Sitze, ausgehend von der Gesamtbevöl -
kerung der Union (wobei alle 13 potentiellen Beitrittskandidaten, also auch die Tür -
kei, einbezogen wurden) und weiters unter Zugrundelegung einer Sitzanzahl von
mindestens 4 pro Mitgliedstaat, eine direkt proportionale Aufteilung der 700 Sitze
vorgenommen. Nach diesem Modell stünde Österreich eine Sitzanzahl von 13 zu.
Ein Modell, das zu einer Abgeordnetenanzahl von 10 oder 11 für Österreich führen
würde, ist dem Bundeskanzleramt nicht bekannt.
Nach dem Modell 2 wird ausgehend von einer Extrapolation der bisherigen Sitzver -
teilung (die zu einem beträchtlichen Überschreiten der in Art. 189 2. Absatz EGV
festgelegten Obergrenze von 700 Sitzen auf 963 Sitze führen würde), eine für alle
Mitgliedstaaten gleich hohe proportionale Reduktion der Sitze vorgenommen, um die
in Rede stehende Obergrenze einhalten zu können. Die derzeitige Anzahl der
Grundmandate (6 pro Mitgliedstaat) würde dabei jedoch als absolute Untergrenze
beibehalten. Nach diesem Modell würde Österreich auf 15 Abgeordnete kommen.
Die Sitzreduktion würde bei allen Mitgliedstaaten linear (ausgenommen Luxemburg
und die sehr kleinen Beitrittskandidaten) um etwa 27 % erfolgen. Dieser Prozentsatz
ergibt sich daraus, dass sich durch den Beitritt der 13 Kandidatenländer bei Fort -
schreibung der bisherigen Verteilungspraxis die Gesamtanzahl der Sitze im europäi -
schen Parlament um ca. 27 % erhöhen würde.
Das Modell 2 geht somit von der derzeitigen Berechnungsmethode der Sitzvertei -
lung, der degressiven Proportionalität, aus.
Eine Anzahl von 17 Sitzen für Österreich wäre bei diesem Modell nur dann möglich,
wenn von einem Szenario von 12 Beitrittswerbern ausgegangen würde. Diesbezüg -
lich wäre eine Kürzung der bestehenden Sitzverteilung um lediglich 20 % notwendig.
Österreich hat sich anläßlich der 7. Tagung der Beauftragtengruppe am 16. Mai
2000 für die 2. Option - somit die Beibehaltung des Modells der "degressiven Propor -
tionalität" - ausgesprochen (siehe dazu den Bericht der Ständigen Vertretung Öster -
reichs bei der EU vom 16. Mai 2000, ZI. 3.1.0.3/36/00) und diesen Standpunkt im
Rahmen der 4. Tagung auf Ministerebene am 22. Mai 2000 bekräftigt (siehe dazu
den von der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU unter ZI. 3.1.0.3/39/00
vorgelegten Bericht vom 25 Mai 2000).
In diesem Zusammenhang ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass die Frage der
Neuverteilung der Sitze im Europäischen Parlament als Teil eines ,,Gesamtpaketes"
anzusehen ist. Das Argument der Bevölkerungsanzahl wird von den großen Mitglied -
staaten nicht nur bei der Neuverteilung der Sitze im Europäischen Parlament, son -
dern auch als zentrales Argument bei der Neugewichtung der Stimmen im Rat ins
Treffen geführt. Von einer Neugewichtung der Stimmen im Rat hängt wiederum die
Neufestlegung der Größe und Zusammensetzung der Kommission ab (siehe dazu
das Protokoll Nr.7 zum Amsterdamer Vertrag).
