10.15

Bundesrätin Mag. Dr. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Werte Bundeskanzlerin! Mitglieder der Übergangsregierung! Werte Kollegen und Kolleginnen! Österreich, die Bevölkerung und auch die Demokratie haben tatsächlich aufgeatmet. So sehr Ibiza aber der Höhepunkt dieser Dreistigkeit nach 17 Monaten Chaos trotz vermeintlicher Harmonie zwischen den Koalitionsparteien war, so sehr be­schäftigt uns der Nachlass aktuell noch immer. Es ist schon beeindruckend, wie FPÖ und ÖVP jetzt alles Mögliche schönreden, angesichts dessen, dass sie beide für die­ses Chaos verantwortlich sind. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Bader.) Umso mehr erwartet sich die Bevölkerung in Österreich tatsächlich Verantwor­tung – das ist die Aufgabe dieser Übergangsregierung –, aber auch Aufklärung.

Eine Kritik an einer Person erlaube ich mir an dieser Stelle schon: Herr Reichhardt ist ja nicht nur bekannt für seine Wehrsportfreunde, sondern er ist nun auch dafür verant­wortlich, in seinem Zuständigkeitsbereich Auftragsvergaben zu prüfen, die seit dem Ibi­zavideo für Diskussionen sorgen. – Im Hinblick darauf fragt man sich schon, wie hier Transparenz beziehungsweise eine entsprechende Aufklärung überhaupt garantiert werden können.

Ansonsten freue ich mich natürlich sehr – auch das sei erwähnt –, dass es in Öster­reich endlich eine Halbe-halbe-Regierung und endlich auch eine Bundeskanzlerin gibt. Ich freue mich sehr, dass es Ihnen gelungen ist, so rasch Handlungsfähigkeit zu er­wirken. Ich freue mich wirklich auch sehr, dass wir einen Bundespräsidenten haben, der nicht nur Verantwortung übernommen hat, sondern in diesen chaotischen Wochen wirklich mit Bedächtigkeit und Professionalität gehandelt hat.

Beruhigt ist die Bevölkerung trotzdem weiterhin nicht. Wenn man sich die neuen Mel­dungen anschaut, so zeigt sich, die Causa Ibiza ist noch lange nicht aufgeklärt. Auch die Situation im Innenministerium beschäftigt nach wie vor viele. Wir wissen mittlerwei­le, dass es dort ein Gagenparadies geben dürfte. Selbstverständlich ist auch der ehe­malige Innenminister Kickl nicht aus seiner Verantwortung zu entlassen, etwa in Anbe­tracht dessen, was alles unter seiner Führung dort passiert ist und wie sich einige in den letzten Tagen ihres Wirkens wirklich noch so viel Geld mitgenommen haben, wie sie nur konnten. Das sind jedenfalls – um das festzuhalten – sicherlich nicht die selbst­ernannten Anwälte des kleinen Mannes, wie das immer behauptet wird. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller.)

Auch wenn Norbert Hofer jetzt sagt, dass die Lebensleistung von Heinz-Christian Stra­che gelobt werden sollte (Bundesrat Weber: Er könnte Ehrenbürger von Ibiza wer­den!), so deutet für mich auch angesichts der Mandatsrochaden, von denen wir in den letzten Tagen lesen, alles darauf hin, dass es ein eklatantes Versagen der von Ihnen so oft zitierten und eingeforderten politischen Moral innerhalb der FPÖ in einer Konti­nuität gibt, die erschreckend ist.

Sie sagen jetzt, es gebe kein Wahlprogramm und keine Versprechen. Das ist weitge­hend nachvollziehbar. Ich nenne trotzdem ein Beispiel, das wir erst in der letzten Bun­desratssitzung hier diskutiert haben, das enorme Auswirkungen und auch budgetäre Konsequenzen haben wird und trotzdem durchgepeitscht worden ist: Das ist die Bun­desasylagentur, die wird Sie sicherlich noch beschäftigen.

Auch ansonsten gibt es einige Baustellen; und ja, einige der Schatzgruben, die hier von Türkis-Blau gegraben wurden, erwiesen sich als blau-schwarze Löcher.

Um die Vergangenheit aber einmal kurz ruhen zu lassen und noch nicht mit dem Wahl­kampf zu beginnen: Mir ist eine Zukunftsfrage ganz, ganz wichtig, die man auch ohne ein entsprechendes Wahlprogramm angehen sollte – das ist nicht nur das dringendste Thema, sondern Österreich ist da an Fristen gebunden, die es mit der Übergangsregie­rung und darüber hinaus überhaupt zu erfüllen gilt –: Die Übergangsregierung muss in aller Kürze einige Entscheidungen betreffend Klimapolitik treffen. Da werden Sie jetzt wenig verwundert sein, dass uns Grünen das wichtig ist.

Die auch hier im Bundesrat viel diskutierte #mission 2030 ist bekanntlich sehr ambi­tionslos gewesen, und auch der Entwurf des Nationalen Energie- und Klimaplans fand weder in der Wissenschaft noch bei Experten/Expertinnen Anklang. Ex-Umweltministe­rin Köstinger hat zwar wiederholt, wie wichtig Klimaschutz sei und dass das eigentlich eine der dringendsten Aufgaben der Menschheit sei, auf der anderen Seite wissen wir, dass da seither genau nichts passiert ist, und die Befürchtung ist da, dass eben auch in den nächsten Monaten nichts passieren wird.

Unserer Meinung nach ist es aber ganz, ganz wichtig, dass diese Übergangszeit keine Klimastillstandszeit wird, weil wir nämlich einen Plan abgeben müssen; das werden Sie wissen. Bis 1. Jänner 2020 muss Österreich an die Europäische Union einen entspre­chenden Plan für die Zeit bis 2050 schicken, der konkrete Maßnahmen samt Finanzie­rung beinhalten soll, und diese Aufgabe können Sie nicht umgehen, auch wenn Sie eben sagen, dass es kein entsprechendes Wahlprogramm diesbezüglich gibt. Tatsa­che ist: Österreich braucht einen Klimanotfallplan, einen Plan für die Europäische Uni­on, einen Plan für Österreich.

Wir wissen, dass nicht nur die bisherigen Maßnahmen im Bereich Klima- und Energie­effizienz zu wünschen übrig lassen, sondern Österreich erst kürzlich von der EU-Kom­mission wegen ungenügender Anstrengungen zur Eindämmung des Klimawandels ge­rügt worden ist. Da geht es zum einen konkret um die Erreichung des Ziels, den CO2-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent zu verringern. Wir wissen auch, dass es gänzlich an konkreten Angaben und Maßnahmen fehlt, wie Österreich seine Treibhausgasemissio­nen überhaupt senken möchte – auch ein besonderer Fokus. Und wichtig ist natürlich die Frage der Subventionen im Energiebereich; auch da gibt es bisher keinerlei Überle­gungen, wie Österreich aus fossilen Brennstoffen aussteigen kann, wie man diese Subventionen auslaufen lässt und sozusagen neben der Ressourcen- und Umwelt­schonung auch eine geringere Abhängigkeit Österreichs von Energieeinfuhren errei­chen kann.

Man muss natürlich auch sagen, dass die Klimamaßnahmen für die Übergangsre­gierung nicht so schwer wären. Im Nationalrat hat es ja zig Anträge gegeben, die eini­ges von dem, was die türkis-blaue Koalition auf Schiene gebracht hat, Österreich aber wenig gebrauchen kann, zurückgenommen haben. Tempo 140 steht noch immer im Raum. Sie wissen, immerhin erhöht sich der CO2-Ausstoß bei einer Geschwindigkeit von 140 im Vergleich zu 130 km/h laut Umweltbundesamt um 10 Prozent; um nur ein konkretes Beispiel zu nennen.

Sie haben weiters gesagt, am 20. und 21. Juni gibt es die nächste Möglichkeit, sich beim Europäischen Rat mit den anderen Mitgliedsländern über das Thema auszutau­schen. Ich hoffe, dass Sie das mitnehmen, ich hoffe, dass auf diesen wichtigen Bereich nicht vergessen wird.

Von der Umwelt abschließend noch zu einem mir sehr wichtigen gesellschaftspoliti­schen Thema: Sie haben vielleicht auch mitbekommen, dass FPÖ und ÖVP jetzt noch in letzter Minute den Sexualkundeunterricht an Österreichs Schulen verbieten und ab­drehen möchten. (Bundesrätin Mühlwerth: Es stimmt nur leider nicht! Ist leider falsch!) Ich ersuche Sie wirklich inständig, Frau Bundeskanzlerin, sich das genauer anzuschau­en, da die Auswirkungen von solch einem Verbot so gravierend wären und uns nicht nur ins Mittelalter katapultieren würden, sondern auch grobe Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hätten, die keinen Zugang zu neutralen In­formationen haben (Bundesrätin Mühlwerth: Neutral ist euer Sexualunterricht weiß Gott nicht! So 3. und 4. und 5. Geschlecht, na!), wenn es für eine außerschulische Aus­einandersetzung mit dem, was Kinder und Jugendliche wissen müssen, um selbstbe­stimmt aufzuwachsen, keine Finanzierung mehr gibt.

In diesem Sinne ein wirklich letzter, inständiger Wunsch meinerseits an diese neue Übergangsregierung: Schauen Sie sich das bitte an! Lassen wir nicht zu, dass das ein­fach zwischen Tür und Angel durchgepeitscht wird! Mit solch enormen Auswirkungen, die das haben wird, können wir keine verantwortungsvolle Politik machen.

Ich wünsche Ihnen für die nächsten Monate alles Gute. Ich vertraue darauf, dass Sie bestrebt sind, hier nicht nur Verantwortung zu übernehmen, sondern Dinge zum Ab­schluss zu bringen, die Österreich auch weiterbringen. Ich ersuche Sie aber wirklich auch, sich den Bereich Klimaplan nochmals und eingehend anzusehen, und, was die Sexualkunde anbelangt, gegen diese widersinnigen, ja fast schon verrückten und mit­telalterlichen Ideen dagegenzuhalten, die doch zu einer Orbánisierung führen würden, auch wenn Herr Orbán ja Türkis-Blau nicht mehr als Vorbild hat. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Stögmüller. – Bundesrat Samt: Aus Ihren Worten spricht der Hass! – Bundesrat Seeber: Das war jetzt aber untergriffig! – Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

10.26

Präsident Ingo Appé: Zu Wort gemeldet ist Bundesrätin Dr.in Andrea Eder-Gitsch­thaler. Ich erteile dieses.