Als kleiner Mitgliedstaat ist Österreich bei seiner Verhandlungsführung darauf be -
dacht, das Prinzip der Gleichheit aller Mitgliedstaaten in den Vordergrund zu stellen,
um unserem Land ein möglichst hohes Gewicht in der Entscheidungsfindung auf
europäischer Ebene auch in einer erheblich erweiterten Union zu sichern. Die Bun -
desregierung verfolgt daher die Linie, dass das Bevölkerungskriterium (sowohl bei
der Frage der Neuwägung der Stimmen im Rat, als auch bei Neuverteilung der Sitze
im Europäischen Parlament) nicht zu Lasten des Prinzips der Gleichheit der Mit -
gliedstaaten zu stark gewichtet wird. Dass jedoch Kompromisse notwendig sein
werden, um die Regierungskonferenz im Hinblick auf ihren Zweck - Erhaltung der
Handlungsfähigkeit auch in einer stark erweiterten Union - für alle Mitgliedstaaten
einigermaßen befriedigend abschließen zu können, steht jedoch ebenso außer
Zweifel. Die Bundesregierung wird jedenfalls alles daran setzen, um Österreich
sowohl im Europäischen Parlament als auch im Rat weiterhin ein angemessenes
Gewicht zu sichern.
Hinsichtlich einer Neuwägung der Stimmen im Rat vertritt Österreich die Auffassung,
dass eine gewisse Berücksichtigung des Bevölkerungskriteriums im Kontext des
"Protokolls über die Organe im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union"
des Vertrages von Amsterdam, nicht schlechthin von der Hand zu weisen ist. Das
Bevölkerungskriterium könnte daher maßvoll bei der Neugewichtung der Stimmen im
Rat und der Neuverteilung der Sitze im europäischen Parlament einfließen, wobei
der Grundsatz der "Union der Völker und Staaten", der letztlich den kleinen
Mitgliedstaaten in der unionsinternen Entscheidungsfindung ein überproportionales
Gewicht sichert, jedenfalls erhalten bleiben sollte.
Hinsichtlich der Größe und Zusammensetzung der Europäischen Kommission vertritt
Österreich den Standpunkt, dass das Prinzip "Ein Kommissar pro Mitgliedstaat" nicht
angetastet werden darf. Das Recht jedes Mitgliedstaates einen Kommissar zu stel -
len, ist ein grundlegender Aspekt der Glaubwürdigkeit und Legitimität der Kommis -
sion. Der Charakter der Kommission als Kollegialorgan mit gleichberechtigtem Status
aller seiner Mitglieder muss gewahrt bleiben.
Schließlich kann sich Österreich vorstellen, dass einige wesentliche Lücken in den
Verträgen hinsichtlich der individuellen Verantwortung der Mitglieder der Kommission
geschlossen werden könnten. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang auch die
vertragliche Verankerung eines Rechts des Kommissionspräsidenten einzelne Kom -
missare zum Rücktritt auffordern zu können.
Auch hinsichtlich des Europäischen Rechnungshofes steht Österreich auf dem
Standpunkt, dass jedem Mitgliedstaat ein Rechnungshofmitglied stellen sollte.
Zum Ausschuss der Regionen vertritt Österreich den Standpunkt, dass die derzeitige
Sitzverteilung weiter fortgeschrieben werden sollte. Unter Annahme einer Anzahl von
28 Mitgliedstaaten würde der Ausschuss 372 Mitglieder aufweisen (bei 27 Mitglied -
staaten - also ohne die Türkei - 348). Weiters hat Österreich in Entsprechung des
Beschlusses der Landeshauptleute vom 29. Oktober 1999 für den Ausschuss der
Regionen Organstatus und Klagebefugnis beim EuGH gefordert. Diese Forderung
wird jedoch nur von Belgien unterstützt.
Betreffend den Wirtschafts - und Sozialausschuss hat sich Österreich, dem einhel -
ligen Wunsch der österreichischen Sozialpartner folgend, ebenfalls für eine Fort -
schreibung der bisherigen Sitzaufteilung ausgesprochen. Unter Zugrundelegung
einer Anzahl von 28 Mitgliedstaaten würde auch dieses Gremium 372 Delegierte
aufweisen (bei 27 Mitgliedstaaten zu 348). Weiters hat sich Österreich - ebenso der
Meinung der heimischen Sozialpartner folgend - für die Beibehaltung des derzeitigen
nationalstaatlichen Nominierungsrechtes und gegen ein (Teil -)Nominierungsrecht der
europäischen Sozialpartnerverbände ausgesprochen.
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